Mörderischer Adonis

Brigitte Frizzoni untersucht „Geschlechterpositionierungen im ‚Frauenkrimi’“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor nicht allzu langer Zeit entdeckte die Erziehungswissenschaftlerin und bekennende Krimi-Leserin Susanne Maurer den „(feministischen) Kriminalroman als Ort des Utopischen“. Eine starke These Brigitte Frizzoni ist da vorsichtiger. Aber auch ihr zufolge scheint sich der Krimi „durchaus dafür zu eigenen, in feministisch inspirierter Weise umgeschrieben zu werden.“ Doch nicht so sehr der Kriminalroman selbst, sondern dessen Rezeption ist nun Gegenstand einer von ihr verfassten Untersuchung mit dem Titel „Verhandlungen mit Mordsfrauen“. Dabei richtet sie ihr Augenmerk vor allem auf ein Subgenre, das vor nunmehr schon längerer Zeit unter dem zweifelhaften Etikett ‚Frauenkrimi‘ reüssierte, inzwischen mit dem guten Klang seines Namens jedoch auch seine spezifischen Reihen in den Verlagen und seine eigenen Regale in den Buchhandlungen verloren hat. Denn „Frauenkrimi“, das klingt heutzutage ebenso wie „Frauenroman“ pejorativ nach Schubladen- und Ghettoliteratur.

Dies konstatiert auch Frizzoni und verweist darauf, „dass die AutorInnen und KritikerInnen den Terminus eher negativ beurteilen, BuchhändlerInnen, VerlegerInnen, LektorInnen und ForscherInnen hingegen eher pragmatisch-positiv“. Doch hält die Wissenschaftlerin selbst an der Bezeichnung fest, wenngleich sie sie stets in Anführungszeichen setzt.

Frizzoni spannt ihren Untersuchungszeitraum von den frühen 1970er-Jahren bis in die Gegenwart hinein auf. Den „Kern“ des Untersuchungskorpus bilden nicht nur die am intensivsten diskutierten literarischen Texte von Krimiautorinnen mit Serienheldinnen, sondern auch deren „Paratexte“ wie Umschläge, Vorworte, Reihentitel, Abbildungen und äußere Gestaltungen sowie die Berichterstattung über die Werke in den verschiedensten Medien und nicht zuletzt Stellungnahmen von RezipientInnen etwa in Mailinglisten. Dabei zeigt die Autorin anhand etlicher Beispiele, dass sich ‚Frauenkrimis‘ (wie auch Krimis insgesamt) nicht im luftleeren Raum entwickeln, und schon gar nicht die Genres, denen sie angehören, oder die Reihen, in denen sie erscheinen. Vielmehr werden sie ununterbrochen durch Publikations- und andere Entscheidungen der VerlegerInnen, Kaufentscheidungen und Multiplikatorenfunktion von LeserInnen sowie Besprechungen und anderem feedback professioneller RezipientInnen beeinflusst. Frizzoni spricht daher aus guten Gründen vom ‚Frauenkrimi‘ als einem „diskursives ‚Gemeinschaftswerk‘“.

Eine der bekanntesten und langlebigsten der einschlägigen Reihen erscheint im „Argument Verlag“ als „Ariadne Krimis“. Wie die Herausgeberinnen Frigga Haug und Else Laudan erklären, beabsichtigen sie, mit ihr „Bausteine für eine feministische Kultur“ bereitzustellen. Zwar bietet die „Ariadne“-Krimi-Reihe durchaus einige (meist von angelsächsischen Autorinnen verfasste) Werke von Rang, andere (oft deutschsprachige) sinken hingegen fast auf die Tiefpunkte des sprachlichen Niveaus eines Frank Schätzing hinab. Zu den sprachlichen und stilistischen Schwächen treten zudem oft noch nicht eben mitreißende Plots und gestrige Ideologien, die „zwischen politischem Engagement und esoterisch-feministischer Matriarchats-Rhetorik changieren“. Wären sie auf solche Bausteine angewiesen, könnte selbst die begabtesten feministischen ArchitektInnen und MaurerInnen keine glänzenden Paläste oder auch nur bewohnbare Hütten errichten. Eine von der Autorin zitierte Leserin klagt im „Ariadne-Forum“ denn auch: „Wenn so die Bausteine für eine feministische Kultur aussehen sollten, dann möchte ich – um im Bild zu bleiben – auf das Gebäude lieber ganz verzichten.“

Als „theoretisches Gerüst“ ihrer in der Tradition der Popular Cultural Studies stehenden Studie dient Frizzoni vornehmlich das Rüstzeug der Diskursanalyse. Dass sie mit dem Begriff der „Verhandlungen“ außerdem auf eines der zentralen Konzepte des New Historicism rekurriert, lässt schon der Titel ihres Buches erkennen, der überdeutlich auf Stephen Greenblatts Buch „Verhandlungen mit Shakespeare“ anspielt. Allerdings wartet Frizzoni neben dem überkommenen Ausdruck „Frauenkrimi“ und dem übernommenen Terminus „Verhandlungen“ auch mit einem eigenen neuen Begriff auf, dem „Mordsfrauendiskurs“. Mit ihm bezeichnet sie die „spezifische Verschränkung von Genre- und Genderdiskursen“ im Umgang mit den ‚Frauenkrimis‘. Wie die Autorin zeigt, werden die Verhandlungen von „Geschlechterpositionierungen“ sowohl auf der Text- wie auch auf der Kontext-Ebene geführt, wobei der Begriff „Verhandlungen“ auf die „vielfältigen und komplexen Austauschprozesse zwischen Artefakten und deren kulturellen und sozialen Kontexten“ zielt, „die ihrerseits wiederum als Komplex von Texten zu interpretieren sind“. Als DiskursteilnehmerInnen gelten ihr somit sowohl die Autorinnen, deren Figuren, die individuelle wie auch die wissenschaftliche Rezeption und selbst die „Institutionen der Produktion und Distribution“ der einschlägigen Bücher und deren „massenmediale Vermittlung“.

Frizzoni unterschiedet darüber hinaus zwischen „Elementardiskurs“, „Interdiskurs“ und „Spezialdiskurs“. Wie sie an einem eindrücklichen Beispiel deutlich macht, ist die Einbeziehung aller drei Diskurstypen darum so wichtig, weil sich deren „Sicht auf die ‚Welt‘“ beziehungsweise auf die Texte „erheblich unterscheiden“. „Was im Elementardiskurs als ‚Macho-Scheisse auf lesbisch‘ bezeichnet wird, wird im Interdiskurs zur sorgfältig austarierten ‚Überbetonung der Sexualität im Lesbenkrimi‘ und im Spezialdiskurs zur ‚Verunsicherung genderspezifischer Rollenstereotype‘“. Zwar möchte die Autorin die drei Diskurse nicht hierarchisieren, sondern „in ihrem Neben- und Durcheinander ernst [nehmen]“, doch findet nur der Spezialdiskurs eine „möglichst umfassend[e]“ Berücksichtigung.

Indem sich „feministisch sensibilisierte Autorinnen“ im Laufe der frauenbewegten 1970er- und 1980er-Jahre mit ihren Werken in den hard-boiled-Code der Krimis einschrieben und das diskursiv als besonders ‚männlich‘ besetzte Genre eroberten, unterzogen sie es „zugleich einer Revision und begründen eine genderspezifische Gegentradition“. Angesichts des umwerfenden Erfolgs der Autorinnen begaben sich einige ihrer männlichen Kollegen flugs in die Opferrolle und jammerten wie der Schweizer Peter Zeindler: „Nicht gute Krimis waren gefragt. Sondern Krimis von Frauen. Egal wie gut.“ Die erfolgreichen Krimiautorinnen konnten derlei Unterstellungen kalt lassen. Etwas anderes machte ihnen unterdessen mehr zu schaffen. Denn indem der ‚Frauenkrimi‘ durch die Etablierung einer „gendermarkierte[n] Gegentradition“ die „traditionelle[n] Genderdichotomien“ subvertierte, verfestigte er sie zugleich schon alleine durch den Namen des Subgenres.

Ein neues und vor allem ökonomisch erfolgversprechendes Sub- beziehungsweise „Hybridgenre“ sieht Frizzoni durch die Verbindung des Krimis mit der chick-lit heraufziehen. Da letztere Elemente der „Liebeskomödie“ und des „erotischen Liebesromans“ verarbeitet, werden LeserInnen aller dieser Genres angesprochen. Zumal das noch ungetaufte Genre auch mit einem „neue[n] Figurentypus“ aufwarten kann, dem „Adonis“, der meist in Gestalt eines „homme fatal“ auftritt.

Frizzoni hat eine solide Arbeit vorgelegt, die einen neuen Blick auf verschiedene Aspekte des verblassenden Genres des ‚Frauenkrimis‘ wirft, das schon bald als feministische chick-lit-Krimis mörderische Urstände feiern könnte.

 

Titelbild

Brigitte Frizzoni: Verhandlungen mit Mordsfrauen. Geschlechterpositionierungen im "Frauenkrimi".
Chronos Verlag, Zürich 2009.
222 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-13: 9783034009461

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