Die nicht ganz permanente Revolution

Robert Menasse schreibt Essays zum Einmal-Lesen

Von Michael DuszatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Duszat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Robert Menasses jüngster Sammlung von Essays geht es um Begriffe, mit denen praktisch jeder Mensch täglich umgehen muss. Diese Begriffe – Arbeit, Religion, Europa, Demokratie, Kritik, Kultur, Öffentlichkeit und Sucht – sind allesamt Klassiker der Kulturkritik, und als kulturkritisch lässt sich das Buch am besten verstehen. Die Sammlung ist so strukturiert, dass jedem Begriff ein „Vortrag“ zugeordnet ist, der ihn, so deutet der Titel „Permanente Revolution der Begriffe“ an, kritisch hinterfragt und neu beleuchtet. Der Untertitel „Vorträge zur Kritik der Abklärung“ zeigt an, dass es Menasse in guter kritischer Tradition darum geht, einer verbreiteten Gleichgültigkeit und Dumpfheit im Umgang mit den vitalen Bausteinen und Errungenschaften der Aufklärung – wie sie sich gerade in den vom Autor ausgewählten Begriffen zeigt – entgegenzuwirken.

Die einzelnen Essays gehen dabei traditionell vor und bieten genretypische Verbindungen von persönlichen Erfahrungen, eleganten Überlegungen, überraschenden Assoziationen und polemischen Zuspitzungen. Wir erfahren unter anderem, wie die Säkularisierung die Religion nicht abschaffte, sondern nur in den Kapitalismus verlagerte, warum der 11. September 2001 uns, die Öffentlichkeit, nicht so „glücklich“ machen konnte wie noch die Ermordung Kennedys, und warum Demokratie trotz ihrer allgegenwärtigen utopischen Aura in Wirklichkeit seit mehr als fünfzig Jahren ein „Abschreibposten“ ist.

Das alles sind erfrischende Augenöffner, auch wenn die Gedanken oft nicht wirklich neu sind. Das pointierte Darstellen von uns allen irgendwie präsenten, aber nicht wirklich klaren Sachverhalten ist aber gerade die Stärke der Sammlung. Der erste Vortrag, einer der besten, fragt etwa nach der Wirksamkeit der Losung „Arbeit macht frei“. Diese finden wir heute, auf Grund ihrer Verwendung durch die Nazis, zwar unerträglich zynisch. Aber, so Menasse, trotzdem folgen wir ihr bereitwilliger denn je, weil wir an nichts so sehr glauben wie an das Versprechen der Arbeit. Gegen diesen Missstand stellt Menasse den „Kopfstand“, also die konkrete Übung, das Verhältnis von Arbeit und Freiheit einmal umzudrehen und nicht länger alten Heilsversprechen zu glauben, die sagen, dass Arbeit für das Erlangen von – persönlicher und gesellschaftlicher – Freiheit notwendig sei. Man sieht hier, dass das an sich kein revolutionärer Gedanke ist, aber so wie Menasse ihn arrangiert – bündig, provokant und vernünftig – wird er ein erfrischendes Antidot gegen das permanente, gleichförmige, deprimierende Gerede von der Unabdingbarkeit von „Arbeit“ in weiten Teilen der Öffentlichkeit.

Trotzdem ist das Endergebnis nicht ganz überzeugend. Denn die im Grunde starken Texte werden immer wieder durch eine eigenartige schriftstellerische Arroganz verdorben. Einem Satz wie „ich glaube mit einigem Recht vermuten zu dürfen, dass Sie sich noch nie mit der Frage auseinandergesetzt haben, was es bedeutet, die Arbeitslogik auf den Kopf stellen zu müssen“ folgt bei nächster Gelegenheit der Satz „aber ich habe mir schon einiges dabei gedacht“. Menasse konstruiert sich mit solchen Manövern etwas penetrant als Intellektuellen und weist sich eine scheinbar interessenlose, allgemeine, alles überblickene Position zu, aus der heraus er mit größerer Autorität über die Dinge sprechen kann. Die abstruse Theorie dahinter, die dem Intellektuellen, der in erster Linie das Allgemeine sehe, den Typus des Metzgers, der sich eher für Steaks interessiere, gegenüberstellt, kann man im übrigen in dem letzten Essay zum Thema „Kritik“ nachlesen.

Eine gewisse Verachtung für den gleichberechtigten Dialog mit dem Publikum zeigt sich schon in der angebotenen Genrebezeichnung „Vortrag“. Auf dem Buchtitel ist zwar auch die Einordnung „Essays“ zu finden, und Menasse nennt sich selbst einen „Essayisten“. Gleichzeitig werden die einzelnen Texte aber als „Vorträge“ ausgezeichnet. Das ist, literaturgeschichtlich gesehen, kein Widerspruch, wenn man daran denkt, dass traditionell viele Texte, die später als Essays in Büchern gedruckt wurden, zuerst mündlich als Vorträge gehalten wurden –so zum Beispiel viele der Essays Ralph Waldo Emersons. Liest man einen Text als Essay, darf man jedoch erwarten, dass es um mehr geht als um das Ausformulieren eines wie auch immer klugen Gedankens. Das scheint bei Menasse nicht der Fall zu sein. Denn obwohl er das Publikum immer wieder direkt auffordert, eigenständig zu denken, funktionieren seine Texte jedoch eher so, dass man dem Vortragenden in erster Linie zuhören und seine Ausführungen verstehen soll.

Menasses oft entschiedener, endgültiger Ton ist zweifellos berechtigt angesichts der Ungerechtigkeiten, über die er spricht und über die niemand gerne etwas hören will. Und meist gelingt es ihm auch, auf die blinden Stellen gegenwärtig populärer Begriffe hinzuweisen. Der autoritäre Stil führt aber auch dazu, dass das Versprechen der „permanenten Revolution“ nicht ganz eingelöst werden kann. Denn ist ein Begriff einmal von Menasse revolutioniert, so impliziert sein Duktus, sei kein weiteres Nachdenken mehr nötig. Wer die Essays einmal gelesen hat, der hat ihre wesentlichen Punkte verstanden und braucht sie nicht noch einmal zu lesen. Man kann ihnen am Ende zustimmen oder auch nicht. Wenn es auch oft eine abenteuerliche Reise bis dahin ist, haben Menasses Texte nach einmaligem Lesen meistens ihr Pulver verschossen.

Titelbild

Robert Menasse: Permanente Revolution der Begriffe. Essays.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
124 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125922

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