Weder unschuldig noch unbedarft

Ein Leben im Schatten des Diktators: Heike B. Görtemaker hat eine Biografie Eva Brauns verfasst

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer war die junge Frau, die 14 Jahre lang geduldig im Hintergrund des allmächtigen Diktators Adolf Hitler lebte und schließlich am 30. April 1945 mit ihm gemeinsam in den Tod ging? Die Berliner Historikerin Heike B. Görtemaker hat den ambitionierten Versuch unternommen, aus der mehr als mageren und zudem widersprüchlichen Quellenlage das kurze und verborgene Leben von Eva Braun an der Seite des um 23 Jahre älteren „Führers“ nachzuzeichnen. Eine klassische Biografie ist daraus jedoch nicht entstanden, wohl aber eine fundierte Analyse der näheren Entourage des obersten Nazis und Massenmörders, die zumindest das Diktum des britischen Historikers und Hitlerbiografen Jan Kershaw, Hitler habe kein Privatleben gehabt, gründlich widerlegt.

Selbst als Reichskanzler leistete sich der Österreicher den ziellosen Lebensstil eines antibürgerlichen Bohèmien, der im Kreise ergebener Gesinnungsgenossen unglaublich viel Zeit mit seinen persönlichen Vorlieben vertändelte. Folgt man den spärlichen Quellen, so spielte Eva Braun, offiziell die Angestellte in einem der Partei nahe stehenden Münchner Fotogeschäft, eine zunehmend wichtigere Rolle in diesem von der Außenwelt weitgehend abgeschotteten privaten Bereich des Diktators, dessen Mittelpunkt fraglos der Berchtesgadener Berghof war.

Wenn auch die dürftigen Fakten kaum eine weitere historiographische Annäherung an Hitlers attraktive Geliebte erlauben, so gibt doch das wenige Bekannte einen Einblick in dessen komplexes Verhältnis zum anderen Geschlecht. Dass der Diktator auf Frau und Familie verzichtete, um sich ganz dem Dienst an seinem Volk zu widmen, war ein bis zuletzt gern gepflegtes Propagandamotiv. Hitlers späte Heirat mit Eva Braun und ihr gemeinsamer Suizid wurden daher selbst nach dem Krieg noch von der Mehrheit der Deutschen als Latrinenparole abgetan. Viele Frauen hingen an ihm, weil er unverheiratet sei, hatte er Albert Sperr einmal anvertraut und sich dabei mit einem Schauspieler verglichen, der aufhöre ein Idol der Frauen zu sein, sobald er verheiratet sei.

Neben dieser taktischen Überlegung war es jedoch auch Hitlers Persönlichkeit selbst, die ihn enge und verpflichtende Bindungen ablehnen ließ. Während seines ganzen politischen Lebens fürchtete Hitler, dass ihn eine Rolle als Ehemann und sogar Familienvater zu sehr von der Politik abhalten würde, ja eine legitime Ehefrau könnte ihn mit ihren Ansprüchen gar unter Druck setzen. Erst als Privatmann glaubte er sich ehelichen Anforderungen stellen zu können und in seinen immer wieder aufgelegten Planungen eines Lebens nach der Politik trat schließlich auch Eva Braun ganz offiziell schon 1942 als künftige Hausherrin in Erscheinung.

Die ihr oft angedichtete untergeordnete Rolle im Leben des Diktators hat sie also gewiss nicht gespielt, zumal sie es verstand, ihre Ansprüche auf Hitler durch zwei wohl nicht mit letzter Konsequenz unternommene Suizidversuche zu untermauern. Das langjährige Verhältnis zwischen den beiden ungleichen Partnern, das sich offenbar gerade nach den empfindlichen militärischen Rückschlägen im Verlauf des Krieges noch intensivierte, vollzog sich im übrigen vollkommen außerhalb aller Normen der von den Nazis propagierten Volksgemeinschaft. Hitler und seine Geliebte fügten sich weder in das Idealbild einer kinderreichen Familie, noch entsprach Eva Braun mit ihren offen ausgelebten Interessen für Mode und moderne Musik den biederen Vorstellungen der Parteiideologen. Auch Kinder kamen für sie nicht in Frage, folgt man der Autorin.

Ob ihre Protagonistin jedoch mehr war als nur eine oberflächliche und vergnügungssüchtige junge Frau, wie es ein Teil der Erinnerungsliteratur nahe legen will, bleibt unklar. Vieles spricht nach Ansicht von Görtemaker dagegen. So hat sich Eva Braun ihren Platz an der Seite Adolf Hitlers mit aller ihr zu Gebote stehenden Entschlossenheit erkämpft und ihn später beharrlich ausgebaut. Auch ihre Entscheidung, an der Seite Hitlers im umkämpften Berlin zu bleiben und notfalls sogar mit ihm zusammen zu sterben, deutet gewiss nicht auf eine schwache Persönlichkeit hin. Selbst wenn die Autorin keine neuen Belege vorweisen kann, so ist doch davon auszugehen, dass ihre Protagonistin die politischen Ansichten Hitlers nicht nur kannte, sondern offenbar auch widerspruchslos geteilt hat. Wie anders ist es zu erklären, dass sie sich zuletzt, als immer mehr der ehemaligen Paladine im Strudel des Untergangs dem Diktator von der Fahne gingen, als kompromisslose Verfechterin einer unbedingten Treue zu Adolf Hitler in Szene gesetzt hat.

Auch wenn viele Aussagen über Eva Braun in ihrer Biografie spekulativ bleiben müssen, ist es Görtemaker gleichwohl gelungen, aus zahlreichen Puzzleteilen ein plausibles und in einigen Aspekten auch neues Bild der Geliebten Hitlers gezeichnet zu haben. Sie war weder unschuldig noch unbedarft. Eva Brauns konsequenter Entschluss, aus ihrem langjährigen Schattendasein hervorzutreten und an der Seite Hitlers in den Tod zu gehen, hat ihr fraglos im letzten Augenblick noch einen eigentümlichen Platz in der Geschichte des Nationalsozialismus gesichert.

Titelbild

Heike B. Görtemaker: Eva Braun. Leben mit Hitler.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
320 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783406585142

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