„Sanftmütige“ Diktatoren

Aram Mattioli über Mussolini, Berlusconi und Konsorten

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch unaufmerksamen Zeitungslesern kann nicht entgehen, dass Italien zu verrotten scheint. Das Elend trägt den Namen Silvio Berlusconi, ist aber weniger dem Mann anzulasten als jener Gesellschaft, die ihn ermöglicht. Nun stehen in der deutschen Berichterstattung Müllkrisen, die Mafia, Korruption und brüchige Parteienbündnisse im Vordergrund, vor allem aber das unwürdig-clowneske Gebaren des ‚Cavaliere‘. Vergangenheitspolitische Verwerfungen geraten erst dann in den Blick, wenn Fußballer der Serie A die Hand zum ‚Römischen Gruß‘ heben – und werden unter Folklore des Pöbels eingeordnet. Es ist das Verdienst Aram Mattiolis, dem deutschen Leser„Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis“ kompetent und umfassend und gleichsam im Echtzeit, mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen, nahezubringen.

Mattioli weist zu Recht daraufhin, dass ,Revisionismus’, nach italienischem Verständnis Antisemitismus nicht ein- noch auszuschließen braucht und viele italienische Faschisten den Holocaust ausdrücklich verdammen – um die vorgeblich „sanftmütige“ Diktatur Mussolinis vor den ‚Rassengesetzen‘ des Jahres 1938 von ernsthafter Kritik auszunehmen. Das ‚Böse‘ des späten Faschismus wird dem ‚Guten‘ der Frühzeit entgegengesetzt und zum notwendigen wie bedauerlichen Zugeständnis an den übermächtigen deutschen Verbündeten umgedeutet: „Der Alltag in der Diktatur war gar nicht so schlimm – und ihr illiberaler Charakter lange kaum spürbar […].“ Diese Haltung, so Mattioli, ist „in bürgerlichen Kreisen“ von jeher „breit geteilt“ worden. Die internationale Geschichtswissenschaft hat längst die Einschätzung entkräftet, der italienische Faschismus (wiewohl ‚den Zeitumständen entsprechend‘ autoritär und diktatorisch verfasst) habe wenig mit dem nationalsozialistischen Deutschland gemein – dies insbesondere mit Blick aufs italienische Besatzungsregime in Afrika und den Balkanstaaten. Von einigen Historikern wird das Wirken der italienischen ‚Konter-Guerilla‘ als genozidal eingestuft. Unzweifelhaft hat es annähernd eine Million Menschen zu Tode gebracht.

Zu Recht macht Mattioli geltend, dass alle ‚verfassungstreuen‘ Parteien – vor dem Zusammenbruch des italienischen Parteiensystems Anfang der 1990er-Jahre, der Berlusconi als deus ex machina auf den Bildschirmen aufscheinen ließ – jenen anti-faschistischen Grundkonsens aufrecht erhielten, wonach die Republik als Ausfluss des Widerstands gegen Hitler anzusehen sei, und jene wenigen, die bis zum Ende an ‚Duce‘ festhielten, als quantité négligeable gelten dürfen. Dies freilich setzte einiges an Verdrängung voraus: „Noch im Juni 1940 ließen sich die meisten Italiener von Mussolinis Kriegserklärung an Frankreich und Großbritannien berauschen. Und selbst die Teilnahme an Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion erschien vielen als alternativlose Notwendigkeit, um Europa vom ‚Übel des Bolschwismus‘ zu befreien.“

Der Übertritt zu den künftigen Siegermächte im Sommer 1943 gerät zum „Alibi für italienische Kriegsverbrechen“ und zum „Schlüsselereignis der kollektiven Amnesie“. Solche bequeme Selbstexkulpation hat im schwarz-braunen Milieu allerlei Sumpfblüten gedeihen lassen: Neo- oder Postfaschisten sitzen seit den 1990er-Jahren in der Regierung. ‚Wiederbetätigung‘ ist in Italien nicht nur kein Delikt, sondern tägliche Praxis auf höchster Regierungsebene. Dies im Verbund mit Berlusconis postdemokratischem Medienregime hat Italien zum kranken Mann Europas gemacht: „,Wir durchleben eine traurige Zeit‘, merkte der frühere Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi im Herbst 2009 verbittert an. ‚In den letzten Jahren meines Lebens hätte ich mir wirklich nicht vorstellen können, einer ähnlichen Verrohung der politischen Aktion […] und einer so brutalen und systematischen Aggression gegen die Institutionen und die Werte beiwohnen zu müssen, an die ich geglaubt habe.‘“

Ein besonderer Vorzug des Bandes ist darin zu sehen, dass Mattioli – auf wenig mehr als 150 Seiten – das Ganze italienischer Vergangenheitspolitik seit den 1990er-Jahren zur Darstellung bringt. Von Pop- und Sportkultur – Fußball-Weltmeister vom Zuschnitt Fabio Cannavaros und Gianluigi Buffons sympathisieren unverhohlen mit dem Faschismus, vom unsäglichen Paolo di Canio zu schweigen – über das politische Tagesgeschäft der Berlusconi und Fini, samt dessen blitzlichtumwitterten Auschwitz- und Israel-Reisen, bis zur seriösen, gleichwohl ‚revisionistischen‘ Geschichtswissenschaft: Die apologetische Tendenz des Werks Renzo De Felices, Autor einer monumentalen Biografie Mussolinis, wird ausführlich dargestellt.

Dass die finsteren 1970er-Jahre des Staatsterrorismus, als linker wie neofaschistischer Terror bis zur Ununterscheidbarkeit miteinander verschmolzen und von Staats wegen üppig alimentiert wurden , nur am Rande in den Blick genommen werden, ist methodisch begründet: Die Darstellung hätte ausufern müssen, wo sie die 1970er-ins Visier nimmt, und sich in mancherlei unsicheres Fahrwasser begeben. Dramaturgisch sinnvoll ist solche Beschränkung durchaus: Die moralische Verwahrlosung der Berlusconi-Jahre nimmt sich umso düsterer aus, je weniger die blutigen, bleiernen 1970er-Jahre ins Bewusstsein geraten. (Das Unwesen von Propaganda Due wird gleichwohl zur Sprache gebracht.)

Mit Bildteil und Glossar – von ‚Alleanza Nazionale‘ bis ‚Ventennio nero‘ –, zahlreichen Anmerkungen und Quellennachweisen, schließlich dem umfangreichen Literaturverzeichnis und Personenregister ist diese Darstellung für Laien wie wissenschaftlich ambitionierte Leser bestens gewappnet. Vor allem aber: Mattiolis Buch ist aktuell im wörtlichsten Sinne – die Niederschrift wurde im Dezember 2009 beendet, und eine Fotografie vom Juni des Jahres zeigt, bizarr wie bestürzend, die Tourismusministerin Michela Vittoria Brambilla, mit dem ‚Römischen Gruß‘. Gelegentlich verdichtet sich das Elend eines Landes in einem Gesicht.

Titelbild

Aram Mattioli: >Viva Mussolini<. Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis.
Schöningh Verlag, Paderborn 2010.
200 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783506769121

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch