Unterkomplex
Joachim Lottmann kupfert einen bekannten Buchtitel Franziska zu Reventlows ab
Von Rolf Löchel
Um gar nicht lange damit hinterm Berg zu halten: „Der Geldkomplex“ ist ein Roman voller Witz, Geist und Finessen. Seine Lektüre bereitet ein derartiges Vergnügen, dass sie nur wärmstens empfohlen werden kann. Doch gebührt dieses Lob nicht etwa dem jüngst erschienenen Werk aus der Feder Joachim Lottmanns, sondern Franziska zu Reventlows noch immer origineller Psychoanalyse-Satire gleichen Titels, die bereits zu Beginn des 20 Jahrhunderts das Licht des Buchmarktes erblickte.
Nun ist es zwar nicht unbedingt fair, den Maßstab eines Klassikers der Moderne an den Roman eines doch eher unbekannten Allerweltsautoren der Gegenwart zu legen. Zumal, wenn sich besagter Klassiker dem Esprit einer Autorin vom Range zu Reventlows verdankt. Kupfert ein Autor jedoch den Titel eines erfolgreichen Werkes der Literaturgeschichte ab, wird er sich auch gefallen lassen müssen, dass sein Erzeugnis mit dem Original verglichen wird. Dabei schneidet Lottmanns während und nach der Fußballeuropameisterschaft der Männer 2008 handelnder „Geldkomplex“ denkbar schlecht ab. Doch wird ein solcher Vergleich hier unterbleiben. Vielmehr sollen die zahlreichen Schwächen des Werkes für sich selbst sprechen. Oder genauer gesagt gegen sich und das Buch.
Auf der dritten Seite erwähnt der Protagonist und Ich-Erzähler Dr. Johannes Lohmer Reventlows Roman und bekennt, dass es ihm das Buch der Gräfin erleichtert hat, selbst über „mein Verhältnis zu Geld“ zu sprechen. Dabei zeigt sich Lohmer, der selbst mehrere Romane verfasst haben will und für den „Spiegel“, die „taz“ und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schreiben will, unfähig, zwischen der Autorin Reventlow und ihrer Protagonistin zu unterscheiden. Dazu müsste eine Figur, die vorgibt, ein so versierter Autor zu sein, doch wohl in der Lage sein, wenn sie nicht von vorneherein ganz und gar unstimmig erscheinen soll.
Der Autor des vorliegenden Buches verwischt seinerseits die Grenzen zwischen sich selbst und seinem Ich-Erzähler, indem er diesem beispielsweise eine Nichte namens Hase andichtet. Eine solche „Nichte Hase“ wird auch in den Zeilen des Vorblattes erwähnt, die den Lesenden biografische Angaben über den Autor bieten oder doch zumindest versprechen. Sowohl von der „Nichte Hase“ des Textes wie auch von derjenigen der biografischen Angaben heißt es, sie sei aus der gemeinsamen Wohnung in Berlin-Mitte ausgezogen. Erstere aus der des Protagonisten, zweite aus der des Autors. Dieser aber soll hier nicht weiter interessieren.
Sehr wohl aber der Ich-Erzähler Lohmer, ein arroganter, schnöseliger, schlecht getarnter Reaktionär, der sich schon auf den ersten Seite als langweilige Nervensäge erweist und dies auch bis zur letzten bleibt. Getrieben von einem prolligen Überlegenheitsdünkel Gott und der Welt gegenüber schwatzt der unsympathische Frauenfeind auf den rund 350 dazwischen liegenden Seiten aufgeplustert und seicht, dumm und dreist darauf los, wobei er sich im Namedroping allerlei mehr oder weniger prominenter Personen gefällt, die er alle kennt und deren Rang auf der Berühmtheitsskala regelmäßig vermerkt wird: „leidlich bekannt“, „ein bißchen semiprominent“, „semiprominent“, „ein bißchen prominenter als ich selber“, „GANZ prominent“. Er prahlt eben gerne vor seinen Mitfiguren und vor den Lesenden, der Herr Lohmer, der auch nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass seine Freundin zwanzig Jahre jünger ist als er. Zugleich kokettiert der nahezu 50-jährige Mann gerne damit, ein „spätpubertäre[r]“, „verklemmte[r] Bürgersohn“ zu sein. Ansonsten räsoniert er gerne und selbstgefällig darüber, dass „die jungen Mädchen, bei aller Herrlichkeit, doch etwas blöd“ seien, er selbst sei hingegen „von Haus aus der Persönlichkeitstyp ‚Don Juan‘“. Eine Kategorisierung, zu der zweifellos gehört, „daß ich Frauen, die ‚peinlich‘ wurden, sofort beschützen wollte. Schnell ins Taxi und ins Bett.“ „Meistens war es der Krieg, wo man grausam sein durfte“, greint dieser Don Juan später, „in der postmodernen westlichen Gesellschaft war es ganz bestimmt das Trennungsverhalten der Frau“.
Ich-Erzähler Lohmer – beziehungsweise dem Roman – gelingt es nie, einen Spannungs- oder sonstigen Bogen zu entwickeln, der das Interesse an der Lektüre weckt oder gar aufrechterhält. Vielmehr erschöpft er sich und seine Lesenden mit dem ewiggleichen aufgeregt-angestrengten Bemühen nicht etwa um Witz, sondern um bloße Witzigkeit. Doch selbst zu der ist er außerstande. Vielmehr werden die Seiten mit geistlosem Geschwätz gefüllt, das vom infantilen Einsatz zahlreicher Kursivierungen („Die beiden hatten über mich gechattet“) und Versalien („NATÜRLICH muß es eines Tages wieder aufwärts gehen“) geprägt ist. So soll offenbar das erzählerische Unvermögen der Figur kaschiert werden, deren Originalität gerade mal dazu ausreicht, einen Zug als „Schienen-LKW“ zu bezeichnen.
Wenn der Protagonist während einer Lesung einem Autor vorwirft, „alle Ihre Figuren reden und handeln ununterscheidbar in demselben Ton der Falschheit und der Heuchelei“, außerdem seien „die Frauenfiguren frauenfeindlich dargestellt“, könnte man glatt meinen, Lottmann ließe Lohmer ganz unverhohlen das vorliegenden Buch kritisieren. Aber auch das soll wohl witzig sein.
Kurzum: ein grauenhaftes Buch. Es lässt sich nur davor warnen, die Zeit mit seiner Lektüre zu vertun. Vermutlich ist dies aber eine unnötige Warnung, denn die meisten werden es wohl ohnehin baldigst zuklappen. Ein für alle mal.
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