Von „Get Back“ zu „Let it be“ – Friedhelm Rathjens Buch über den Anfang vom Ende der Beatles
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAnfang Januar 1969 versammelten sich die Beatles in den Filmstudios Twickenham, um für ein neues Projekt zu proben und Songs aufzunehmen; dabei war anfangs nicht ganz klar, was am Ende wirklich herauskommen sollte: ein Live-Auftritt, eine TV-Show, ein Film, eine Dokumentation, vielleicht sogar ein neues Album? Am Ende kamen tatsächlich ein Film und ein Album (beide „Let It Be“ betitelt) heraus, aber erst nach längerem Nachbearbeiten. Diverse Ideen eher kurioser Natur, die während der Sessions entwickelt und diskutiert wurden, erwiesen sich meist rasch als nicht realisierbar, so etwa Live-Auftritte an so illustren Orten wie einem Amphitheater, der nordafrikanischen Wüste, an Bord eines Kreuzfahrtschiffes oder (dies ein nicht sonderlich ernstgemeinter Vorschlag John Lennons) in einer Irrenanstalt. Fest stand anfangs nur, daß ein Filmteam das ganze Projekt begleiten sollte; die Beatles ließen sich also fast die ganze Zeit zumindest von einer, oft auch von zwei Kameras filmen, und zwar auch noch, als sie nach einiger Zeit frustriert die Filmstudios verließen und die Arbeit in den Apple-Aufnahmestudios fortsetzten.
Was eigentlich als Neuanfang der Band gedacht war, entwickelte sich zunächst so desolat, dass es statt dessen zum Anfang vom Ende der Beatles wurde; auf den Film- und Tonaufnahmen der insgesamt 21 Tage dauernden Sessions wird der Zerfall der Gruppe überdeutlich. Den Höhepunkt erreichten die Spannungen am 10. Januar, als George Harrison nach einem Streit mit John Lennon seinen Austritt erklärte und die Aufnahmen verließ; erst nach mehreren Tagen ließ er sich zur Rückkehr bewegen, und nach einer Veränderung der Zielsetzung fanden die Beatles zu einem produktiven Miteinander zurück, doch ein Jahr später waren die Beatles Geschichte, und ihr Ende bleibt für immer mit den berüchtigten „Get-Back“-Sessions verknüpft.
Berüchtigt sind sie nicht zuletzt, weil jeder Beatles-Fan einigermaßen zu wissen glaubt, was damals passierte; der Film „Let It Be“ scheint es zu dokumentieren – aber in Wahrheit tut er es gerade nicht. In unzähligen Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenpublikationen sind die Vorgänge jenes Januar 1969 dargestellt worden, nur leider bis heute stets verkürzt und verzerrt; selbst in den Publikationen versierter Beatles-Kenner heißt es (ausgehend von einer Szene im Film „Let It Be“) fast immer, der Ausstieg von Harrison sei durch einen Streit mit Paul McCartney verursacht worden. Solche und andere Mythen gilt es zu korrigieren; wenigstens einmal soll die ganze Geschichte erzählt werden, bis in die Einzelheiten, wie sie sich zugetragen hat, und zwar in den zwanzig Kapiteln dieses Buches, eines für jeden Tag der Sessions. Tagebuchmäßig wird alles protokolliert, was vorgefallen ist, und das ist nicht wenig. Genaugenommen sind es zwei Geschichten, die erzählt werden, eine musikalische Geschichte, nämlich die der Entstehung des vorletzten Beatles-Albums, das von vielen bis heute für ihr letztes gehalten wird, und eine menschliche Geschichte, nämlich die des Umgangs der Beatles miteinander.
Bis ins Detail nachzuvollziehen ist, dass es wirklich der Anfang vom Ende der berühmtesten und bedeutendsten Popgruppe der Welt war, aber auch, dass es in dieser Phase immer noch hochproduktive Momente gab. Wir sind bei der Proben- und Aufnahmearbeit der Beatles so nah dabei, wie es nur geht, und erleben, wie stümperhaft sie sein konnten, freilich auch, mit wie einfachen Mitteln sie bisweilen, wenn es denn drauf ankam, immer noch musikalische Werte für die Pop-Ewigkeit schufen. Nicht nur die musikalische Seite freilich bekommen wir mit, sondern auch den Umgang der vier Beatles miteinander und mit den anderen involvierten Personen; alle Diskussionen und Gespräche werden dokumentiert, zum Teil in Zusammenfassungen und zum Teil auch im wörtlichen Zitat. So wirft die Darstellung umfangreiches Material ab zur Beantwortung des letzten ungelösten Beatles-Rätsels, der Frage nämlich, warum sie sich denn nun wirklich getrennt haben.
Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.
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