Wenn der Impetus berserkert
Roman Böschs quälender Roman „Kleists ‚Geschichte meiner Seele‘“ ist misslungen
Von Anton Philipp Knittel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHeinrich von Kleists an Mystifikationen reiches Leben, sein Aufsehen erregender Freitod am Wannsee und nicht zuletzt und vor allem auch sein zur Literatur seiner Zeit querstehendes Werk hat seit bald zwei Jahrhunderten Wissenschaftler, Regisseure, Künstler, Journalisten und auch Schriftsteller zu einer intensiven Auseinandersetzung animiert. Dabei waren und sind es gerade die Lücken in der biografischen Überlieferung des Dichters, die die Fantasie der Biografen oftmals beflügelt haben. Besonders in den letzten Jahren sind gleichermaßen gewichtige wie wichtige Biografien erschienen, von denen an dieser Stelle nur an die Werke von Gerhard Schulz, Jens Bisky (vgl. literaturkritik.de 12/2007) und Herbert Kraft erinnert sei. Doch nicht immer, wie bereits im Zusammenhang mit Heinz Ohffs missglückter Kleist-Biografie festgestellt (vgl. Literaturkritik 5/2005), waren es Wissenschaftler, die sich als Kleist-Biografen einen Namen gemacht haben.
Unter anderem auf die Kleist-Biografien von Jochen Maas, Rudolf Loch, Curt Hohoff und Günter Blöcker beruft sich Roman Bösch im Nachwort seines leider misslungenen Kleist-Romans „Kleists Geschichte meiner Seele“. Wie spannend ein historischer Roman mit einer Figur Heinrich von Kleist in einer tragenden Rolle sein kann, hat zuletzt etwa Robert Löhr mit seinem „Erlkönigmanöver“ (vgl. literaturkritik.de 8/2009) gezeigt.
Roman Bösch, „ausgebildeter Kaufmann, studierter Philosoph, lebt und arbeitet als Autor und Dozent in Zürich“, wie der Klappentext seines Romans „Kleists ‚Geschichte meiner Seele‘“ ausweist, geht einen anderen Weg – und landet damit in einer Sackgasse.
In einer alten „verrotteten“ Kiste, so der Herausgeber in seinem Vorwort, findet im Jahr der Reichsgründung 1871 Helmuth Moltke der Jüngere „im norddeutschen Raum bei einem Nachfahren Johann Jakob Otto August Rühle von Liliensterns“ Papiere, die sich als Notizen, welche „nichts weniger denn als sensationell zu bezeichnen“ sind, da sie von Heinrich von Kleist stammen.
Moltkes Tochter Else vermacht diese dem Herausgeber mit der zweifachen Bedingung. Zum einen muss er bei einer Publikation der Papiere „einige Sätze zum Andenken ihres Vaters und der ganzen Familie“ sagen und zum andern darf dieser Fund erst nach einer Wiedervereinigung Deutschlands veröffentlicht werden.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen und knappen Hinweisen über die von Else von Moltke erhaltenen Manuskripte löst Bösch das Versprechen ein und skizziert ein knappes Lebensbild der Moltkes, bevor er sich daran macht, „die verschiedenen Fragmente, Aufsätze, Briefe in neun Kapiteln einzurichten. Die Überschriften stammen also von mir“, erklärt er überflüssigerweise, „und haben einzig zum Zweck, das kleine Werk bis zu einem gewissen Grade zu gliedern“.
Schreibend versucht Roman Bösch „Kleists ‚Geschichte meiner Seele‘“ zu er-finden. Dabei erscheint Kleist dem fiktiven Herausgeber „in der Tat (als) ein Anreger und ein Zu-denken-Gebender!“ Bösch lässt diesen „verwegene(n) Versucher runder Eckigkeit“ in seinen Papieren zu einer psychologischen Selbstschau ansetzen, dass der Leser selbst mit seinem fiktiven Kleist ausrufen möchte: „schnöde Einfältigkeit – ach!“, zumal dies meist mit sprachlich gestelzten, teils verqueren Bildern geschieht. So sieht sich der arme Heinrich „in einer schwalchenden Überhitze“ verschlungen. Und das obwohl er „von Geburt an“ angeblich sowohl „körperlich als auch seelisch-mental mit einem gerüttelt Maß an Zähigkeit bedacht“ war. „Das war, ehrlich gesagt, durchaus notwendig und von Belang, wenn man meine extreme, ins äußerste überspannte Natur bedenkt. Wanderndes Druckbehältnis auf zwei Beinen, das bin ich“. Und was dergleichen „Erkenntnisse“ mehr sind: „Doch mein Ungestüm, mein lodernder Feuergeist ward mein ärgster Widerpart […] Mein Schicksal schuf mich jenseits von Gut und Böse“. Immer wieder lässt Bösch seinen Helden derart messerscharfe Einsichten auch gleich wieder relativieren, wenn Kleist gesteht: „Hintendrein ist man immer gescheiter.“
„Kraft gewirkte Risse in der Fassade (s)eines Denkens“ machen Böschs Roman-Kleist heftig zu schaffen: „Ich verirrte mich im Labyrinth meines Selbst, weil mich die eigene Kraft gleichsam inwendig aufrieb und der resultierende Lochfraß meine Seele verschlang.“ Das ist zunächst aber nicht weiter schlimm, denn Kleist ist ja „noch jung und heiß und durstig“. Dennoch „berserkert“ sein „Impetus“ immer wieder und vollführt „geistige Purzelbäume“. Letzteres ganz besonders im Falle seiner Beziehungen zum anderen Geschlecht, obwohl sich dieser fiktive Kleist selbst, „was Liebschaften anbelangt, (als) ein hemdsärmlig Spätverlesener – und was für einer!“ bezeichnet. Insofern verwundert sich Kleist im Rückblick über sein Verhältnis zu Wilhelmine von Zenge nicht: „Indes traktierte ich Minetten weiterhin mit den ausgeklügelsten Denkübungen (andere Frauen erhalten von ihren Liebhabern wollüstig-dampfende Liebesbriefe; ich hingegen zielte auf die Bildung meines geliebten Wesens ab […] das einzige, was dampfte, war der spitze Intellekt der aufgezwungenen Geistesprüfungen.“
Derart verquast geht es seitenweise, indem Bösch offensichtlich sprachlich einholt, dass Kleist unter der „seltsamen Konstitution“ seines „Charakters und eines nagenden Gefühls des Unverstandenseins“ und der „Unbedarftheit meines ‚Bärenhäutertums‘“ leidet.
„Dergestalt“ möchte man mit Kleist sagen, wird der Roman-Kleist auf rund 300 Seiten heftigst „traktiert“, um, wie Bösch im Nachwort schreibt, sich damit der „inneren Struktur seines Wesens anzugleichen“ und so „dem sonderbaren Menschen näherzukommen“.
Wer dieses versuchen möchte, ist sicher besser beraten, Kleists Briefe und Werke im Original zu lesen.
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