Gut verpacktes Leichtgewicht

Clancy Martin erzählt von Geld, Drogen, Edelstein und kaputten Familien

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Verkaufstechniken sind in der Überproduktionswirtschaft des Konsumentenkapitalismus tendenziell wichtiger als die eigentlichen Produkte. Eine glänzende Verpackung und die richtige Rhetorik verdecken nahezu jede Unzulänglichkeit oder Nutzlosigkeit vieler Waren. Dieser Sieg des Marketing über die Produktion ist nicht nur Thema des hier anzuzeigenden ersten Romans von Clancy Martin. Er kennzeichnet zugleich auch dessen eigenes Auftreten. Auf dem Buchumschlag machen hochkarätige Autoren für ihren neuen Kollegen Werbung: Jonathan Franzen, Zadie Smith und Gary Shteyngart liefern Lobesworte für den ehemaligen Schmuckverkäufer, der zum Philosophiedozenten wurde und sich nun als Romancier versucht. Und auch der Verlag ließ sich nicht lumpen und unterstreicht seinen Willen zum Buchverkauf mit einem Glanzlackcover auf dem neben bloßer Haut Diamanten inmitten eines Bikini-Oberteils glitzern.

Doch sperrt sich der Erzähltext, zumindest anfangs, gegen einen solchen Triumph falsch glänzender Oberflächen über die bittere Sache. Selten dürfte sich eine Erzählstimme schneller diskreditieren und sich dem Leser als ein widerwärtigerer Zeitgenosse offenbaren, als dies Martins Erzähler gleich auf der ersten Seite vollbringt. Denn der Ich-Erzähler erinnert sich hier, wie er sich erstmals mit Schmuck beschäftigte, als er in der High-School-Zeit seiner Mutter ihren Ehering, der zudem ihr letzter Wertgegenstand war, gestohlen hatte. Er wollte sich mit dem dafür aufzutreibenden Geld eine Freundin ‚zurückzukaufen‘, die ihn wegen eines Basketballers verlassen hat. Die von wenigen Skrupeln gebremste Besitzgier des Erzählers ließ ihn bald von der Schule fliegen, weil er eine Schachtel mit Siegelringen für die Abschlussklasse stahl. Also zieht er aus Kanada zu seinem Bruder nach Texas. Der große Bruder, der ihm einst das Klauen beibrachte, zeigt dem Erzähler nun, wie man richtig kokst – und wie man schnelles und großes Geld im meist nicht ganz korrekten Schmuckhandel verdient.

Der Roman schildert das Leben der Brüder, das aus dem Verbrauch von Drogen und Frauen besteht, den sie wiederum mit dem eifrigen und geschickten Verkaufen von Schmuck und Uhren finanzieren. Das ganze wird – psychologisch etwas platt – genealogisch grundiert mit der unglücklichen Familiengeschichte der beziehungsunfähigen Scheidungskinder. Die ausführlichen und sachkundigen Beschreibungen von Juwelen und Uhren, von Verkaufstaktiken und Kundenpsychologie sind keineswegs uninteressant, doch des Guten gelegentlich zu viel. So hat der große Juwelenhändler, für den die Brüder arbeiten, bevor sie sich mit einem eigenen Laden selbständig machen, ein eigenes Bewertungssystem der Edelsteine, das vom offiziellen abweicht. Denn die (überhöhten) Wertgutachten für Versicherungen seien funktionale Verkaufsargumente und nicht etwa seriöse Wissenschaft. In diesem sarkastischen Tableau des Pretiosen-Handels gibt es keine Moral außer der des profitablen Geschäftsabschlusses. Zwecks wiederum nur verkaufspsychologisch wichtiger Selbstlegitimation erklärt der Bruder kurzerhand auch die Religionsstifter zu begnadeten Verkäufern und promoviert somit das Marketing zur ehrenwerten Tätigkeit: „Man darf sich nicht schämen, dass man ein Verkäufer ist. Einer der wenigen ehrlichen Berufe. Jesus war Verkäufer. Mohammed. Allah. Das waren die Größten. Paulus. Diese Juden. Was wäre Christus ohne Paulus, hm?“

Der Erzähler stiehlt weiterhin Geld und Schmuck an seinem Arbeitsplatz, doch scheint das niemanden besonders zu stören, solange nur die Verkaufsabschlüsse in großem Umfang weitergehen. Das gesamte Geschäft scheint mithin auf Betrug zu basieren. Von einem alten Großhändler erhält der Ich-Erzähler Lektionen über die Lüge als Grundoperation des Schmuck-Business‘ und über den stets nötigen, eigenen, lupengestützten Augenschein. Vertrauen ist hier eine immer riskante, kaum zu rechtfertigende Leichtfertigkeit. Treue und Loyalität ebenso. Dieser Roman entwirft das düstere Gegenbild zum neuerdings wieder bemühten Leitbild des ehrbaren Kaufmanns.

Damit es nicht langweilig wird, kann Bobby, der Erzähler mit dem großen Talent fürs raffiniert trickreiche Verkaufen, auch mal menschlich reagieren. Unter seiner harten Fassade verbirgt sich ein mitleidiges, verletzliches und verletztes Herz. So schickt er eine bedürftige Kundin zu einem anderen Händler, der fairere Ankaufspreise bietet; doch wird er dafür von seinem toughen Bruder hart gerügt. Bobbys Ehe zerbricht, wie er ziemlich lakonisch berichtet, weil er keine Zeit hat, sich um das einjährige Töchterchen zu kümmern; und weil seiner Frau, einer kanadischen Professorentochter, die texanische Geld- und Schmuckwelt unerträglich ist. Clancy Martin versteht es, für den Mund seines unsympathischen Protagonisten Sätze mit Aphorismusqualität zu basteln. So, wenn er das eskalierende Ehe-Unglück in eine Büroweisheit verdichtet: „Langsam verstand ich, wie man als erwachsener Mann sein Büro zu betrachten hatte. Mein Büro war als Zuflucht gedacht. Dies ist mein Baumhaus, sollte ich denken.“

Ablenkung und künstliche Drogenparadiese findet Bobby bei Lisa, einer Ex-Kollegin aus der Schmuckbranche, die zugleich Dauergeliebte des Erzählers und seines Bruders war, und die wegen ihrer Drogensucht zur Prostituierten wird. Doch stört sie dieser scheinbare Abstieg gar nicht. Denn sie schätzt ihre Sex-Arbeit im Vergleich mit dem Schmuckhandel als die ehrbarere Geschäftstätigkeit. Der Roman erzählt die Geschichte einer Dekadenz: nach seiner Ehe werden auch die diversen Affären des Erzählers mit der geldgierigen Starverkäuferin und der zur Prostituierten gewordenen Ex-Kollegin zerrieben. Das Crescendo gewaltsamer Zuspitzungen zum Ende der Handlung hin soll hier nicht verraten werden. Denn neben glänzend erzählten Passagen vom falschen Glanz des Schmuckhandels lebt Clancy Martins Geschichte auch von der Spannung, wie und wo diese zerrüttete Laufbahn denn enden werde. Jedoch wird das Leseerlebnis von einem gewissen Überdruss beeinträchtigt, den man gegenüber abgebrüht zynischen, jungen Drogen- und Frauenverbrauchern empfinden mag. Diese infantilen und innerlich abgestorbenen tough guys sind ja keine Neuheiten in der amerikanischen Erzählliteratur.

Interessanter und frischer sind da schon manche der erklärenden Exkurse zur Psycho-Logik des Verkaufens: der geschickte Verkäufer verkauft den unsicheren Kunden nicht nur ein Stück Schmuck, sondern zugleich den ihnen mangelnden Glauben an sich selbst, an ihren Geschmack, ihre Individualität und ihre monetäre Potenz. Den Drang zum Geldverdienen und zum exzessiven Konsum hat sich der Erzähler – so wird eher insinuiert als breit ausgeführt – als Kompensation für schwierige Familienverhältnisse früh erworben; die Raffinesse der trickreichen Verkaufens hat er sich schnell angeeignet. Und doch endet der Roman mit dem Appell eines alten Goldschmiede-Handwerkers, Bobby möge die Branche verlassen und ein College-Studium beginnen. Der Erzähler sei zwar ein perfekter Verkäufer, doch zum ernsthaften Geschäftsmann fehle ihm das Talent: „ein Verkäufer ist das Gegenteil von einem Geschäftsmann, Bobby. Ein Geschäftsmann kümmert sich um die praktischen kleinen Dinge des Lebens. Ein Verkäufer ist ein Künstler, im wirklichen Leben völlig aufgeschmissen. Lebt in den Tag hinein. Den Kopf in den Wolken, tanzt auf dem Regenbogen. Kann sein Geld nicht zusammenhalten. Kriegt aus vier Vierteldollarmünzen und einer Flasche Leim keinen Dollar zustande, wenn du’s genau wissen willst. So einer bist du, Bobby.“ Einer der Zielpunkte des Narrativs ist der Tod des ziemlich abgedrehten und lebensuntüchtigen Erzähler-Vaters – wodurch die Elternschaft und abgründige Familienverhältnisse nochmals zum Fluchtpunkt der Erzählung werden.

Mit Robin Detje hat das Buch einen der besten literarischen Übersetzer als Vermittler ins Deutsche. Die Formulierungen der Erzählung sind gewiss glänzend; das Erzählte, die oberflächliche, geldfixierte Scheinwelt des Schmuckhandels glänzt hingegen viel weniger. In diesem Dilemma findet sich schließlich auch der Leser im Verlauf und am Ende der Lektüre. Zweifellos hat Martin Talent zum Erzählen dekadenter Familienlebensläufe und zum Beschreiben abstoßender Verhältnisse in der Juwelen-Branche. Doch geht einem die gekonnt vorgetragene Perspektivierung des Geschehens aus der Innenperspektive des abgebrühten Erzählers mit der Zeit gleichermaßen unter die Haut wie auf die Nerven. Und die tiefere Motivierung dieses harten, betrügerischen Lebens mit Deals, Dealern und Dirnen in unglücklichen Familienverhältnissen klappert schon ein wenig wegen ihrer billig schematischen Psycho-Mechanik.

Insgesamt also ein zwiespältiges Debüt: Unter den glanzvollen Erzähloberflächen ruht wohl ein etwas dürftiger Kern. Aber vielleicht trifft das Buch damit ja – performativ? ungewollt? oder doch absichtlich und besonders raffiniert? – den Kern des Konsumkapitalismus, der sich somit in diesem Buch in mehrfacher Hinsicht reflektiert fände.

Titelbild

Clancy Martin: Verkaufen. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Robin Detje.
Berlin Verlag, Berlin 2009.
319 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783827008244

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