Die Roaring Twenties

Airens „Strobo“ schildert Techno, Drogen und Spätpubertät

Von Hans Peter RoentgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans Peter Roentgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das ist Techno. Noch einmal vor dem Vergängnis blühn. Das ist mein Thema. Die Angst, mit der Unvernunft die Jugend ziehen zu lassen. Lass mich noch mal vorm Vergängnis blühn, ein Teil einbauen, ein Gramm Pep ziehen, die Mucke hören wie nie zuvor, tanzen für das Hier und Jetzt. Techno ist das plastische Moment, das alles Morgen und Vielleicht mit einem galanten Hauch beiseite streift. Natürlich. Jetzt. Sound.“

Airens Buch „Strobo“ schildert die Roaring Twenties der Spätpubertät in der Techno-Szene Berlins, im härtesten Club Deutschlands: dem Berghain.

Egal, was morgen wird, scheiß auf all die Vernunft, lebe, erlebe. Keine Droge auslassen, keine Party, die Musik fühlen. Der Autor nimmt uns mit, weil er einfach so gut schreiben kann. Das hier ist keine Betroffenheitsgeschichte voller Gesülze, auch keine Lebensbeichte, sondern ein Roman über ein Lebensgefühl. Und auch, wer absoluter Drogen- und Technoabstinenzler ist, kann das nachvollziehen. Weil der Text den Leser in dieses Leben hineinzieht. Wer hat mit fünfundzwanzig nicht auch geglaubt, dass er was versäumt, wenn er die nächste Party sausen lässt? Wer hätte nicht an sich gezweifelt, an seinem Beruf, an der Zukunft? Momente absoluten Glücksrauschs wechseln mit denen absoluter Verzweiflung. Und Verzweiflung gibt es oft. Manche wilde Drogeneinnahme wirkt, als wolle Airen sich selbst verletzen, nur um sich selbst zu spüren. Es schmerzt, also bin ich.

Airen bewertet nicht, er schildert dieses Leben. Was davon zu halten ist, muss jeder Leser selbst entscheiden. Er ist auch kein verwahrlostes Wohlstandkind, das nun auf die schiefe Bahn geraten ist. Tagsüber arbeitet er in einer Unternehmensberatung. Nicht am Bahnhof Zoo. Das ist die eine Sache, die auffällt: Wie normal die Menschen sind, wie gut er sie schildert, den Schatzmeister eines Finanzverbandes und all die anderen, die trotz Drogen ihre normale Beschäftigung haben.

Die erzählt uns Airen aber nicht. Was er tatsächlich beruflich in dieser Unternehmungsberatung gemacht hat, bleibt im Dunkeln. Vielleicht ist es gerade diese nebulöse Arbeit – was mache ich eigentlich? –, die seinen Erlebnishunger befeuert. Zwar gehen Botschafter in den Räumen ein und aus. Aber was tun sie dort? „Die meisten Manager haben nicht mehr drauf als Ego-Spielchen und Anglizismen. Ich spiele mit“.

Auffällig auch der getriebene Sex. Die ständige Geilheit, meist mit Männern ausgelebt, obwohl sich der Erzähler gar nicht als homosexuell betrachtet, wie er mehrfach betont. Vielleicht ist er es auch wirklich nicht. Denn Frauen kommen zwar sehr viel seltener vor, wenn, dann aber höchst problematisch. Das könnte in Gefühle ausarten. Und davor hat der Erzähler Angst. Oder er will sie vermeiden. Jeder Mann hat Angst vor Frauen.

Trotz aller Exzesse kann er seine bürgerliche Existenz aufrechterhalten, in Schlips und Krawatte zur Arbeit gehen, ist nicht der abgefuckte Junkie. Auch das entspricht nicht unserer Vorstellung. Noch erstaunlicher ist es, wie gut und genau er auch mit Drogen im Blut seine Erlebnisse im Nachhinein schildern kann. Schade nur, dass das Ganze abbricht, dass man das Danach nur aus Interviews mit dem Autor erfährt. Mittlerweile hat er sich doch noch verliebt und ist verheiratet. Auch Techno wird irgendwann dreißig.

Ein Buch, das mitnimmt, sprachlich sehr gekonnt, authentisch erzählt und ohne Gejammer, Entschuldigung oder Interpretationen. Fast möchte man sagen: Schön, dass es abgeschrieben wurde. Nicht wegen dem Abschreiben – das ist ein Skandal, Intertextualität hin oder her –, sondern weil dadurch „Strobo“ endlich die Aufmerksamkeit erhält, die der Text verdient. Auch wenn ihn jetzt viele Literaturkritiker niedermachen, weil sie stattdessen lieber das Plagiat hochloben wollen.

Anmerkung der Redaktion: Beiträge und Hinweise zur Debatte über Helene Hegemanns Roman "Axolotl Roadkill", der Passagen aus "Strobo" übernommen hat, finden Sie in unserem Kulturjournal.

Titelbild

Airen: Strobo.
SuKuLTuR Verlag, Berlin 2009.
170 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783941592063

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