Aus dem Bleistiftgebiet

Ein Sammelband aus der Reihe „Profile“ nimmt Peter Handke unter die Lupe – ein Mysterium bleibt er trotzdem

Von Fabian ThomasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Thomas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Jahren 2007 und 2008 entschloss sich Peter Handke zu einem ungewöhnlichen Akt der Werkoffenbarung. Zum einen Teil an das Österreichische Nationalarchiv, zum anderen an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gab der Dichter Tagebücher, Manuskripte sowie Korrespondenz und entschied sich also zu einem „Nachlass zu Lebzeiten“ in bester Musil’scher Manier. Dass diese Veräußerung fünfstellige Beträge in Handkes Kasse spülte, sei hier nur am Rande bemerkt, darf aber doch auch als profaner Gewinn der schriftstellerischen Öffnung Erwähnung finden.

Das Magazin des Österreichischen Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek, unter dem einprägsameren Titel „Profile“ in der Vergangenheit auch schon Hilde Spiel, Ernst Jandl und Ödön von Horváth zugewandt, wirft nun einen genuin österreichischen Blick auf das in weiten Teilen unveröffentlichte Werkmaterial, das Handke nun zugänglich gemacht hat.

„Freiheit des Schreibens – Ordnung der Schrift“ umreißt als Titel den Spannungsbogen zwischen bleistiftgeschriebenem Notizbuch als Massenspeicher für die stetig sprudelnde Ideenquelle und ordentlich zwischen zwei Buchdeckeln eingerichtetem Text, der Zeile für Zeile, Seite für Seite, den Fluss der Inspiration in Bahnen lenkt.

Der vorliegende Band versammelt ein langes, äußerst gut lesbares Gespräch zwischen Handke und den Herausgebern, das eben um die Themen Schrift und Schreiben kreist. Die dann folgenden Beiträge über Übersetzung (von Handke und durch Handke) erweitern den ursprünglichen Themenkreis überraschend durch ihren interkulturellen Ansatz. Sehr lohnenswert für Handke-Verehrer, die es ad fontes zieht, sind die Entstehungsberichte, vor allem der des Suhrkamp-Lektors Raimund Fellinger, der den Schreibprozess so präzise dokumentiert, als habe er selbst statt Handke den Bleistift geführt.

Eigentliches Herzstück und Anlass des Bandes sind – und das mit voller Berechtigung – die reproduzierten Auszüge aus dem auf so unerwartet offenherzige Weise bereitgestellten Entstehungsmaterial selbst: hier ist es den Herausgebern vorzüglich gelungen, den Illustrationen den nötigen Platz einzuräumen. Von der bekritzelten Serviette bis zur handschriftlich korrigierten Druckfahne des letzten Romans „Die morawische Nacht“ reichen die unterschiedlichen Beispiele, die die „Freiheit des Schreibens“ illustrieren. Und nicht zuletzt ein Faszinosum ist die so gut lesbare Handschrift, die schon lange vor den Jahren 2007/2008, nämlich 1956, ihre endgültige Gestalt angenommen hat: im Schulaufsatz „Meine Füllfeder“. Dort heißt es: „Still und bescheiden liegt sie in meiner Hand, ein gefügiges Werkzeug meines Willens. Was sie wohl schon alles mitgemacht hat? An ihrem schäbigen, schon etwas lichterem Blau, von den Rissen in ihrem armen, geplagten Körper erkennt man ein langes, arbeitsreiches Leben.“

Der Abdruck dieses Exponats ist ohne Frage die schönste Leistung dieser Zeitschrift, die Peter Handkes Geheimnis des Schreibens letztlich nicht lüften kann – aber vielleicht auch gar nicht will.

Titelbild

Klaus Kastberger (Hg.): Profile 16, Peter Handke. Freiheit des Schreibens - Ordnung der Schrift.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009.
345 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783552054769

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