Ausbruch und Bändigung
Über Horst Bredekamps „Michelangelo. Fünf Essays“
Von Frauke Schlieckau
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs muss einmal gesagt werden: Das Lesen der kunsthistorischen Bände aus dem Wagenbach Verlag ist vom Einband angefangen eine Freude. Besonders weil das, was sich zwischen den Buchdeckeln befindet, dem hochwertigen Äußeren durchaus entspricht. Auch „Michelangelo. Fünf Essays“ von Horst Bredekamp ist da keine Ausnahme, sondern weckt vom ersten Blick an Lust auf die Lektüre.
Der Wagenbach Verlag hat sich mit Bredekamp, der seit 1993 als Professor für Kunstgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität tätig ist, einen versierten Kunsthistoriker ins Boot geholt, der für seine Autorentätigkeit bereits mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet wurde und als erster Vertreter seines Faches den renommierten Max-Planck-Forschungspreis erhielt.
Mit dem vorliegenden Band mit „fünf Essays über den wohl größten Künstler der italienischen Spätrenaissance“ gibt Bredekamp allerdings keineswegs sein Debüt bei Wagenbach, vielmehr hat der Kunsthistoriker sich für den kleinen Berliner Traditionsverlag bereits mit dem „berühmtesten Rätselbild“ der Renaissance, Botticellis Primavera, beschäftigt und eine detaillierte Studie über „St. Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung“ angefertigt.
Nun könnte man meinen, dass über Michelangelo bereits alles geschrieben wurde. Horst Bredekamp allerdings zeigt mit „Michelangelo. Fünf Essays“, dass das keineswegs der Fall ist. „Von der römischen Pietá bis zur Pietá Rondandini, von der Biblioteca Laurenziana in Florenz bis zur Errichtung von Neu-Sankt Peter in Rom, von den Fresken der sixtinischen Kapelle bis zu denen der Capella Paolina des Vatikan: Allein dieser Ausschnitt aus der weitaus größeren Zahl von Werken Michelangelos ist nur schwer mit dem Wirken einer einzigen Person zu verbinden“ und so ist es nicht verwunderlich, dass es Bredekamp trotz der umfangreichen Michelangelo Forschung gelingt, dem Leser noch neue Perspektiven auf das Werk des Künstlers zu eröffnen.
Dabei stellt sich Bredekamp mitunter in die Traditionslinie von Hermann Grimm, dessen Michelangelo-Biografie von 1860-1863 nicht nur „eines der populärsten Geschichtswerke des 19. Jahrhunderts“ war, sondern auch den Versuch beinhaltete, Geschichte und Kunstwerk nicht als wechselseitiges Konfliktpaar, sondern als zwei Größen zu betrachten, die ihre Zeit als gemeinsame Brennpunkte von Konflikten gestaltet haben. Ein Gedanke, der auch den Bredekamp’schen Essays zu Grunde liegt, die versuchen, die Schwierigkeiten zu rekonstruieren, mit denen Michelangelo während seiner Arbeit an den verschiedenen Werken zu kämpfen hatte.
„Hierzu gehört zunächst der Takt der Zeit, welchen Michelangelo mit dem Effekt zu überlisten suchte, dass er sich diesen dauerhaft zum Feind machte (Varianten der Vollendung), sodann die kalte Neutralität der Verträge, die Michelangelo niemals innerlich realisieren konnte (Ende und Anfang des Juliusgrabes), die Unausweichlichkeit politischer Kämpfe, in die Michelangelo widerstrebend bis auf Leben und Tod gezwungen wurde (Im Zustand der Belagerung) sowie der Kampf mit Konkurrenten, aus dem heraus Michelangelo gemeinsam mit dem Papst gleichsam eine Flucht nach vorn in eine Vorformulierung des Absolutismus antrat (Der Künstler als Souverän).“
Bereits 1498 hatte Michelangelo einen Status erreicht, der ihn gleichermaßen befreite und bedrängte. Bredekamp porträtiert daher unter anderem „den hoffnungslos überlasteten Vertragsschwindler Michelangelo, der jeden Auftrag annimmt, nur die Hälfte vollendet und daraus eine künstlerische Tugend zu machen versucht“. Er lenkt das Augenmerk auf das Problem des Unfertigen, das „Non-Finito“ in Michelangelos Werk, das hier allerdings noch nicht den zentralen Stellenwert besaß, der ihm im Impressionismus zukommen sollte, sondern – das machen Michelangelos Verträge deutlich – angesichts der Arbeitsüberhäufung 1499-1509 aus der Not heraus entstand. Die meiste Zeit „seines ersten Aufenthaltes in Rom und die folgenden fünf Florentiner Jahre ließen Michelangelo immer wieder mit den Auftraggebern in Konflikt geraten, weil er die vielfältigen Ansprüche, die er an sich zog, mit seiner Arbeitskraft nicht zu harmonisieren vermochte.“ Da er keine Einheit zwischen Anspruch und Arbeitskraft herstellen konnte, gelang es ihm nur, in dem er das „Non-Finito“ zum Prinzip erhob, die Flut der eingehenden Aufträge halbwegs zu bewältigen.
Bredekamps Betrachtungen verweisen deutlich auf die Struktur eines exaltierten Kunstmarktes, in dem Michelangelo ein Star war, dessen Arbeiten trotz ihrer Unfertigkeit als „vorzüglich und bewundernswert“ eingestuft wurden. Seine unvollendeten Werke sind somit auch Zeugnis und Symbol des Konfliktes zwischen Künstlerpsychologie und Markt.
Auch Bredekamps Essay über das Wechselspiel von Ausbruch und Bändigung, das bereits Sigmund Freud in Michelangelos Werk erkannte, ist das Ergebnis einer ungewöhnlichen Perspektive auf das Werk des Renaissancekünstlers. Sigmund Freud verbildlichte mit seinen Beobachtungen zu Michelangelos berühmter Moses-Figur nicht nur seine Theorie von Es und Über-Ich, die mit sich in Fede liegen, am Beispiel der bildenden Kunst, sondern schreibt hier mit seinen Beobachtungen auch Triebsublimierung als Bedingung von Kultur fest. Eine Perspektive, aus der es Michelangelo gelang, die Grundlegung der Psychoanalyse bereits vierhundert Jahre vor ihrer theoretischen Begründung in seinem Werk sichtbar zu machen.
„Schon zu Lebzeiten wurde Michelangelo als eine entrückte Größe erachtet. Horst Bredekamps Essays zeigen ihn den Mächtigen ebenbürtig: als Vertragsbrecher, als Scheiternden, im Kampf mit seinen Konkurrenten, inmitten politischer Feindschaften und als souveränen Künstler“, heißt es im Klappentext. Die durch zahlreiche Bildtafeln ergänzten Texte sind verständlich und dennoch auf hohem Niveau geschrieben, so dass der Band auch diejenigen, die sich bereits ausführlicher mit Michelangelo beschäftigt haben zum weiterlesen animiert.
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