Briefe gegen das Trauma

Der Briefwechsel zwischen den Freunden Paul Celan und Klaus Demus ist auch ein verstecktes Dokument des Ankämpfens gegen die Nazitraumatisierung

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser 385 „Korrespondenzstücke“ umfassende Briefwechsel zwischen Paul Celan und dem Paar Klaus und Nani Demus ist ein ergreifendes Dokument. Der 1948 beginnende Briefwechsel dokumentiert eine bis zum Tode Celans im Jahre 1970 andauernde und sich immer wieder erneuernde Freundschaftsbeziehung, die in einem tiefen Einverständnis über literarisch-ästhetische Fragen gründete. Es gehört zur Besonderheit dieses Briefwechsels, dass in die Freundschaft wie selbstverständlich auch die Partnerinnen einbezogen werden. Das gilt für Nani Maier, die spätere Ehefrau Klaus Demus, sowie für Gisèle Celan-Lestrange, mit der Celan seit 1952 verheiratet war. Schon als Dokument einer Freundschaft zwischen zwei Dichtern ist der Briefwechsel Bestandteil der bundesrepublikanischen Literaturgeschichte. Er ist es umso mehr als in diesem Briefwechsel schließlich auch Themen zur Sprache kommen, die markante Einblicke in die Literaturszene der 1950er- und frühen 1960er-Jahre ermöglichen.

Klaus Demus und Nani Maier hatten Paul Celan 1948 in Wien kennengelernt. Sie gehörten zu einem Kreis junger Intellektueller und Künstler, in dem die im Frühjahr 1948 veröffentlichten ersten Gedichte des heimatlosen Celans einen tiefen Eindruck hinterließen. Beide erkannten zudem den außerordentlichen Rang dieser Gedichte. Für Klaus Demus, der selber dichterische Ambitionen hatte, stand Celan, wie er in einem frühen Brief am 26. Mai 1949 dem inzwischen nach Paris gegangenen Celan schrieb, „an der Stelle in meinem Denken, die in der Mitte für ein Idol da ist.“

Zu Beginn des Briefwechels dominieren die Briefe Klaus Demus. Noch in den ersten Briefen steht ein distanziertes „Sie“ für das suchende Werben Demus um die Freundschaft Celans. Die Briefe sind zudem in einem ‚hohen Ton‘ verfasst. Es umweht die Zeilen eine lyrisch-poetische Anstrengung, die auch Ausdruck des Bemühens ist, sich im Einklang mit dem Briefpartner in ein idealtypisches Dichterelysium zu erheben. Und Celan in Paris ist dazu bereit. So kann Klaus Demus am 5. März 1950 erstmals „meinem lieben Paul, dem größeren Bruder“ schreiben. Viele Briefe in einem sehr vertrauens- und liebevollen Ton gehen nun hin und her zwischen den ‚Brüdern‘. Eigene Gedichte legen beide ihren Briefen bei. Dabei ist Paul der Unfertige, an den eigenen Fähigkeiten zweifelnde Dichter.

So könnte der Briefwechsel als schwebend weltabgewandtes Einverständnis zwischen zwei Dichterbrüdern dahingehen, würden nicht immer wieder auch lebensalltägliche Dinge eindringen. Feinfühlig etwa analysiert Klaus Demus Celans kompliziert scheiternde Beziehung zu Ingeborg Bachmann in einem Brief vom 6. Dezember 1950: „Du hast nicht bedacht, dass Deine Welt sehr kompliziert, und einfach zugleich, also sehr in sich geschlossen ist, niemand kann da so leicht hinein. Sie ist sehr dividuell und hermetisch, Paul. Nun es Differenzen mit der Welt von Inge gegeben hat, muß Du Dir eben klarmachen, dass etwas anderes kaum zu erwarten war, weil sie aus ihrer auch nicht herauskam.“ Im gleichen Brief macht er seinem Freund indes auch deutlich, wozu die Mühe sein muss: „Paul – … Du mußt all diese Erfahrungen machen, die Dich verletzen, weil Du Perlen hervorbringen mußt. Du lebst ganz im Grund, deshalb sind Deine Schätze auch so schwerwiegend und groß. Du mußt aber lernen, das als gegeben zu sehen.“

Eine Erfahrung, die Paul Celan sehr verletzte und die schießlich auch die Freundschaft der Briefpartner zu zerstören drohte, schien zunächst nur eine „Angelegenheit, die immer ärgerlicher wird“, wie er dem Freund am 23. Juli 1956 schrieb. Doch dann wurde sie für Celan existenzbedrohend. Claire Goll, Witwe des 1950 verstorbenen Dichters Yvan Goll, beschuldigte Celan des literarischen Plagiats. Ein böser und falscher Vorwurf, der in der Sache leicht zu widerlegen war. Doch für Paul Celan bedeutet die ‚Affaire‘ viel mehr. Sie rührte an dasTrauma der Verfolgung durch die Nazis und dem Verlust seiner Eltern. Deshalb schrieb er am 29. November 1959: „Klaus, Furchtbares ist, es ist nicht lange her, geschehen, […] Furchtbares kommt jetzt wieder…“. Wenige Tage später schändeten Neonazis die Kölner Synagoge mit antisemitischen Nazischmiereien. War der Schoß fruchtbar noch?

Celan sah sich von einer neuen „Hitlerei“ bedroht und zunehmend verdächtigte er auch seine Freunde, mit den Feinden im Bunde zu sein. „Ich kanns mir selbst so wenig verbergen wie ich Dirs durch Unbefangenheit ableugnen könnte: die dunkle Furcht, unserer Freundschaft sei etwas geschehen, eine Verstörung…“, schrieb der beunruhigte Klaus Demus am 3. Juli 1961 und Paul Celan antwortete wenige Tage später: „Lieber Klaus, unsere Freundschaft ist schwer erschüttert – durch Deine Schuld. Du hast Dich mit den Rufmördern und deren Helfern eingelassen…“.

Wie sich indes aus Sicht des treuen Freundes inzwischen die Sache darstellte, schrieb er am 17. Juni 1962: „Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, daß Du an Paranoia erkrankt bist.“ Auf diesen Brief antwortete Paul Celan nicht mehr. Erst 1968 kam der Briefaustausch wieder in Gang. Erstmals antwortete Paul Celan wieder auf einen Brief des Freundes. Viel Zeit blieb den Freunden nicht mehr: im April 1970 nahm Paul Celan sich in Paris das Leben.

Titelbild

Paul Celan / Klaus Demus: Briefwechsel. Paul Celan - Klaus und Nani Demus.
Herausgegeben von Joachim Seng.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
679 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783518421222

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