Auf der Jagd nach Gold im poetischen Wolkenkuckucksheim

Reinhard Saller untersucht die „poetische Reflexion der Ökonomie in frühromantischer Literatur“

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl in seinem Buch „Kalkül und Leidenschaft“ die Geburt des modernen Menschen aus dem Geist der Ökonomie beschrieb und die Romantiker von Novalis bis Adam Müller einbezog, wurde ihm in einer Rezension bei allem Lob vorgeworfen, er unterschlage die Dialektik der historischen Entwicklung ökonomischen Denkens zwischen Ökonomie und nichtproduktiver Verausgabung, Feier und Spiel, Kunst und Poesie. Am Pol der Verschwendung und der Anökonomie des Poetischen wird man auch besonders die Romantik vermuten, die, bei aller Intellektualität, doch dem Utilitarismus des 18. Jahrhunderts eine Absage erteilt hat.

Reinhard Sallers ausführlicher Rückblick auf die Romantikforschung zeigt, dass dieser Epoche tatsächlich immer wieder beides unterstellt wurde: Abkehr vom ökonomischen Prinzip, aber auch Hinwendung zu ihm. Dies nimmt nicht wunder, veränderte sich doch ausgerechnet im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts der Begriffshorizont von ‚Ökonomie‘ zugunsten unseres heutigen Verständnisses vom (Waren-)Tausch. Mit der dem Einfluss Adam Smiths zu verdankenden Propagierung des sparsam agierenden homo oeconomicus wurde Verschwendung zunehmend als zerstörerisches Prinzip abgetan, durch Außenseiter wie George Bataille allerdings auch im 20. Jahrhundert wieder frenetisch begrüßt.

Reinhard Saller möchte in seiner konzisen, luziden und zugleich souveränen Studie „die Modi der poetischen Reflexion des Ökonomischen in der frühromantischen Literatur“ bestimmen, konzentriert sich dabei auf einige hochreflexive literarische Texte dieser Periode, nicht auf die diskursiven. Weit, vielleicht ein wenig zu weit, ist der Weg dahin: geduldig rekonstruiert Saller die ökonomischen Theorien der Zeit, verfolgt er Novalis’ und Goethes Begriffsverwendungen, zu denen der neue staatswirtschaftliche Ökonomiebegriff bereits zählt, rekapituliert er die Romantikforschung seit Heine und den Junghegelianern. Die Einbindung der Wirtschaft in einen organologisch konzipierten poetischen Staat hat der konservative Volkswirtschaftler Othmar Spann, beruhend vor allem auf Adam Müllers Staatsphilosophie, den Protagonisten der ‚Konservativen Revolution‘ an die Hand gegeben. Erst Vogl gelang es, ästhetische Theorie und ökonomisches Wissen in den Texten der Romantiker zusammenzudenken.

Saller macht an Texten Novalis’, August Wilhelm Schlegels, Ludwig Tiecks und an Friedrich Schlegels Roman „Lucinde“ zweierlei fest: eine reflexive Ökonomisierung von Erkenntniskategorien und ein Reflektieren über den Gegenstandsbereich der Ökonomie selbst. Gold und Geist werden also durch Analogiebildung verknüpft, wie Saller anhand eines Fragments von Novalis expliziert. Besonders dem im Leben ja durchaus geschäftstüchtigen Friedrich von Hardenberg war es in seinen Texten um eine Synthese von Kunst und Ökonomie zu tun, was die Verarbeitung der Arion-Sage in „Heinrich von Ofterdingen“ zeigt.

Zwei frühromantische Texte, die zwischen fiktional und diskursiv angesiedelt sind, erweisen sich für Sallers These von der Analogisierung von Thematisierung des Ökonomischen und Reflexion über das Ökonomische der Wahrnehmung als ergiebig: Tiecks Künstlererzählung „aus einem italienischen Buche übersetzt“ aus den „Phantasien über die Kunst“, die schließlich in eine Reflexion über das Ökonomische in der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt mündet, sowie die „Lucinde“, die einen Begriff von „echter Liebe“ und „wahrer Ehe“ als Beschränkung entwirft, der wiederum vorbildlich für Subjekt-Objekt-Beziehungen zu denken ist. Derselbe Text erlaubt sich aber zugleich die Parallelisierung von Muße und Müßiggang nach dem Vorbild einer Kultur, die den Romantikern wert und teuer war, nämlich der des Adels. Friedrich Schlegel erinnert lediglich daran, dass auch Untätigkeit, umgedeutet als paradiesische Freiheit des Neubeginns, mit zwangloser Produktivität verbunden sein kann. Die künstlerische Produktion und das sich in Freiheit selbst ermächtigende Subjekt stehen am Horizont solcherart erfolgter Reflexionen über eine poetische Ökonomie.

Sallers Monografie geht Kapitel für Kapitel gründlich und umfassend vor, ist in ihrer Thesenbildung auch überzeugend, lässt allerdings aufgrund der schmalen Textauswahl noch Fragen offen. Dennoch bereichert sie die Romantikforschung auf einem mittlerweile verstärkt Interesse hervorrufenden Feld. Dem selbstreflexiven und transzendentalpoetischen Charakter der Frühromantik trägt sie jederzeit Rechnung. Gern wüsste man genauer, wie es zu Zeiten Adam Müllers und der beginnenden Restauration mit dem Ökonomiebezug romantischer Texte weiterging.

Titelbild

Reinhard Saller: Schöne Ökonomie. Die poetische Reflexion der Ökonomie in frühromantischer Literatur.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2007.
220 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826035333

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