Ein Leben im Dazwischen

Yusuf Yesilöz erzählt eine Exilgeschichte im Spannungsfeld von Integration und Tradition

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1987 floh der kurdische Autor und Filmemacher Yusuf Yesilöz als 23-Jähriger in die Schweiz. Heute lebt er bestens integriert in Winterthur und schreibt seine Bücher auf Deutsch. Doch noch immer pochen zwei Herzen in seiner Brust. „Die Verwurzelung ist vielleicht das wichtigste und meistverkannte Bedürfnis der menschlichen Seele“, zitiert er Simone Weil im Vorspann zu seinem neuen Roman „Gegen die Flut“.

Darin erzählt er vom kurdischen Sänger Alan, der sich in der Schweiz gut eingelebt hat. Er ist mit seinen Konzerten erfolgreich, und die Ehe mit der Psychotherapeutin Dagmar hat den kulturellen Unterschieden bisher standgehalten. Mit ihren zwei Kindern, der Tochter Zerye und dem Adoptivsohn Dara, bilden sie eine unscheinbare Kleinfamilie. Ein einmaliger Seitensprung Dagmars führt jedoch zum Zerwürfnis. Alan empfindet diesen als Schmach und zieht aus der Wohnung aus, wodurch sich wiederum Dagmar verletzt fühlt und auf eine Trennung drängt. Bisher verdeckte Gefühle brechen unvermittelt auf. Im Schatten der zwei ungleichen Kulturen bleibt aber unklar, wer welche Schuld trägt.

Verletzt und einsam macht Alan die Bekanntschaft einer heiteren türkischen Frau, Meryem, die sich in ihn verliebt und ihm freimütig ihr Herz öffnet. Im Namen der Tradition hat sie erlebt, wie ihr die Familie die Freiheit rauben wollte. Auch Alan trägt ein Geheimnis mit sich: in der Türkei liess er eine Tochter und eine ihm versprochene Frau zurück. Doch er rückt damit nicht heraus.

Aus Alans Perspektive erzählt Yesilöz von den Irritationen, die den gut integrierten Sänger im Spannungsfeld von Tradition und Anpassung gefangen halten. Er bleibt zurückhaltend, was ihm von seiner Frau zum Vorwurf gemacht wird. Selbst dass er – ein Don Juan wider Willen – Erfolg bei Frauen hat, macht den Melancholiker nicht glücklich.

„Gegen die Flut“ ist ein Roman mit zwei Gesichtern. Die Beziehungsgeschichten wirken etwas oberflächlich angelegt – insbesondere Meryem bleibt eine Kunstfigur. Yesilöz ist kein Sprachzauberer, seine Beziehung zur deutschen (Fremd-)Sprache ist eher pragmatisch. Er nutzt sie als Medium, um zu erzählen. Genau hierin liegt seine Stärke. „Gegen die Flut“ überzeugent durch die hohe Sensibilität, mit der das Gefühlskarussell des Helden eindrücklich geschildert wird. Dieser kann nicht aus seiner Haut. Am Ende lässt Yesilöz klugerweise offen, weshalb die Ehe zwischen Alan und Dagmar geschieden wird. Letztlich kann es hier keine Eindeutigkeit geben, weil Dagmar wie Alan notgedrungen ihren Traditionen verpflichtet bleiben. Dagmars Wunsch nach Vergebung muss uneingelöst bleiben, weil ein gehörnter kurdischer Mann zum Gespött wird und nicht mehr vor seine Familie treten kann.

Titelbild

Yusuf Yesilöz: Gegen die Flut.
Limmat Verlag, Zürich 2008.
216 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783857915598

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch