Ophelia in der Badewanne

Frauen kommentieren in einem von Petra Müller und Rainer Wieland herausgegebenen Band Darstellungen ihrer Geschlechtsgenossinnen in der Malerei

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekanntlich gibt es in der Malerei, wie überhaupt in der (ab-)bildenden Kunst so ziemlich über die gesamte Menschheitshistorie hinweg eine ganz bestimmte Arbeitsteilung: Frauen stehen Modell und Männer malen sie, meißeln sie in Steine oder fotographieren sie. Das gilt zumindest für die kanonisierte Kunst nicht nur der Hof- und Herrschaftsmalerei. Als Publikum der von den Künstlern in den männlichen Blick genommen Frauen sind wiederum Männer gedacht, wie die Bilder, auf denen Frauen zu sehen sind, ohne weiteres erkennen lassen.

Dennoch haben Werke einiger Frauen, die das Privileg besaßen, zum Pinsel greifen zu können, selbst im Patriarchat der Kunstgeschichte überdauert und sind nicht nur über die Jahrhunderte hinweg überliefert, sondern gelten als MeisterInnenwerke. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhundert gelang es dann endlich immer mehr Künstlerinnen, sich im Kunstbetrieb zu etablieren. Das wird wohl weniger daran liegen, dass ihre Kolleginnen vergangener Jahrhunderte so sehr viel schlechter gewesen wären. Vielmehr dürfte es den verschiedenen Wellen der Frauenbewegung zu Beginn und in der zweiten Hälfte des Säkulums zu verdanken sein.

Ein von Petra Müller und Rainer Wieland herausgegebener Bildband schlägt nach dem Eindringen der Künstlerinnen in die fest geschlossenen Reihen der Künstler nun eine weitere Bresche und zwar in die männliche Phalanx der Bildbetrachter. Fast schon vernachlässigt werden hingegen die Werke von Künstlerinnen. So ist etwa erst das fünfte Bild von Frauenhand gemalt. Rund fünfzig Bilder, die in recht ansehnlichen Reproduktionen abgebildet sind, werden von Frauen kommentiert. Unter ihnen nicht nur Kunsthistorikerinnen, sondern auch Wissenschaftlerinnen anderer Couleur sowie Literatinnen, Theologinnen und Politikerinnen. Wie die HerausgeberInnen in den einleitenden Worten bemerken, steht daher auch „nicht die kunsthistorische Analyse im Vordergrund, sondern ein unvoreingenommenes Hinsehen, die persönliche Wahrnehmung der einzelnen Betrachterin“. Ein wenig merkwürdig mutet daran allerdings an, dass kunsthistorische Analyse und unvoreingenommenes Hinsehen in ein gewisses Spannungsverhältnis gesetzt werden. Auch weiß man nicht wirklich, ob es, wie von Müller und Wieland behauptet, tatsächlich „viele Jahrhunderte […] lang in erster Linie Männer“ waren, die „Bildnisse an Höhlenwände malten, in Marmor hauten, in Bronze gossen, auf Papier zeichneten oder mit dem Pinsel auf die Leinwand brachten.“ Zumindest, was die Höhlenmalerei betrifft, dürfte das Geschlecht der Schaffenden unbekannt sein. Auch darf bezweifelt werden, dass wirklich mehr Männer als Frauen Bleistiftzeichnungen zu Papier brachten. Denn wie viele Frauen am Küchentisch, oder, wenn sie Glück hatten, in einem Zimmer für sich allein, den Bleistift spitzten und zeichneten, weiß man nicht. Dass keines ihrer Werke Eingang in die Kunstgeschichte fand, muss ja nicht darauf zurückzuführen sein, dass sie nicht zeichneten, sondern könnte auch daran liegen, dass die Hausherrn die ‚Kritzeleien‘ sogleich entsorgten. Das Privileg als Malerin zum Pinsel oder als Bildhauerin zum Stichel greifen zu können, dürften hingegen tatsächlich nur wenige genossen haben.

Wie dem auch sei – werfen wir einen Blick auf die Bilder des vorliegenden Buches beziehungsweise auf die Kommentare. Zunächst einmal fällt auf, dass die Reihenfolge der Anordnung nicht klar wird. Sollten die Bilder etwa einfach zufällig aneinander gereiht worden sein? Das ist kaum anzunehmen. Benannt werden die Kriterien der Folge der Abbildungen allerdings nicht. Gleiches gilt für diejenigen der Auswahl. Auch erfahren die Lesenden nicht, wer die Kunstwerke auswählte und den Beiträgerinnen zuordnete.

Aber vermutlich haben sich die Betrachterinnen die von ihnen jeweils zu kommentierenden Bilder selbst ausgesucht. Darauf deutet etwa hin, dass Friede Springer mit Edvard Munchs „Weib mit rotem Haar und grünen Augen“ ein Bild ihres „Lieblingsmaler[s]“ vorstellt und die Primaballerina Polina Semionova das Bildnis der Primaballerina „Anna Pawlowa“ von Sir John Laverys, „ein Gemälde wie ein Frühlingstanz“ sagt Semionovas Tänzerinnenblick. Hier hätte man die Wahl geradezu erraten können. Und dies gilt auch für andere Interpretinnen. So ist es etwa naheliegend, dass Elisabeth Bronfen John Everet Millais schöne Leiche der blütenumflossenen „Ophelia“ wählt, der tatsächlich die sehr lebendige Elisabeth Siddall porträtierte, die sich als Modell im erkaltenden Wasser einer Badewanne erkältete oder sich zumindest verkühlte, woraufhin ihr Vater den Künstler verklagte. Zur Europaparlamentsabgeordneten Silvana Koch-Mehrin wiederum passt, dass sie Moreaus „Raub der Europa“ bespricht. Der Künstler, „sonst nicht gerade ein Freund der Frauen“, erklärt sie, „macht Europa zur Symbolfigur eines neuen Feminismus, zum Vorbild einer heutigen Generation, die sich nicht scheut, den Stier bei den Hörnern zu packen und gut dabei auszusehen“ Auch dass Uta Ranke-Heinemanns über die „unbefleckte Empfängnis“ von Bartolomé Esteban Murillo sinniert, überrascht nicht. Ebenso wenig Margot Käßmanns Wahl der „Eva“ von Albrecht Dürer.

Käßmanns Bildbetrachtung, die allerdings gar keine ist, eröffnet den Band. Ihr ist das Werk vor allem Anlass, sich über die Bibel und deren Eva-Darstellung zu äußern. Auch der folgende Beitrag von Anna Katharina Fröhlich gilt weniger Botticellis „Geburt der Venus“ als dem Mythos. Erst Claudia Schmölders betrachtet in der dritten Bildbetrachtung wirklich das Bild. Es ist da Vincis „Dame mit dem Hermelin“. Insgesamt sind die Porträts den Autorinnen jedoch oft nur Anlass über Leben und Bedeutung der Porträtierten zu reflektieren. So sagt auch Christina von Braun wenig bis nichts über Caravaggios „Heilige Katharina von Alexandrien“, doch hat sie immerhin die originelle Idee, dieser ihre Stimme zu leihen. Die Kunsthistorikerin Eva Gesine Baur, die selbst vor einer Reihe von Jahren einen kunsthistorischen Bildband herausgab (er galt „Meisterwerken der erotischen Kunst“), sieht hingegen mehr als die meisten und bietet einen kenntnisreichen Kommentar zu Goyas „nackter Maja“.

Ohne weiteres mithalten kann da allerdings die Literatin Antje Rávic Strubel mit ihrem genauen Blick auf Tamara de Lempickas „grünen Turban“. Ebenso die Opernliebhaberin Elke Heidenreich, die sich nicht nur einfühlsam in den weiblichen Part des Paares in Pierre-Auguste Renoirs „Loge“ hineinversetzt, sondern das Werk zudem plausibel interpretiert. Und das alles obendrei auch noch gut geschrieben.

Sonja Margolina wiederum entdeckt in Iwan Nikolajewitsch Kramskois „Unbekannte[r]“ die „geheimnisvolle Verkörperung von Weiblichkeit“, „die bei der Mona Lisa ihren Ursprung hatte.“ Da mag etwas dran sein. Weniger nachvollziehbar ist jedoch, dass es Franz von Stuck in seiner 1906 entstandenen „Sünde“ „großartig verstand[en]“ haben soll, „alle Aspekte der weiblichen Verführung zu vereinen“, wie die Fotografin Herlinde Koebl meint. Ruth Klüger „weiß von keinem anderen Bild, dass den Geist-Körper-Konflikt auf so ausschließlich weiblicher Ebene darstellt“, wie Frida Kahlos Selbstporträt als „verwundete[r] Hirsch“. Als Malerin über eine Malerin und deren Selbstporträt schreibt Xenia Hausner über Paula Modersohn-Beckers „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“. Gerade der „nicht sentimentale Blick“ der abgebildeten Schwangeren habe „die Zeitgenossen als etwas Unerlaubtes verärgert.“

Sehr schön ist Aleida Assmanns Betrachtung von und zu Dante Gabriel Rossettis „Proserpina“. Dieses Urteil des Rezensenten mag aber auch daran liegen, dass er selbst ein Faible für Rossettis Œuvre hat. Ebenso wie sein Gefallen an Thea Dorns Beitrag zu Artemissia Gentileschis Bild „Judith enthauptet Holofernes“ damit zusammenhängen mag, dass er die Arbeiten der Männer mordenden und zerstückelnden Krimiautorin überhaupt sehr schätzt.

Doch nicht nur die Bewertung dieser beiden Texte, auch die Beurteilung des Buches selbst fällt im ganzen positiv aus. Der Großteil der Kommentare ist unterhaltsam, bietet einen überraschenden Blick auf das Bild (oder die Kommentatorin), und gelegentlich sind sie sogar erhellend. Der Kauf des Buches lässt sich also ohne weiteres empfehlen. Auch der Abbildungen wegen.

Titelbild

Petra Müller / Rainer Wieland (Hg.): Frauen schön und stark. Frauen von heute über die Schönen der Kunst.
Knesebeck Verlag, München 2009.
128 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783868730319

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