Wozu man fähig ist

Richard J. Evans beendet mit dem Band „Krieg“ seine eindrucksvolle Trilogie über „Das Dritte Reich“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als der britische Historiker Richard J. Evans 2004 den ersten seiner drei Bände umfassenden Darstellung „Das Dritte Reich“ vorlegte, wollte er, wie er einleitend schrieb, mit seiner umfassenden Gesamtdarstellung auch einer „Fragmentierung des Wissens“ durch viele, vor allem aber sehr spezialisierte Darstellungen ,nur für’ Spezialisten über den Nationalsozialismus vorbeugen. Seine Absicht war es, „in Form einer erzählenden Darstellung“ den historischen Stoff auch für die Leserinnen und Leser aufzubereiten, „die nichts oder nur wenig über das Thema wissen und gerne mehr erfahren möchten“. Es galt, das vielfältig spezialisierte Wissen über den Nationalsozialismus so aufzuarbeiten, dass sowohl wissenschaftliche Standards gewahrt bleiben als auch literarische Ansprüche verfolgt werden.

Nach den Bänden „Aufstieg“ (2004) und „Diktatur“ (2006) schließt nun der über tausend Seiten starke Band „Krieg“ die Trilogie ab. Er beginnt mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen am 1. September 1939 und endet mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945. Am Anfang und Ende dieser Phase des „Dritten Reichs“ stehen also zwei militärische Daten, doch will Evans keine Geschichte des Zweiten Weltkriegs schreiben. Der Fortgang des Krieges ist in diesem Buch sinnvollerweise auf die „entscheidenden Wendepunkte“ konzentriert: die Eroberungen Polens und Frankreichs sowie die ,Luftschlacht‘ um England aus dem ersten Kriegsjahr, die Schlacht um Moskau im Winter 1941/42, Stalingrad im folgenden Winter und die seit 1943 einsetzenden strategischen Luftangriffe der Alliierten auf Deutschland. Über die militärhistorischen Aspekte hinaus interessiert Evans die Rückwirkung der Geschehnisse auf das nationalsozialistische Deutschland und die Deutschen. Um die Verschränkungen der politischen und militärischen Geschehnisse mit Gesellschaft, Wirtschaft, Kunst und Kultur darstellen zu können, nutzt Evans, wie bereits in den vorigen Bänden, neben den ,offiziellen‘ historischen Quellen auch eine Fülle privater Aufzeichnungen, die uns in Tagebüchern, Briefen und anderen privaten Aufzeichnungen überliefert sind. So gelingt es Evans, ein anschauliches Bild des „Dritten Reichs“ im Krieg entstehen zu lassen.

Zentraler Orientierungspunkt in Evans Darstellung ist der Massenmord an den europäischen Juden während des Krieges. Das, was die Nazis „Endlösung der Judenfrage“ nannten, ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte des „Dritten Reichs“ während des Krieges – und damit auch der deutschen Geschichte dieser Zeit. Die zunächst in Mittel- und Osteuropa mit brutaler Konsequenz einsetzenden Morde an den Juden waren nicht die schlimmen Exzesse eines ansonsten ,normalen‘ Kriegsalltags. Sie waren vielmehr immanenter Bestandteil einer Kriegsdynamik, für die ein menschenverachtendes Herrenwesen mit einem radikalen Antisemitismus konstituierend war. Evans Darstellung zeigt zudem, dass der verbrecherische Charakter des Regimes alle Bereiche des Lebens während des Krieges prägte.

Diesen Charakter dominierte von Beginn an ein auf Terror und Gewalt gründendes Herrschaftssystem. Im Krieg konnten sich Terror und Gewalt nun freilich noch hemmungsloser ausdehnen. Jegliche zivilisatorische Standards gingen verloren oder wurden bewusst außer Acht gelassen. Evans Darstellung führt die alltägliche Selbstverständlichkeit des Terrors und der Gewalt drastisch vor Augen. Das verbindet die im Rahmen der „Endlösung“ in systematischer Konsequenz durchgeführten Morde an den Juden schließlich auch mit dem vermeintlich normalen Leben während der Naziherrschaft. Denn kein Bereich des öffentlichen Lebens, so lehrt uns Evans, lässt sich schildern und verstehen, ohne die Bedeutsamkeit des Terrors mit einzubeziehen. Deutlich wird das etwa in der Betrachtung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands während des Krieges. Was sich in bloßen Zahlen scheinbar ,wertfrei‘ darstellen lässt, beruhte immer wieder auf der Ausbeutung von Menschen – seien es die vielen ,Fremdarbeiter‘ mit ihrem erzwungenen Beitrag zur deutschen Wirtschaftsleistung, sei es die gewaltsame Aneignung der Kultur- und Wirtschaftsleistungen in den ,eroberten‘ Ländern oder die mörderische Ausbeutung der KZ-Häftlinge für Wirtschaftsinteressen. Mit unzähligen Toden ,bezahlten‘ die Häftlinge die Wirtschaftsleistungen, von denen einzelne Unternehmen und Personen bis heute noch profitieren.

Evans Darstellung des „Dritten Reichs“ zeigt eindrucksvoll die „letzten potentiellen Konsequenzen von Rassismus, Militarismus und Autoritarismus“. Das ist, wie er am Ende seines Buches schreibt, das „Erbe“ des „Dritten Reichs“, das bis heute zur Auseinandersetzung zwingt: „Das Dritte Reich zeigt in zugespitzter Form die Potentiale und Konsequenzen des menschlichen Hasses und der Destruktiv auf, die, und sei es auch nur in geringem Umgang, in allen von uns vorhanden sind.“

Titelbild

Richard J. Evans: Das Dritte Reich. Band 3: Krieg.
Übersetzt aus dem Englischen von Udo Rennert und Martin Pfeiffer.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009.
1151 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783421058003

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