Götterbote sorgt für Gerechtigkeit
In Griechenland geht es vieleicht drunter und drüber, aber wenn es drauf ankommt, helfen alte Kontakte: Anne Zouroudis Plädoyer für die wirkliche Liebe
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEine junge Frau vom Festland auf einer abgelegenen griechischen Insel, verheiratet mit einem Fischer (Andreas, der Fisch), gefangen in einem System, in dem die traditionellen Geschlechterrollen immer noch dominant sind, in dem sich Männer und Frauen als gegensätzliche Wesen verstehen, in dem Männer Frauen immer noch schlagen und das Recht dafür beanspruchen. In einem solchen Zwangsapparat, der aus einem gesellschaftlichen System herrührt, in dem das Überleben nur durch rigide Maßregeln gesichert werden kann und in dem Gefühle nur dann zugelassen sind, wenn sie nutzen, hat Liebe keinen Ort, nicht einmal das Begehren, soweit es nicht in klaren Grenzen verbleibt und am Ende das Zusammenleben nicht stört.
Liebe aber, das Begehren zudem lässt sich nicht begrenzen und nicht restlos einzwängen im Regelsystem. Davon weiß die ältere Literatur zu berichten: König Marke aus dem mittelhochdeutschen „Tristan“ oder der König der Artusepik, beide können sich der Liebe ihrer Frauen nicht sicher sein, auch wenn die Vernunft für die Verbindung Marke-Isolde oder Artus-Ginover spricht. Das Begehren aber (das mit der Liebe allzusehr verbunden ist und gelegentlich mit ihr verwechselt wird) bindet Isolde an Tristan und Ginover an Gawan oder Lancelot (je nach Variante).
In Zouroudis Krimi sind es keine mittelalterlichen Heroen, sondern Fischer, Schreiner und eine Frau zwischen ihnen. Eine Frau, die eine Vernunftehe eingegangen ist, mit der sie zufrieden sein kann und lange zufrieden ist, denn sie gibt ihr einen Ort und Sicherheit. Aber es gibt da den einen Moment, in dem das Begehren aus dem Käfig ausbricht, den die Vernunft ihr gebaut hat, und sich ihren eigenen Gegenüber sucht. Einen Mann, der kaum mehr tut, als zu schauen und der sich im Begehren der Frau aufgehoben und aufgewertet findet.
Aber eine verheiratete Frau auf einer kleinen Insel und ein verheirateter Mann? Das kann nicht gelingen und erst recht nicht gut enden.
Manchmal verschwinden Frauen oder Männer aus der kleinen, übersichtlichen Gemeinschaft, manchmal aber arrangieren sie sich. In diesem Fall ist die junge Frau am Anfang des Romans tot. Und das ist der Moment des dicken Mannes, der sich Hermes Diaktoros nennt und der aus Athen auf die kleine Insel fährt. Ein doppelter Bote also, der, wie er selbst sagt, nicht nur den Tod der Frau untersuchen, sondern auch für Gerechtigkeit sorgen soll.
Dabei ist er keiner irdischen Gerechtigkeit verpflichtet, wie der Polizeidirektor der Insel glaubt, der in ihm den Repräsentanten der zentralen Polizeibehörden vermutet, sondern einer höheren. Und die setzt er ziemlich konsequent durch. Denn bei seinen Ermittlungen und Gesprächen stößt der dicke Mann auf ein Geflecht von Korruption, Hörigkeit, Willkür und schlechten Gewohnheiten. Die Konventionen werden massiv dazu eingesetzt, um Rache zu nehmen oder um sich Vorteile zu verschaffen.
Der Polizeichef der Insel setzt Amt und Macht ein, um unter jeden Weiberrock zu kommen, der sich ihm nicht zu entziehen weiß. Willkürliche Verhaftungen der Männer werden eingesetzt, um ihre Frauen willfährig zu machen. Der Tod der jungen Frau wird dazu genutzt, vom trauernden Witwer Geld einzufordern, damit die Ermittlungen eingestellt werden können. Die allerdings von dieser Seite aus nie begonnen haben.
Gefangen sind in ihren Verletzungen und Zwängen hingegen alle anderen Einwohner der Insel. Gewöhnt daran, dass ihre Bedürfnisse nie zur Geltung kommen, sollen wenigstens die Verhältnisse stabil bleiben. Eine Frau, die einen Mann begehrt, der nicht der Ihre ist, passt da nicht hinein. Und so wird sie beseitigt.
Denn zweifelsohne, der vermeintliche Selbstmord der Frau ist nichts anderes als ein ziemlich grausamer Mord, begangen in einem Moment, in dem die Gefahr selbst schon wieder vorüber war. Denn der Angebetete und Begehrte ignoriert und verweigert sich schließlich, nicht weil er die Frau nicht seinerseits wollte, sondern weil er Angst vor den Konsequenzen hat. Angst vor der Unsicherheit, die daraus resultiert, dass niemand weiß, was geschieht, wenn man nicht dem Verstand, sondern dem Gefühl folgt.
Für die kleine Gemeinschaft auf der abgelegenen Insel jedenfalls wäre das verhängnisvoll – oder vielleicht der Moment, in dem das brüchige Konstrukt, das sich dort Gesellschaft nennt, endlich zerfällt und einen Neubeginn ermöglicht, der die einzelnen und ihre Begehren nicht unterdrückt, sondern eine Balance zwischen Notwendigkeit und Wunsch ermöglicht, eine Balance, die sich unterhalb der schweigsamen Oberfläche, als die die Inselgemeinschaft dem dicken Mann erscheint, ja bereits ankündigt.
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