Partner aus Silikon

Javier Tomeo schreibt eine unglaubliche Liebesgeschichte zweier aufblasbarer Gummipuppen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Ehepaar Basilio K. und Lupercia J. – der Leser ahnt bald, warum ihm die Nachnamen verschwiegen werden – betreibt ein kleines Kurzwarengeschäft für Tangas und Strumpfbänder. Der tägliche Umgang mit Reizwäsche wirkt aber keineswegs stimulierend auf ihr Liebesleben – im Gegenteil: Die Schlafzimmer der beiden Eheleute sind durch einen langen, dunklen Flur getrennt. Die Protagonisten von Javier Tomeos Roman „Die Silikonliebhaber“ unterhalten grundsätzlich keine sexuellen Beziehungen.

Dafür bewahren sie jeweils in der hintersten Ecke ihres Kleiderschrankes ein Geheimnis auf. Das eine Geheimnis heißt Marilyn und ist eine Silikonpuppe aus einem Sexshop. Sie ist schwarzhaarig, hat Mandelaugen und beherrscht vierzehn verschiedene Arten zu küssen, natürlich speichel- und bakterienfrei. Dazu kann sie Opernarien im Original singen und beim Geschlechtsverkehr sogar die Augen verdrehen. Lupercias Selbstbefriedigungs-Puppe heißt dagegen Big John und ist ein Wunderwerk von Vibrator, der sogar zu Sado-Maso-Szenarien fähig ist.

Basilio und Lupercia haben in ihrer Beziehung zu ihrem jeweiligen Silikonliebhaber einen festen Terminkalender. Während es Basilio Freitag nachts mit Marilyn treibt, beschäftigt sich Lupercia Samstag nachts mit Big John. Aber jeden Sonntag gehen sie gemeinsam Mittag essen. Als sie jedoch eines Sonntags zurückkommen, trauen sie ihren Augen nicht: im Wohnzimmer sind Big John und Marilyn lustvoll auf dem Sofa zugange.

So entpuppt sich die Geschichte als eine Liebesgeschichte zwischen zwei hochgerüsteten Gummipuppen, die den Ruf der Liebe verspüren. Langsam verwandeln sich Big John und Marilyn in Spielbälle ihrer ungezügelten Leidenschaft, während sich Basilio besorgt fragt: Hat ihm Marilyn Hörner aufgesetzt? Kann man da überhaupt von Untreue sprechen? Ist das eine Form von Ehebruch? Schwierige Fragen, auf die Soziologen bald eine gute Antwort finden sollten.

Aber auch in einer Liebesbeziehung zwischen Silikonpuppen läuft nicht alles glatt. Selbst wenn man eine gefühllose Festplatte im Innern hat, kommt es zu Streit und Eifersucht. Da nimmt es nicht Wunder, wenn die beiden sich wie Romeo und Julia mit Selbstmordgedanken tragen. Gemeinsam stürzen sie sich schließlich aus dem Fenster – aber da sie Puppen sind, steigen sie gen Himmel, eskortiert von schneeweißen Tauben.

Tomeo ist einer der meistgelesenen Gegenwartsautoren in Spanien. In deutscher Übersetzung erscheinen seine Romane und Erzählungen im Verlag Klaus Wagenbach. Mit „Die Silikonliebhaber“ ist dem Autor eine bissige Satire über Sittlichkeit und kleinbürgerliche Moralvorstellungen gelungen. Selten wird Pornografie, Sextourismus und Sex-Shops so gekonnt auf die literarische Schippe genommen.

Titelbild

Javier Tomeo: Die Silikonliebhaber.
Übersetzt aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010.
140 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132284

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