Reisen light

Janet Malcolm ist unterwegs auf Tschechows Spuren

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Tschechow lesen. Eine literarische Reise“, dass muss zu Anfang gesagt werden, ist kein schlechtes Buch. Die Idee, sich auf Tschechows Spuren zu begeben, den Leser mit auf die Krim zu nehmen, um sich von hier aus dem Dichter und seinem Werk zu nähern, ist bestechend und die Autorin eine anerkannte amerikanische Journalistin vom renommierten „New Yorker“. Aber wer über Tschechow schreibt, wird eben auch an Tschechow gemessen. Daneben zu bestehen ist – fast unmöglich.

Die Erwartungen sind also hoch, schlägt man die erste Seite auf, und in der Tat: „Janet Malcolms Reise auf den Spuren Anton Tschechows beginnt mit einem Desaster: Am ukrainischen Flughafen von Simferopol verschwindet ein Unbekannter mit ihrem Koffer. Als sie sich anschließend von einer Fremdenführerin zu jener Bank begleiten lässt, von der aus die beiden Liebenden in Tschechows Erzählung ,Die Dame mit dem Hündchen‘ auf Jalta blicken, wird ihr klar, daß die Aussicht nicht im Entferntesten so hübsch ist wie erwartet.“

Leider sind aber mit diesen beiden Ereignissen bereits die zwei Höhepunkte ihrer Reise in die Heimat des russischen Dichters genannt. Wesentliches wird sich auf Janet Malcolms Stationen St. Petersburg, Jalta und Moskau, den Orten in Tschechows Leben, nicht mehr ereignen. Statt dem „Abenteuer Tschechow“ erwarten den Leser Anekdoten über die miesepetrigen Reiseführerinnen, Probleme mit dem Hotelfernseher oder der Besuch einer mäßigen Theateraufführung. Bemüht wirken ab und an auch die Bögen, die Janet Malcolm von diesen Ereignissen zu Tschechow schlägt – obwohl insgesamt gerade hier, in dem Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion, die Stärken des Buches liegen.

Dass ihr Band eine Liebeserklärung an den russischen Autor ist, dass Janet Malcolm über „Tschechows Kindheit, seine Beziehungen, die frühen Triumphe, seine literarischen Figuren und Themen“ recherchierte und in den Text einfache, aber interessante Fragen einarbeitet („Warum gestehen sich Tschechows Figuren ihre Liebe meist in verwunschenen Gärten? Warum mochte Tschechow keine Hochzeiten? Und was ist die Wahrheit hinter dem Mythos seines Todes, den er angeblich mit einem Glas Champagner in der Hand erwartet hat?“), macht das Buch zu einer angenehmen Einführung für jemanden, der mit Tschechow bisher noch nicht in Berührung gekommen ist. Dass Janet Malcolms Spekulationen bei dem Versuch, Antworten auf ihre Fragen zu finden, an einigen Stellen arg an den Rand der Küchenpsychologie grenzen, sei der fast achtzigjährigen Dame verziehen.

Immerhin: Durch die Einarbeitung von zahlreichen Zitaten trägt sich Tschechows klare, elegante Sprache in ihr Buch, und kommt der Geschichte zu Gute. Zumal Janet Malcolm sich selbst angenehm zurücknimmt. Statt sich zu profilieren, überlässt sie die Bühne dem Dichter „des Provisorischen und Zerbrechlichen“. Sie betätigt sich als Vermittlerin, nicht als Lehrerin und lässt dem Leser somit das Gefühl, an ihrer Seite Neuland zu entdecken. Nur wird dieses Versprechen eben leider nicht eingelöst. Enttäuschend ist vor allem die Tatsache, dass ihre Reise nicht nur nach der Touristenroute professioneller Führerinnen verläuft, sondern sich praktisch auch auf jene Orte aus Tschechows Leben beschränkt, die allgemein bekannt und heutzutage sowieso für jeden zugängliche Museen sind. Und wenn Janet Malcolm dann den einzig abgesperrten Raum in Tschechows Haus, die Küche, nicht betritt und somit auch dem Leser den Zugang zu einem von ihr erwähnten Ort verwehrt, den er sich nur mit Hilfe der Journalistin hätte erschließen können, fühlt man sich tatsächlich ein wenig betrogen.

Zwar wohnt ihrem Buch jenes mühelose Dazulernen inne, dass auch dem Reisen zu eigen ist, so dass die Figur Tschechows ohne jede Anstrengung am Ende des Buches zu einem Vertrauten wird, ein Gefühl von Zufriedenheit hinterlässt die Lektüre dennoch nicht. Dass alles erklärt dann auch Janet Malcolms für eine Journalistin, die eine literarische Reise veröffentlicht, etwas merkwürdig anmutende Aussage aus dem ersten Kapitel: „Ohne genau zu wissen, warum, fand ich Reiseschriftstellerei immer etwas langweilig, und jetzt schien der Grund klar: Vom Gefühl her ist Reisen eine schwache Erfahrung, blaß im Vergleich zum wirklichen Leben.“ Für ihr Buch zumindest scheint diese Aussage zutreffend. „Tschechow lesen. Eine literarische Reise“ ist „Reisen light“ und „Tschechow light“, das Buch ein durchaus angenehmer Zeitvertreib, aber irgendwie weder Fisch noch Fleisch.

Titelbild

Janet Malcolm: Tschechow lesen. Eine literarische Reise.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Anna und Henning Ritter.
Berlin Verlag, Berlin 2010.
203 Seiten, 20,50 EUR.
ISBN-13: 9783827009005

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