Mit erhobenem Haupt

Hermann Kants „Kennung“ ist ein hoffnungslos missglückter Roman

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein halbes Jahr vor dem Mauerbau setzt die Handlung des neuen Romans von Hermann Kant ein. Also genau in jener Zeit, als der Autor begonnen haben soll, seinen westdeutschen Kollegen Günter Grass zu bespitzeln, wie „Die Zeit“ in ihrer Ausgabe vom 4. März berichtete.

Kant wandelte in der DDR viele Jahre auf einem ganz schmalen Grat zwischen Kunst und Politik und ist dabei gefährlich zwischen die Mühlsteine der Machthaber geraten. Unter seiner Ägide wurde der DDR-Schriftstellerverband rigide von „staatsfeindlichen“ Mitgliedern „gesäubert“. Kant und sein Verhältnis zum Ministerium für Staatssicherheit – eine ganz diffizile Angelegenheit. Im Frühjahr 2006 hatte der Autor in einem Radiointerview beschwichtigend erklärt: „Das war für mich anfänglich eigentlich eine ganz selbstverständliche Sache, dass da diese Leute kamen und sagten: Hör mal zu, wir schützen die Republik und euern Verein besonders. Das fand ich zunächst mal sehr logisch. Ich konnte mich doch nicht für den Sozialismus und den sozialistischen Staat erklären, und zugleich gegen die, die das – wie sie sagten – schützen wollten.“

Um genau diese Praxis geht es in seinem jüngsten Roman „Kennung“, in dessen Mittelpunkt der ehrgeizige Literaturkritiker Linus Cord steht, der eines Tages vom Stasi-Leutnant Czifra besucht und mit der Frage konfrontiert wird: „Du würdest nicht manchmal mit uns zusammenwirken wollen?“

Der Literat, der gerade an einem vergleichenden Essay über Ambroce Bierce und Stephan Hermlin arbeitet, gibt vor, beruflich überlastet zu sein und erklärt, dass da „nichts Zusätzliches geht“, also auch keine „Kundschafterlehre“. Der beharrliche Stasi-Offizier sieht sich durch Cords Absage in einen Erklärungsnotstand gegenüber seinen Vorgesetzten gebracht, erinnert den Literaten an seine SED-Mitgliedschaft und an einige unbedachten Äußerungen aus dem Jahr 1945. Der junge Cord hatte als Wehrmachtsangehöriger in russischer Kriegsgefangenschaft das Verhalten einiger Rotarmisten als „närrisch“ bezeichnet.

Quälend lang und geradezu ermüdend sind Kant, der seit geraumer Zeit in der Nähe von Neustrelitz lebt, die kontroversen Dialoge geraten. In einer künstlichen Bürokratensprache liefern sich der ideologische Hardliner aus dem Ministerium für Staatssicherheit und der naiv gezeichnete, idealistische „Bücherwurm“ einen verbalen Schlagabtausch auf Talkshow-Niveau. Später kommen weitere Stasi-Mitarbeiter hinzu, es werden Fährten gelegt und Andeutungen gestreut, und man glaubt, sich in eine abenteuerliche Spionage-Kolportage verwirrt zu haben.

Aufgrund nicht zu leugnender Parallelen zwischen der Vita des heute 83-jährigen Kant und dem Lebensweg seines standhaften Protagonisten Linus Cord (in der Handlungszeit ein Jahr jünger als der Autor) kann man dieses Buch auch als politisch-moralisch höchst fragwürdige Rechtfertigungsprosa lesen – als literarischen Versuch, sich selbst ein Denkmal zu setzen. Unabhängig von der Frage nach dem Grad der autobiografischen Authentizität entfacht die „Kennung“ eine ganz eigenartige Atmosphäre der Künstlichkeit. „Aller geheimen Pflichten ledig, wie ihm scheinen wollte, also erleichterten Herzens und erhobenen Hauptes, wohnte Linus Cord dem Abzug der Kundschafter bei“, heißt es mit geradezu befremdlich klingendem Pathos auf der letzten Seite. Die „Kennung“ ist ein rundherum hoffnungslos missglückter Roman, die schriftstellerische und moralische Bankrotterklärung Kants.

Titelbild

Hermann Kant: Kennung. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2010.
250 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351033019

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