Salzige Kost

Thomas Strässles anstrengende Literaturgeschichte des Salzes

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Salz ist eine „schöpferische Substanz“ und lebt „in den Ritualen der Gastfreundschaft, auf den Opfertischen der Magier, im Denken der Philosophen und in den wuchernden Bildern der Dichter“. Das schreibt Peter von Matt, und der Verlag zitiert es auf der Umschlagrückseite einer Studie, die der 1972 in Baden (Schweiz) geborene, heute in Bern und Zürich lehrende Germanist und Komparatist Thomas Strässle geschrieben hat. Unter einem anderen Titel wurde sie 2008 als Habilitationsschrift angenommen, und ihr Erzählduktus entspricht exakt diesem akademischen Genre. Wer genauer wissen möchte, in welchem Sprachstil man heute solche Qualifizierungsarbeiten verfasst, der ist hier richtig. Wer sich allerdings für das zweifellos spannende Thema interessiert und eine gut lesbare Kulturgeschichte des Salzes erwartet – und das darf man bei einem Publikumsverlag wie Hanser –, der hat es wahrlich schwer: Strässle baut ihm keine Brücken. Der geduldige Leser, der auch gelegentlich ins Nichts führende Um- und Abwege nicht scheut, muss sich durch gespreizt klingende Sätze schlagen, um mit überraschenden Einsichten und einleuchtend begründeten Erkenntnissen belohnt zu werden, deren Wert sich allerdings auch nicht immer ganz einfach erschließen.

Der Autor beginnt mit einer Interpretation des Märchens „Prinzessin Mäusehaut“, das „auf engstem Raum und in paradigmatischer Weise eine Kontroverse um Lesarten des Salzes“ vorführe und das Salz in sein „konfliktuöses Zentrum“ setze, „um aus dessen Diskreditierung und impliziter Rehabilitierung seine erzählerische Spannung zu beziehen“. Nun gut. „Prinzessin Mäusehaut“ und „Die Gänsehirtin am Brunnen“, ein anderes Grimm-Märchen, stehen deshalb am Anfang der Studie, weil sie deren Thema in einfacher Form erzählen: „Lektüren des Salzes in der Offenheit seiner Zuschreibungsmöglichkeiten bzw. Lesbarkeiten“. Bücher über das Salz haben eine bis in die Antike zurückreichende Tradition, doch Studien über das Salz in der Literatur gab es bislang nicht, und schon gar nicht ein Projekt, „das unter einem kulturwissenschaftlichen Blickwinkel nach narrativen, rhetorischen und poet(olog)ischen Strategien von Texten, zumal literarischen, angesichts der kulturellen Kodierungspotentiale und Semantisierungsmöglichkeiten des Salzes fragt“. Strässle möchte die narrativen, poetischen und poetologischen Potentiale seines Stoffes „in einem Zusammenspiel von mikroskopischer Textlektüre und makroskopischer Kulturanalyse“ erkunden. Das geschieht in fünf großen Kapiteln: Natursalze, Glaubenssalze, Sprachsalze, Körpersalze und Beziehungssalze. Was dort an Wissen ausgebreitet wird, ist enorm und bewundernswert. Die Philosophie- und Literaturgeschichte des Abendlandes, von Homer, Platon und Cicero über das Alte Testament, den Talmud und Augustinus, über Paracelsus, Rene Descartes und Hans Jakob Christoffel Grimmelshausen, über Georg Philipp Harsdörffer, Gotthold Ephraim Lessing und Johann Georg Hamann bis hin zu Jean Paul, Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin, Friedrich Dürrenmatt, Peter Weiss, Friedrich Glauser und zur deutschsprachigen Lyrik der Nachkriegszeit wird von Strässle herangezogen. Auch Gegenwartsliteratur ist Thema, von Durs Grünbein, Alissa Walser oder Sylvie Germain. Wer in die salzigen Beziehungsgeflechte dieser gelehrten Abhandlung einsteigen möchte, wird sich auch in den Anmerkungsteil und die Bibliografie vertiefen müssen. Habil-Schriften sind eben Habil-Schriften. Man liest sie eigentlich nicht zum Vergnügen, sondern man arbeitet sie durch.

Titelbild

Thomas Strässle: Salz. Eine Literaturgeschichte.
Carl Hanser Verlag, München 2009.
544 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783446234178

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