Woodstock revisited
Drei Bücher zum 40. Jubiläum des Woodstock Festivals
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / Literaturhinweise2009 sind einige Bücher zum vierzigjährigen Jubiläum des legendären Woodstock-Festivals erschienen. Opulente Fotobände, umfangreiche CD-Editionen und endlich auch einmal musikalisches Material, das auf den beiden klassischen Woodstock-Alben – die zum Jubiläum 2009 auch als fünf LP-Set wieder veröffentlicht wurden – nicht enthalten ist. Möchte man die Lektüre musikalisch illustrieren, sei auf zwei Publikationen verwiesen. Einerseits wurde unter dem Titel „The Woodstock Experience“ eine Reihe von Aufnahmen der Musiker zusammengestellt, die in Woodstock aufgetreten sind, zum Beispiel von „Sly & The Family Stone“, Janis Joplin und Jimi Hendrix. Aber wenn man sich einen Eindruck von der Vielfältigkeit der Musik auf dem dreitägigen Festival im August 1969 machen möchte, sei man auf die Webseite „The Woodstock Project“ verwiesen. Zum aktuellen Jubiläum wurde außerdem eine erweiterte Fassung der Filmmusik und des Konzerts veröffentlicht, die bis auf die Bootleg-Serie, die umfangreichste Sammlung an Aufnahmen vom Festival beinhaltet: „Woodstock 40 On: 3 Days Of Peace & Music“ ist ein 6 CD Box-Set, der letztendlich einen repräsentativen Querschnitt versucht, trotzdem aber als musikalische Untermalung der nachfolgend beschriebenen Lektüre geeignet zu sein scheint. Hier sollen drei Bücher zum Thema Woodstock vorgestellt werden, die sich jeweils aus einer anderen Perspektive dem Phänomen Woodstock“ nähern.
Mit „Making Woodstock“ hat der Autor Robert Pilpel zusammen mit den beiden Hauptinitiatoren des Festivals, Joel Rosenman und John Roberts, ein sehr gut lesbares, dokumentarisches Sammelwerk vorgelegt, das aus der Perspektive der Beteiligten versucht, ein Bild vom Festival zu vermitteln: Anfang des Jahres 1969 sind zwei junge, angehende Geschäftsleute, John Roberts und Joel Rosenman, auf der Suche nach Ideen, mit denen sie in die Geschäftswelt einsteigen können. Durch verschiedene Zufälle geraten sie an das Duo Mike Lang und Artie Kornfeld. Die vorliegende Dokumentation „Making Woodstock“ beginnt mit der Begegnung von diesen vier Protagonisten und schildert das Festival, die Vorbereitungen und den Blick auf die anderen Beteiligten jeweils in persönlichen Texten und Statements. So entsteht, vergleicht man es mit den anderen Publikationen über Woodstock, ein authentisches Bild, gestützt durch die dokumentarischen Berichte der Zeitzeugen. Dies ist auch besonders interessant, weil von dieser Seite genaue Zahlen genannt werden, etwa was die Gagen der Musiker betrifft und die Kosten des Festivals. Allerdings gibt es erhebliche Abweichungen zu den Angaben bei dem zweiten vorliegenden Buch von Frank Schäfer.
Schäfers „Woodstock 69“ ist zuerst einmal ein brillanter Essay. Im Gegensatz zu der Dokumentation wird hier vor allem die reflexive Ebene bemüht. Schäfers Erfahrungen als Musikjournalist haben erfreulich positive Auswirkungen auf den Text. Die kurzweilige Lektüre macht den Leser mit einer genauen Chronologie des Festivals vertraut. Alle Bands und Musiker, die Umstände ihres Auftritts und ihre Setlists werden genauestens analysiert und geben auf der interpretatorischen und anaylitischen Ebene neue Erkenntnisse und Einsichten, die einige althergebrachte Analysen durchaus revidieren, etwa „The Who“ und ihren Gitaristen Pete Townshend betreffend: „‚Ich glaube nicht, dass Townshend eine der Hauptfiguren hier war‘, meint Abbie Hoffman später. ‚Die hatten nichts anderes im Kopf als ihre Songs zu spielen.‘ Er hat völlig recht, nur darum geht es ihnen. The Who wehren sich, wenn es Not tut mit Gewalt, gegen eine Instrumentalisierung ihrer Musik. Sie soll sich emanzipieren, für sich allein stehen können – und das ist ein ästhetisches Konzept, für das es in Woodstock noch ein bisschen zu früh ist.“
Schäfer arbeitet auch kritische Stimmen zum Festival auf und rekapituliert die Analysen von Joan Didion: „Didion kennt die Flower-Power-Bewegung von innen und deutet sie als Symptom eines schleichenden Verfalls einer Gesellschaft, zugleich des Verlusts einer ehemals integrativen, also Generationen verbindenden Wertetradition. ‚Wir bekamen […] den verzweifelten Versuch einer Handvoll bemitleidenswert schlecht ausgerüsteter Kinder zu sehen, inmitten sozialer Leere eine Gemeinschaft zu schaffen.‘“ Als Fazit gibt Schäfer ein für die Freunde und Bewunderer von Woodstock sicherlich deprimierendes Zitat. Von Neil Young – der mit „Croshy, Stills, Nash & Young“ in Woodstock gespielt hatte – zitiert er aus dem 1975 erschienen Album „Tonight’s The Night“ eine Strophe aus „Roll Another Number“: „I’m not going’ back to Woodstock for a while,/ Though I long to hear that lonesome hippie smile./ I’m a million miles away from that helicopter day./ No, I don’t believe I’ll be goin’ back that way.“
Die literarische Verarbeitung des Themas „Woodstock“ bietet der Roman „Taking Woodstock“ von Elliot Tiber. Hier kann man die Analysen und Wünsche, die Träume und Mythen von Woodstock in einer unterhaltsamen Geschichte nachlesen. Der Protagonist Elliot ist homosexuell und Sohn eines jüdischen Ehepaares, das in der Nähe des späteren Festivalgeländes in White Lake ein Motel betreibt. Elliot trifft den oben schon erwähnten Mike Lang, kann ihm den Kontakt zu Max Yasgur vermitteln, der letztendlich das Festivalgelände zur Verfügung stellen wird. Das Motel der Familie Tiber wird zum Hauptquartier der Festivalplaner, was das größte Familienproblem, den Geldmangel, löst. In der aus diesem Kontext entstehenden Atmosphäre von Emanzipation, freier Liebe, Drogenkonsum und Selbstbefreiung kann Tiber endlich öffentlich seine Homosexualität zeigen und selbst akzeptieren. „Woodstock“ ist in dem Roman ein Katalysator für die Entwicklung des Protagonisten – und in der Übertragung ein ebensolcher für die Entwicklung einer ganzen Generation – und es wird damit zu einer Metapher für eine freiheitliche und selbst bestimmte Lebensgestaltung. Dass nebenbei auch noch ein humoriges Buch entstanden ist, das authentischer als eine Dokumentation Zeitgeschichte darstellt, soll nicht verschwiegen werden.
Zusammenfassend nähert sich jedes der drei Bücher einen Aspekt des Phänomens „Woodstock“. Zusammengenommen bilden sie das ideale Informationspaket, das die verschiedenen, heterogenen Sichtweisen auf ein kulturelles Phänomen vereinigen. Selten findet man drei so verschiedene und sich gleichzeitig so gut ergänzende Lektüren beieinander.
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