Das Heiligtum menschlicher Persönlichkeit

Nach über einem halben Jahrhundert werden die wichtigsten Texte eines der bedeutendsten Vertreter der russischen Religionsphilosophie, Simon L. Frank, in einer Werkausgabe ediert

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dieser Schrift liegt eines der bemerkenswertesten Zeugnisse der russischen Religionsphilosophie des 20. Jahrhunderts vor. Den im Untertitel angekündigten „Versuch einer christlichen Ethik und Sozialphilosophie“ entfaltet Simon Frank (1877-1950) vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen sowohl in der Sowjetunion als auch im nationalsozialistischen Deutschland. Franks „Licht in der Finsternis“ wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs niedergeschrieben und unmittelbar nach dessen Ende im Jahr 1945 radikal überarbeitet.

Inspiriert wurden Simon Franks vorliegende Überlegungen durch einen biblischen Vers aus dem Johannes-Evangelium: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt“ (Joh. 1,5). Frank ist irritiert von der im Vers angelegten Doppeldeutigkeit, die sowohl den Schluss zulässt, dass die Finsternis trotz des aufscheinenden Lichtes nicht verschwindet, zugleich aber die Beständigkeit des Lichtes unterstreicht, das vom Dunkel nicht verschluckt werden kann. Diese Dichotomie zwischen Licht und Finsternis überträgt Frank auf weitere Spannungsverhältnisse wie Freiheit und Gnade oder den Widerspruch zwischen dem Erlösungswerk Christi und einer im Bösen gefangenen Welt.

Dabei legt Frank Wert darauf, keine theologische Untersuchung, sondern eine philosophische Schrift zu präsentieren. Seine Betrachtung des menschlichen Seins widmet sich somit zunächst einer grundsätzlichen ontologischen Analyse, der sich Betrachtungen zur Geschichte und vor allem zu aktuellen Herausforderungen anschließen.

Freilich richtet Frank seine weitere thematische Entfaltung als bekennender orthodoxer Christ strikt am Wert der „frohen Botschaft“ des Evangeliums aus, wobei er sich nicht scheut, Irrtümer und Missverständnisse in der Geschichte des Christentums beim Namen zu nennen.

Ausgehend von den Fehlentwicklungen einer philosophischen Aufklärung menschlicher Hybris fürchtet Frank jeglichen Utopismus, der den Klassenkampf oder Rassenhass als Weg zu einer „lichten Zukunft“ propagiert. Frank plädiert für einen „christlichen Realismus“, der von der Schwäche des Menschen in einer gefallenen Welt weiß.

Ausgehend vom Bild des Lichtes, das in der Finsternis leuchtet, versucht Frank, die nicht unkomplizierte Antinomie des christlichen Seinsverständnisses darzustellen. Die Erlösung der Welt hat mit Leben und Auferstehung Christi bereits stattgefunden und dennoch ist dieses Erlösungswerk in einer Welt der Sünde und der Schuld noch nicht sichtbar. So, wie sich Licht und Finsternis zwar unterscheiden, aber dennoch zugleich anwesend sind, ist die „frohe Botschaft“ bereits angekommen, aber noch nicht in letzter Wirksamkeit erfüllt.

Der gläubige Christ schöpft aus dieser Sichtweise Kraft und Zuversicht, auch wenn es viel Unergründliches auf dieser Welt gibt: „Das menschliche Herz, das einmal mit innerer Evidenz das sinnlich unsichtbare Sein des überweltlichen Lichtes entdeckt hat, hat das selbstevidente Wissen, dass dieses Sein des Lichtes und seine Offenbarung damit für das menschliche Herz eine wirksame Kraft ist, die das Leben erhellt und wärmt.“

Frank ist sich sehr wohl darüber bewusst, dass Einstellungen des Glaubens nicht rational zu beweisen sind. Richtschnur ist ihm das persönlich Erfahrbare. Im Unterschied zum Utopismus weiß der „christliche Realismus“ von der gegenseitigen Durchdrungenheit des Guten und Bösen. Er lehnt daher eine einseitige Ausmerzung im Namen der Menschheitserlösung ab, die für Frank nachweisbar immer nur noch schlimmere Folgen für die Menschen gebracht hatte.

Zugleich darf aber nicht der Eindruck erweckt werden, dass Christen keine konkrete Verantwortung für ihre Mitmenschen tragen. Frank betont im Gegenteil die tätige Pflicht des einzelnen Menschen seinen Mitmenschen und nicht zuletzt der ganzen Schöpfung gegenüber als Niederschlag der „frohen Botschaft“.

Der Philosophiehistoriker Vasilij Ženkovskij bezeichnete Simon Ludevic Frank als den ohne Zweifel bedeutendsten russischen Philosophen überhaupt. Mit etlichen anderen russischen Philosophen der 1910er- und 1920er-Jahre hatte Frank gemein, dass sie zunächst als Marxisten in der akademischen Welt aufgetreten waren und sich dann von dieser Option wieder getrennt hatten – wohlgemerkt bereits vor der Oktoberrevolution.

Frank, in einer Moskauer Intellektuellenfamilie aufgewachsen, war von der Religiosität seines Großvaters, einem Rabbiner, geprägt. Mit 37 Jahren konvertierte Frank zur russischen Orthodoxie. Er gehörte zu jener Gruppe von Intellektuellen, die 1922, im nachrevolutionären Russland, auf Geheiß des Volkskommissariats für Bildung auf jenem legendären „Philosophenschiff“ über die Ostsee nach Europa abgeschoben wurden. Simon Frank versuchte, in der Berliner russischen Kolonie Fuß zu fassen und unterrichtete am dortigen slavistischen Seminar. Mit der deutschen Sprache war Simon L. Frank nicht zuletzt wegen seiner deutschsprachigen Großmutter vertraut.

Als „nichtarischer Christ“ bekam Frank im Berlin der späten 1930er-Jahre zunehmend Schwierigkeiten und musste Anfang 1938 nach Frankreich emigrieren. Doch die NS-Diktatur holte Frank wieder ein. „Zwei Revolutionen in einem Leben sind zuviel“, so hatte sich Simon L. Frank seinem guten Freund, dem Psychologen Ludwig Binswanger gegenüber ausgedrückt. Den Zweiten Weltkrieg überstand Frank mit seiner Frau mehr schlecht als recht im besetzten Frankreich. 1945 übersiedelte Frank zu seinen Kindern nach London, wo er 1950 starb.

Seine Untersuchung „Licht in der Finsternis“ verstand Simon L. Frank als weiteren Versuch einer „Einführung in die Sozialphilosophie“. Er setzte dabei auf Leser, die sowohl an religiösen wie auch gesellschaftlichen Fragen interessiert sind und sich neben theoretischen Aufschlüssen auch Hilfestellung „bei der praktischen Aufgabe der gesellschaftlichen und geistigen Erneuerung“ erhoffen.

Unermüdlich betont Frank dabei die reale Evidenz christlicher Nächstenliebe. Dem „Heiligtum der menschlichen Persönlichkeit“ ist es gegeben, zwischen Licht und Dunkel, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden: „Aber in allem übrigen – wenn wir darüber urteilen, was gut für uns ist und was von Übel, wenn wir die Bedeutung von Leiden und irdischen Freuden, von Gesundheit und Krankheit, von Reichtum und Armut, von Leben und Tod für uns bewerten –, in all dem werden wir offensichtlich nur von unseren begrenzten und inadäquaten Vorstellungen geleitet, denen wir mit einer Selbstsicherheit, die durch nichts gerechtfertigt wird, die Bedeutung der absoluten Wahrheit zuschreiben“.

Dem Alber-Verlag gebührt das Verdienst, das Projekt einer achtbändigen Werkausgabe der Schriften von Simon L. Frank unter der Betreuung international ausgewiesener Experten auf den Weg gebracht zu haben. In den weiteren Folgen werden Schriften zur Anthropologie, zur Ethik, zur Religionsphilosophie sowie zu Fragen der Literatur und Zeitgeschichte aufgenommen.

Der deutsche Leser vermag nunmehr, unterbrochen von über einem halben Jahrhundert der Diktaturen, die Fäden dieses eindrucksvollen russischen Denkers aufzugreifen und weiterzuknüpfen. Die Bezüge dieser solide übersetzten Stimme auf den Sinn unseres Daseins erweisen sich als unerwartet aktuell.

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Simon L. Frank: Licht in der Finsternis. Versuch einer christlichen Ethik und Sozialphilosophie. Werke in acht Bänden.
Verlag Karl Alber, Freiburg 2008.
306 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783495479391

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