Krieg und Frieden unterm Mikroskop

Silvia Berger erzählt eine Geschichte der Bakteriologie

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Silvia Berger erzählt die Geschichte der Bakteriologie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ihr Augenmerk legt sie auf Deutschland, das neben Frankreich als Weltzentrum bakteriologischer Entwicklungen gelten konnte: Über Preußen hätten Robert Koch und seine Schüler ein dichtes „Netz hygienisch-bakteriologischer Untersuchungsstellen“ aufgespannt, durchaus zum Wohle der Bevölkerung, wenngleich sich die Furcht vor unsichtbaren, allgegenwärtigen Krankheitserregern zur Landplage steigern konnte. Leitende Gesichtspunkte der Untersuchung Berger sind erstens die geistige und institutionelle Verknüpfung der Bakteriologie mit Krieg und Heerwesen, also „[…] die Frage nach der Bedeutung des Krieges als politisch-militärisch-kulturellem Setting für die Positionierung und Erprobung der bakteriologischen Deutungs- und Ordnungsmacht“. Zweitens die bakteriologische Sprache samt ihrem militanten und angesichts des Folgenden einigermaßen gespenstischen Inventars von Metaphern: Die Rede vom „Vernichtungskrieg“ gegen „Todfeinde des Menschengeschlechts“, nämlich Bakterien, oder deren „Invasion“ im menschlichen Körper sei, so Berger, seit längerem wissenschaftlich dokumentiert. Aber die „Rolle von Metaphern bei der Stabilisierung oder Destabilisierung bakteriologischer Wahrheiten“ sei bislang nicht berücksichtigt worden.

Als ein methodisches Leitbild firmiert Ludwik Fleck, jener polnische Bakteriologe jüdischer Herkunft – und Überlebende des Holocausts –, der in den 1930- Jahren wesentliche Einsichten der „relativistischen“ historischen Erkenntnistheorie vorwegnahm, die Jahrzehnte später durch Thomas S. Kuhn („The Structure of Scientific Revolutions“, 1962) populär gemacht wurde. Berger geht es darum, den „Denkstil“ des bakteriologischen „Denkkollektivs“ im Wandel der Zeit und unter den oben genannten Gesichtspunkten zur Darstellung zu bringen. Die Rede von „bakteriologischen Wahrheiten“ lässt erkennen, dass Berger Flecks quasi relativistische, auf die Kontingenz aller Weltbilder, abhebende Sichtweise teilt. Diese Haltung ist methodisch motiviert: Für den Historiker bleibt es unerheblich, ob irgendeines der „Denkkollektive“ Bakterien, wie sie „an sich“ sind und wirken, erfasst.

Eine wesentliche Einsicht Bergers liegt darin, dass „ökologische“, auf „friedlicher Koexistenz“ von Mensch und Bakterien gründende Ideen öffentlicher Gesundheitspflege schon in der Weimarer Zeit Zustimmung fanden und die zuvor, im Krieg und Vorkrieg gepflegte, „eliminatorische“ Verfahrens- und Redeweise nach Art der Schule Robert Kochs zu verdrängen begannen. Die (unfreiwillige) Demobilisierung in Folge des verlorenen Krieges zog die Abwicklung militärärztlicher Institutionen nach sich, und auch aus diesem Grunde waren „defensivere“, selbst „friedlichere“ Weisen des Umgangs mit Bakterien und Seuchen en vogue: „Nicht vom ‚Krieg“ und „Kampf zweier Feinde“ auf Leben und Tod war in den 1920er Jahren die Rede, sondern von „Symbiosen“ und diffizilen „Gleichgewichten“, die sich bei den wechselseitigen Interaktionen zwischen Menschen und Mikroben im Infektionsgeschehen und bei Seuchengängen einstellten.“

Bergers „Bakterien in Krieg und Frieden“ ist einerseits in medizingeschichtliche Zusammenhänge einzuordnen, wie sie im Umfeld Philipp Sarasins am Historischen Seminar der Universität Zürich entwickelt wurden: Dies ist die leicht adaptierte Publikumsfassung einer Dissertation, die unter Sarasins Anleitung erarbeitet wurde. Zum anderen gibt Silvia Berger eines der wenigen überzeugenden Beispiele für gelingende „Interdisziplinarität“ zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: Die „Zwei Kulturen“ – mit C. P. Snows berühmtem Wort – finden sehr selten eine gemeinsame Sprache. Für dieses Mal haben Geistes- und Naturwissenschaftler erfolgreich zusammengewirkt. Berger lässt in der Danksagung erkennen, wie viel sie Naturwissenschaftlern, zumal vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, zu verdanken hat.

Darüber hinaus kommt Paul Virilio in den Sinn, der wohl als erster unwahrscheinliche, doch umso wirklichere Zusammenhänge zwischen kriegerischen und scheinbar friedfertigen Disziplinen aufgezeigt hat. So lenkt er seit den 1980er- Jahren den Blick auf „Krieg und Kino“ beziehungsweise „Krieg und Fernsehen“. Auch der Körper als Schlachtfeld wurde bei Virilio thematisch – dies alles in essayistischer, methodisch unbekümmerter Weise, sodass der Vergleich mit Berger – so sehr er sich inhaltlich aufdrängen mag – der Form der Darstellung nach nicht zulässig zu sein scheint: An Bergers skrupulöser Arbeitsweise, die „kleine Münze“ gibt’ statt „große Scheine“ auszustellen, gibt es methodisch nichts zu bemängeln. Angesichts der immensen Stofffülle – die Fußnoten mit Quellenangaben zählen nach Hunderten – muss die Genauigkeit und Dichte ihrer Darstellungsweise umso mehr Bewunderung wecken.

Die Autorin schließt mit einem „Ausblick“ auf „Bakteriologie nach der Machtergreifung“. Dieser Abschnitt ist mit zwanzig Seiten – wenig bei vierhundert Seiten fortlaufendem Text – sehr knapp gefasst. Dieser Entschluss ist mehrfach gerechtfertigt: Ausdrücklich widmet sich Bergers Dissertation dem Zeitraum zwischen 1890 und 1933. Mehr oder anderes ist nicht beabsichtigt gewesen. Zum Zweiten würden Reflexionen zur Bakteriologie – und bakteriologischen Metaphernsprache – unter dem Nationalsozialismus besonders viel Raum einnehmen müssen, weil die umfassende Erforschung des Institutionengemenges im nationalsozialistischen Staat erst in jüngerer Zeit systematisch betrieben wird. Mag Bergers sprachlicher Gestus frei von literarischer Ambition sein, mag sie auch nicht immer den einfachsten möglichen Ausdruck gewählt haben – es wäre beim Umfang des Buches eine wirkliche Sisyphosarbeit –, ihr Gliederungs- und Steigerungsgeschick ist beachtlich. Damit wird klar, weshalb sie von „Akten“ eines geschichtlichen Dramas spricht und den ersten Teil ihres Buches, der „dem Aufstieg der Bakteriologie“ zur medizinischen Leitwissenschaft des Kaiserreichs gewidmet ist, das heißt den Jahren um 1890, die „Bühne“ fürs Folgende „bereiten lässt“: Jahrhundertwende, Kriegszeit und Weimarer Republik.

Was die „Metaphernzirkulation“ zwischen Militär, Bakteriologie und antisemitischer Propaganda betrifft – und unterschwellige Traditionen vom Kaiserreich über Weimar zum Nationalsozialismus –, wird vieles Erhellende mitgeteilt: Zum Ende des „Ersten Weltkriegs“ wurden die östlichen Grenzen Deutschlands per Beschluss des preußischen Innenministeriums für „Ostjuden“ gesperrt. Diese galten als „Träger und Verbreiter von Fleckfieber und anderen ansteckenden Krankheiten“. Berger schreibt: „Die Implementierung des Grenzschlusses gegen die osteuropäischen Juden basierte […] zentral auf dem Transfer der dominanten Symbole und Metaphern der Bakteriologie und Hygiene in die Politik. […] Der deutsche „Volkskörper“ konstituierte sich gleichsam durch die Ausschließung, Ausstoßung und Verwerfung der Ostjuden.“

Titelbild

Silvia Berger: Bakterien in Krieg und Frieden. eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland 1890 - 1933.
Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
476 Seiten, 46,90 EUR.
ISBN-13: 9783835305564

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