In Labyrinthen aus Pappe
Manu Larcenet zeichnet „Die Rückkehr aufs Land“ als ebenso witziges wie skurriles Abenteuer
Von André Schwarz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHierzulande ist der französische Comiczeichner Manu Larcenet zumeist durch seine autobiografisch inspirierte, vierbändige Reihe „Der alltägliche Kampf“ bekannt geworden, die mit ihrer ernsten und berührenden Geschichte auch die größten Comic-Skeptiker überzeugen konnte. Etwas verspielter, mit mehr Humor und weniger Ernsthaftigkeit wartet seine neue Serie „Die Rückkehr aufs Land“ auf. Auch hier ist es wieder ein Künstler, diesmal zwar kein Fotograf, sondern ein Zeichner, der mit Freundin und Katze aufs Land zieht, weg von der Hektik und dem Chaos der Großstadt, um dort zu sich selbst zu finden.
Einige weitere Parallelen finden sich darüber hinaus: Der Besuch des etwas verschrobenen Bruders, der Kinderwunsch der Partnerin, das Suchen und das Finden des eigenen Lebensweges. Doch in der „Rückkehr aufs Land“ lässt Larcenet die düsteren Themen, die den Vorgänger prägten – Angstzustände, die Kriegsverbrechen in Algerien, die Krankheit und der Tod des Vaters und das Sterben den Werften in seiner Heimat – außen vor. Er konzentriert sich vielmehr auf seine Protagonisten und vor allem auf die Dorfbewohner. Vielleicht ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass dieses Mal nur die Zeichnungen von Larcenet selbst stammen, die Texte steuerte Jean-Yves Ferri bei.
Das Landleben ist hier nur vordergründig eine ungetrübte Idylle. Der Willkommensschnaps des Nachbarn ist ein wahres Teufelszeug, die unberührte Natur eine kaum beherrschbare Wildnis, die vorgeblich reine Luft ist durchzogen von den Pestiziden Monsieur Henris. Im Haus selbst könnte man sich in Labyrinthen aus unausgepackten Pappkartons verirren. Keinen Moment scheint man unbeobachtet zu sein, denn immer wenn ein Fenster ins Bild kommt, steht die geheimnisvolle Madame Mortemont, der Vermieter oder der Bürgermeister dahinter, der von Manu ein Plakat fürs alljährliche Schweinefest gezeichnet haben möchte.
Überhaupt sind die Bewohner des Dorfes ein absolutes Highlight des Buches, das die ersten beiden Teile der Reihe versammelt, die bereits 2002 und 2003 in Frankreich erschienen. Die schöne Bäckerin etwa, die man allerdings nie zu Gesicht bekommt, von der man aber umso mehr hört. Der Einzelhändler Loupiot beispielsweise – bei dem Manu vergeblich versucht, ein paar Radiergummis zu kaufen und der zu allem Übel auch noch der regionale Fachhändler für Computerzubehör ist – ist ein ebenso liebevoll gezeichneter Kauz wie die bereits erwähnte Madame Mortemont, die mit ihren geheimnisvollen Sinnsprüchen als eine Art Orakel fungiert. Ein grandioser Einfall ist auch der auf einem Baum im Wald lebende nackte Eremit mit zotteligen grauen Haaren, der sich als der ehemalige Bürgermeister entpuppt und in dem Manu einen mehr als passenden Ersatz für seinen Psychotherapeuten findet.
Mit einem Schmunzeln und einer gehörigen Portion Sympathie betrachtet man die Initiation Manus in die dörfliche Gemeinschaft, wenn man ihn etwa in einer sich über mehrere Seiten erstreckenden Sequenz beim Baumfällen mit den Männern begleitet – und das Ganze sich natürlich als Ding der Unmöglichkeit erweist. Die Dorfbewohner bringen Manu dann besorgt, kleinlaut, aber ohne Häme wieder zu Marietta zurück. Beim abschließenden Schweinefest bekommt er sogar als Zeichen der Anerkennung – und, wie der Bürgermeister süffisant bemerkt, als „Ermutigung zu [Manus] Beitrag zu unseren bevölkerungspolitischen Maßnahmen“ – ein lebendes Schwein als Geschenk.
Werbung für eine konservative und reaktionäre „Zurück aufs Land“-Ideologie ist Larcenets und Ferris Comic jedoch auf keinen Fall, nie lassen die Bilder und der Text diesen Eindruck aufkommen. Humorvoll werden die Marotten der Bewohner und die Untiefen der ländlichen Gemeinschaft ausgelotet, ohne auf die eine oder andere Spitze zu verzichten. Die „Rückkehr“ wird nicht zu einem Heimkommen, sondern zu einem Abenteuer in der Fremde, das zunächst einmal ganz schön stressig ist und das einen erst einmal die Annehmlichkeiten der Stadt zu schätzen lernen lässt. Und so beschließen Manu und Marietta nach dem Entschluss, auf dem Lande bleiben zu wollen, erst einmal eine Reise in die Stadt anzutreten, um sich mal wieder entspannen zu können.
Die Zeichnungen des Buchs sind dabei einfach gehalten, besitzen aber gerade in der Gestik und Mimik der Figuren einen erstaunlichen Detailreichtum. Vor allem schaffen sie es, auf kleinem Raum eine Geschichte zu erzählen. Ferris Texte unterstütze die Bilder bravourös. So mancher vordergründig nur als Kalauer erscheinende Scherz wird im Verlauf des Buches noch einmal aufgenommen und erscheint im Rückblick als geschickte Vorbeitung auf eine weitaus subtilere komische Wendung. „Die Rückkehr aufs Land“ ist in der Tat ein würdiger „kleiner Bruder“ (so der Verlag treffend) von Larcenets Soloreihe „Der alltägliche Kampf“, der einige Motive der Geschichte geschickt variiert und dabei das Augenmerk mehr auf das Außen richtet, ohne dabei auf Tiefe zu verzichten.
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