Gespenstischer Muttergeist

Christina von Braun, Dorothea Dornhof und Eva Johach geben einen Sammelband über die Rolle des Unbewussten für die Wissenschaften vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unlängst trat die renommierte Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun mit zwei sehr unterschiedlichen Büchern hervor: einer ganz wunderbaren Autobiografie und als Co-Autorin eines wenig überzeugenden Buches über „[d]ie Frau, de[n] Islam und de[n] Westen“. Nun hat sie gemeinsam mit Dorothea Dornhof und Eva Johach unter dem Titel „Das Unbewusste. Krisis und Kapital der Wissenschaften“ einen Sammelband mit „Studien zum Verhältnis von Wissen und Geschlecht“ herausgegeben, dessen Beiträge zwar ebenfalls von recht unterschiedlicher Qualität sind, aber doch weit weniger als die beiden vorgenannten Bücher.

Wie die Herausgeberinnen in der Einleitung darlegen, soll der Band erhellen, „[w]elchen Einfluss“ die „Kräfte des Unbewussten“ auf die wissenschaftliche „Wissensproduktion“ haben. Man könnte annehmen, es sei kein sonderlich guter, denn sie „streu[en] Sand ins Getriebe der Wissensordnung“. Doch eben dies zwinge die Wissensordnung, „[s]ich zu erneuern“. Somit sei das Unbewusste „zugleich Krisis wie Kapital“ der Wissenschaften. Eine Gemeinsamkeit zwischen dem Unbewussten und dem „symbolische[n] Weibliche[n]“ lässt die Autorinnen eine Brücke zur Frage des Verhältnisses von wissenschaftlichem Wissen und Geschlecht schlagen: Beide „verkörpern“ sie das „konstitutive Andere des Erkenntnissubjekts“.

Das Erkenntnissinteresse des Bandes richtet sich eben sowohl auf die wissenschaftlichen Verhandlungen des Konzepts des Unbewussten wie auch auf „dessen ästhetische, visuelle und politische Repräsentationsformen“. Dabei wird das Unbewusste als „epistemologisches Feld“ abgesteckt, das eine „komplexe und vielfältige Dynamik“ in der Wissen(schafts)geschichte und in der „modernen Wissens- und Geschlechterordnung“ entwickelt.

Die nicht weniger als zweiundzwanzig Beiträge des Bandes decken innerhalb der Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften ein weites disziplinäres Feld ab und sind auf die vier Rubriken „Wissensgeschichte des Unbewussten“, „Das Unbewusste der Wissensordnung“, „Das politische Unbewusste“ und „Das visuelle Unbewusste“ verteilt. Während sich die Aufsätze der letzten dieser vier Gruppen unter anderem mit Filmen wie „Grün ist die Heide“ (Maja Figge) und „Demon Seed“ (Julia Barbara Köhne) befassen oder „[d]as unheimliche Geschlecht virtueller Wesen“ enthüllen (Claude Draude), beleuchten die Beiträge der ersten Rubrik Aspekte und Ereignisse der Wissen[schafts]geschichte einzelner Disziplinen.

So erörtert Ute Frietsch etwa die „Genialität in der chemischen Forschung des 19. Jahrhunderts“ und Günter Gödde geht „Freuds Entdeckung des ‚dynamischen‘ Unbewussten im Kontext der Hysterieforschung“ nach. Auch Bettina Bock von Wülfingen befasst sich mit Sigmund Freud. Die Autorin eines jüngst erschienen Buches zur „Genetisierung der Zeugung“ richtet das Augenmerk ihres zumindest thematisch überaus originellen Beitrags mit dem Titel „Der Kern des Unbewussten in Freuds Mikroskop“ jedoch auf einen ganz anderen Aspekt im Schaffen des Begründers der Psychoanalyse und untersucht „das Wechselverhältnis zwischen dem ‚Unbewussten der Natur‘ und der ‚Natur des Unbewussten‘“, wie sie etwas kryptisch ankündigt. Gemeint ist damit konkret, dass sie der Frage nachgeht, „wie die biologische Auffassung der Zelle ihre Spuren auch in der Freudschen Theorie des Unbewussten hinterlassen hat.“ Somit setzt sie zwar keinen Paradigmen-, aber doch immerhin nicht weniger als einen Metaphernfeldwechsel ins Werk. Denn bisher wurde Freuds Werk „als primär vom Metaphernfeld der Dampfmaschine geprägt“ betrachtet.

Der „Logik des Begehrens und d[er] modernen Epistemologie“ eines gewissen Psychoanalytikers der nachfolgenden Generation namens Jacques Lacan geht Annette Bitsch im zweiten Teil nach, Christoph F. E. Holzhey interessiert sich für „[p]aradoxe Lust als das Unbewusste wissenschaftlicher Kränkungen“ und Ellen Harlizius-Klück betrachtet den „Einsatz der Metaphern des Textilen“, um den „undeutlichen Zusammenhang“ von Geschlecht und Wissenschaft deutlicher werden zu lassen.

Doch welches sind nun die eingangs erwähnten, positiv beziehungsweise negativ hervorzuhebenden Beiträge? Licht und Schatten halten sich die Waage in Gabriele Dietzes Text über den „‚Rape-Lynching-Kompex‘ als soziale Pathologie“. Zu den Schattenseiten ihres Beitrags zählt, dass sie den frühen Suffragetten des amerikanischen „Südens“ nicht nur vorhält, sie hätten ihren Kampf um das Frauenstimmrecht auf das Argument reduziert, sie wollten „,ihr Stimmgewicht gegen die schwarzen Männer in die Waagschale werfen“. Von den amerikanischen Frauenrechtlerinnen des 19. Jahrhundert schlägt Dietze zudem den Bogen zur US-amerikanischen Neuen Frauenbewegung der 1970er-Jahre, welche die „kulturelle Verknüpfung von Vergewaltigung und Lynching“ durch weiße RassistInnen „in ein Mittel der eigenen Politik umgearbeitet“ habe. Als Beleg führt sie die „berühmte Kampfschrift gegen Vergewaltigung ‚Agains Our Will‘“ von Susan Brownmiller an, indem sie deren Bekenntnis „A sexual remark on the street causes me a fleeting but murderous rage“ zitiert. Einmal abgesehen davon, dass es vom momentanen individuellen Zorn, der nicht einmal nach außen tritt, kein geringer Schritt zum gemeinschaftlichen Lynchmord ist, parallelisiert Dietze sodann auch noch Brownmillers flüchtige Emotion mit einer politischen Strategie des seinerzeit bekannten „Black Panther“-Führers Eldrige Cleaver, der es als verdienstvollen Wiederstandsakt pries, weiße Frauen zu vergewaltigen: „Rape was an insurrectionary act. It delighted me, that I was defying and trampling upon the white man’s law, upon his system of values, and that I was defiling his women”.

Fällt Dietzes Beitrag trotz derartiger Missgriffe insgesamt doch recht ausgewogen aus, so prägt Silke Wenks Aufsatz über „die Wiederkehr der Bilder und imperiale Inszenierungen im Kontext neuer Kriege“ ein dezidiert anti-‚westlicher‘ Impetus. Dem Schleier gewinnt sie hingegen positiven Seiten ab. So glaubt sie offenbar, er schütze Frauen davor, sich prostituieren zu müssen. Ganz so, als hätte man nie etwas von der massenhaften Prostitution in etlichen Städten islamisch geprägter Kulturen gehört. Ganz abgesehen von islamspezifischen Formen der Prostitution wie den Zeitehen im Iran, die von den Mullahs gerne einmal für die Dauer einer Stunde geschlossen werden. Damit wäre ein negativer Höhepunkt des vorliegenden Bandes genannt.

Nicht nur gegenüber dem zuletzt genannten Text sticht der Beitrag der Mitherausgeberin Eva Johach positiv hervor. Nachdem sich Claudia Bruns zuvor anhand der Vorstellungen des „Männerbundtheoretikers und Laienanalytikers“ Hans Blüher mit dem „Unbewusste[n] des männerbündischen (Kollektiv )Subjekts“ befasst hat, wendet sich Johach einem 1932 erschienenen Buch aus der Feder Ernst Bergmanns mit dem Titel „Erkenntnisgeist und Muttergeist. Eine Soziosophie der Geschlechter“ zu, was alleine schon deshalb ungleich spannender ist als Bruns’ ebenfalls interessanter Beitrag, weil Blühers misogynes männerbündisches Konzept zumindest in Wissenschaftskreisen weit bekannter ist als der matriarchalisch-völkische Ansatz des Philosophieprofessors und NSDAP-Mitglieds Bergmann. Wie Johach referiert, tritt der Autor für eine „‚matriarchale‘ Umgestaltung des Staates“ ein, um die europäische Kultur von den seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden andauernden „Krankheiten der männlichen Gesellschaft“ zu heilen. Dabei verknüpft er den „Topos der matriarchalen Ordnung“ mit einem „Programm völkischer Erneuerung, das auf eine Wiederbelebung des deutschen Volksgeistes durch den ‚Muttergeist‘ setzt.“ Nicht nur Johach dürfte es „irritieren“, dass seine „Sozial- und Geschlechterutopie“ weitgehend auf der Ablehnung „von männlichem Sexualtrieb und Erkenntnisgeist“ fußt, die er „in Personalunion für sämtliche Fehlentwicklungen bisheriger Kulturgeschichte verantwortlich“ macht. Bergmanns von Johach zurecht als „biologistisch“ charakterisiertes Modell der Geschlechterdifferenz wertet also nicht nur das weibliche Geschlecht ab, indem es unterstellt, weiblicher Erkenntnisgeist sei „schlicht widernatürlich“, sondern stellt in erster Linie und ganz grundsätzlich die Möglichkeit „männlicher Soziabilität“ infrage, gilt ihm doch der „männliche Sexualtrieb per se als „Krisenherd des Sozialen“. Da der weibliche Sexualtrieb Bergmann zufolge geringer als der männliche ist, Frauen dafür aber einen ausgeprägten „Sozial- und ‚Muttertrieb‘“ haben, gilt ihm das weibliche hingegen als „das soziale Geschlecht par excellence“.

Wie die Autorin herausarbeitet, zielt Bergmanns „Matriarchatssymbolik“ vor allem auf zweierlei: Sie propagiert eine gesellschaftliche Arbeitsteilung der Geschlechter, die auf deren „Komplementarität“ aufbaut und ihr „‚natürliches‘ Gleichgewicht“ wieder herstellen möchte. Und sie dient dem Autor dazu, eine „symbolische Ordnung staatlicher ‚Mütterlichkeit‘“ zu installieren, „die für die biopolitische Organisation der Fortpflanzung steht.“ So beraubt Bergmanns Sozialutopie Mütter nicht nur ihrer Individualität, sondern reduziert sie auf „Garantinnen der Arterhaltung“.

Wie Johach zeigt, stellt Bergmanns „Soziosophie“ seinen Geschlechtsgenossen letztlich eine „Erlösung aus einer Krise der Männlichkeit“ in Aussicht, „die im mütterlichen Schoß des Staates aufgeht und seine Erfüllung in einem höheren Zweck findet.“

Titelbild

Christina von Braun / Dorothea Dornhof / Eva Johach (Hg.): Das Unbewusste: Krisis und Kapital der Wissenschaften. Studien zum Verhältnis von Wissen und Geschlecht.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
444 Seiten, 36,80 EUR.
ISBN-13: 9783837611458

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