Neun Bände in fünf Jahren

Die neunte Folge des Handbuchs zur Geschichte der NS-Konzentrationslager ist erschienen

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem fristgerechten Erscheinen des neunten und letzten Bandes ihres Werks unter dem Obertitel „Der Ort des Terrors“ haben Wolfgang Benz und Barbara Distel ihren „ehrgeizigen Editionsplan“ eingehalten und vollendet. Allein dieser Band versammelt wieder eine stattliche Reihe von Autoren, hier sind es 32, so wie die vorangegangenen Bände (Band 2, Band 5, Band 6, Band 8) sich einer ebenso erheblichen, aber angesichts der Komplexität der Sachverhalte auch verständlichen Phalanx von Mit- und Zuarbeitern verdankten. Ersichtlich hat das Werk neben der wissenschaftlichen auch eine breitere Öffentlichkeit als Adressaten im Auge, was sich unter anderem darin zeigt, dass mittlerweile die Texte über das Lager Flossenbürg mit seinen 80 Außenlagern zwischen Eichstätt und Zwickau aus Band 4 als separate Publikation für die regionale Öffentlichkeit und die Besucher der Gedenkstätte zugänglich gemacht worden sind.

Band 9 ist den „Zwangslagern“ gewidmet. Darunter verstehen die Herausgeber ein schwer überschaubares Konglomerat von Haft- und Schreckensstätten in Deutschland und den im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten, die nach der von ihnen gewählten Systematik nicht zu den Konzentrationslagern im ‚eigentlichen Sinne‘ zählen, das heißt die nicht der zentralen Inspektion der Konzentrationslager in Oranienburg unterstanden (das zentral gesteuerte System der KZ umfasste 24 Hauptlager mit rund 1.000 Außenlagern, die in den Bänden 2-8 in der Reihenfolge ihrer Entstehung behandelt werden). Die Herausgeber argumentieren, auch die Lager außerhalb des administrativen KZ-Systems müssten, ebenso wie die Nichtaufenthalts- sprich ‚reinen‘ Vernichtungslager (siehe Band 8), in der angestrebten „umfassenden Gesamtdarstellung der Konzentrationslager“ berücksichtigt werden, denn die Opfer hätten diese Orte „als KZ empfunden“, ganz abgesehen davon, dass Haftbedingungen, Organisation und Bewachung sich ohnehin kaum von denen der KZ unterschieden hätten.

Zu den verschiedenen Typen der Zwangslager gehören zum Beipspiel die Polizeihaftlager. Sie wurden in den von der Wehrmacht besetzten Ländern von Norwegen bis Griechenland durch die jeweils zuständige deutsche Sicherheitspolizei eingerichtet, so Amersfort und Westerbork in den Niederlanden, Breendonk und Malines (Mechelen) in Belgien und Drancy und Pithiviers in Frankreich. Viel zu wenig bekannt ist, dass zwischen 1939 und 1944 auf polnischem und sowjetischem Gebiet 750 bis 800 Zwangsarbeitslager für Juden bestanden, in denen mindestens 263.000 Menschen ausgebeutet wurden, um dann im Sommer 1943 größtenteils in Vernichtungslager befördert und ermordet zu werden, ebenso wie die einstweilen verbliebenen „Aufräumkommandos“, die Anfang 1944 an der (Mord-)Reihe waren. Auch die Judenghettos, im gesamten von Deutschland beherrschten Europa insgesamt 1.100 bis 1.200 an der Zahl, werden in der Abteilung „Lagertypen“ – exemplarisch – abgehandelt, ferner die „Zigeunerlager“, die „Jugendschutzlager“ und die „Arbeitserziehungslager“.

Es folgt, in einem zweiten Hauptteil, ein regionaler Zugriff, um der unübersichtlichen und vielgestaltigen „Lagerlandschaft“ in den besetzten Gebieten Herr zu werden. In jeweils einer Überblicksdarstellung werden Frankreich, Italien, Ungarn, Dänemark, Norwegen, Kroatien, Serbien, Transnistrien und Weißrussland in den Blick genommen. Abschließend widmet sich der Band Lagern „mit besonderer Bestimmung“, darunter das „Altersghetto“ Theresienstadt für privilegierte deutsche Juden und das SS-Ausbildungslager Trawniki, wo sowjetische Kriegsgefangene zu „Hilfswilligen“ herangezogen wurden – diese einerseits Opfer nationalsozialistischer Herrschaft, andererseits schlimme und schlimmste Täter in den Vernichtungslagern, bei der Auflösung der Ghettos und als Bewacher der Konzentrationslager; als solche gehören sie, so die Herausgeber, „in den Zusammenhang einer Gesamtgeschichte der nationalsozialistischen Zwangslager“.

Der Vollständigkeit halber sei zum Schluss die Anzeige des Bandes 7 nachgeholt. Er behandelt die Konzentrationslager Niederhagen/Wewelsburg, Lublin-Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen und Mittelbau-Dora. Die beiden letzteren sind besonders berüchtigt durch die unsäglichen Gräuel, die sich dort in den letzten Monaten vor Kriegsende zugetragen haben.

Auch dieser Band ist wie alle anderen mit zahlreichen Karten, einem Firmen-, Orts- und Lagerregister sowie mit einem Personenregister ausgestattet, was bei einem Unternehmen dieser Größenordnung und dieses Ranges gewiss selbstverständlich ist, aber nochmals seinen Wert als künftig unentbehrliches Hilfsmittel unterstreicht. Kurzum: Die lesende und forschende Öffentlichkeit hat ein weiteres Standardwerk der Shoah-Forschung erhalten. Aufbauend auf dem breiten Fundament des Bandes 1, der die Organisation des KZ-Terrors, seine Mittel und Methoden, erörtert und das Innere der Lager sowie die ‚Häftlingsgesellschaften‘ unter verschiedenen Aspekten betrachtet, trägt das Werk insgesamt das derzeit vorhandene Wissen über die monströse Terrormaschine der SS namens Konzentrationslager zusammen. Zwei Millionen Menschen erfasste sie, 800.000 bis 900.000 kamen darin zu Tode.

Titelbild

Barbara Distel / Wolfgang Benz (Hg.): Flossenbürg. Das Konzentrationslager Flossenbürg und seine Außenlager.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
309 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783406562297

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Titelbild

Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager - Band 7.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
360 Seiten, 59,90 EUR.
ISBN-13: 9783406529672

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Titelbild

Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager.
Band 9.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
656 Seiten, 59,90 EUR.
ISBN-13: 9783406572388

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