Gekonntes Sprachspiel

Anselm Glücks anstrengend-funkelnder Roman „Die Maske hinter dem Gesicht“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„(wie es gewesen sein könnte)

Ich weiß zwar noch nicht, was ich gleich sagen werde, ich weiß aber, daß ich jetzt nicht mehr schweigen will
Etwas ist da
Ich werde mich, sozusagen aus dem Stand und aus mir heraus, kopfüber in es stürzen
Endlich
Es ist Zeit
Ich habe schon wiederholt Anlauf genommen, habe dann aber jedes Mal doch wieder, als Spielball der Umstände, verweigert
Also:
Achtung, fertig, Feuer, los“.

So beginnt der in 29 Kapitel eingeteilte Roman des Malers, Grafikers und Schriftstellers Anselm Glück. Über dem bislang vorletzten Buch – zuletzt ist der Prosaband „Schatten abtasten“ erschienen – des 1950 in Linz geborenen und in Wien lebenden Autor, der 2008 mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet wurde, könnte neben dem tatsächlich gebrauchten Kenneth Patchen-Zitat „Boxers hit harder when women are around“ und der erinnerten Frank Zappa-Zeile „The wind can’t blow‚ ‘cause the sky is gone“ auch das etwa von Arnold Stadler gern verwendete Mark Twain-Motto aus dessen Einleitung zu seinen „Adventures of Huckleberry Finn“ stehen: „persons attempting to find a plot in it will be shot“.

So schlimm kommt es für „die geneigte Leserin“, die im Roman öfters direkt angesprochen wird, zwar nicht, aber den Plot innerhalb dieses Romans zu finden, der aus vielen einzelnen Gedankensplittern filigran zusammengebaut ist, ist nicht so leicht. Vielleicht ist dieses allerdings auch gar nicht so wichtig. Der Klappentext warnt deshalb augenzwinkernd: „Dieser Roman ist natürlich keiner. Das aber perfekt. Zwar gibt es Figuren, Schauplätze, Dramen […], ein Roman aber ließe sich leichter nacherzählen. Wodurch er allerdings nicht unbedingt interessanter würde.“

„Wenn ich mich so höre, merke ich, daß ich versuche, jemanden zu beeindrucken. (Mich, und mich in dir, weil: the really you in you is me)“ notiert zu Beginn seiner Aufzeichnungen der Ich-Erzähler, der Schriftsteller Brandmeier. Dieser treibt mit seinem Autor und alter ego, wie auch mit sich selbst ein doppeltes Masken-Spiel, ein Spiel mit dem Leser und der Kritik, wie auch der jeweiligen Erwartungen: „also: Was haben wir?“ heißt es im vierten Kapitel: „Eine verhuschte Ich-Figur mit überzogenen Anwandlungen, die immerhin bisweilen fast witzig sind, aber leider viel zu selten (und schon sehe ich den einen und den anderen diese und andere Zeilen aufzunehmen, um mit ihnen auf mich einzuhauen)“.

Dazu besteht allerdings kein Anlass. Denn so selten ist der Witz in der Erzählung der „verhuschten Ich-Figur“, seiner Geliebten Gerda, deren Tochter und Hel, der seitenspringenden Gattin eines Privatdetektivs, und einiger anderer gar nicht: „Wenn ich nicht wüßte, daß ich eine Ahnung habe, fiele ich erst gar nicht auf mich hinein, aber das rauszukriegen, muß verdammt schwer sein. Die Worte wiederholen den gemeinten Sinn, und holterdipolter stolpert das vorgefaßte Einverständnis Satz für Satz hinterdrein.“

„Es heißt, wer spricht, weiß die Worte schon im vorhinein und überprüft, wenn er sie dann aus dem Mund bröckeln hört, ob sie es auch sind, gleichzeitig denkt er schon den nächsten Satz.“ Dieses vorzuführen und gleichzeitig ironisch zu unterlaufen, macht die Stärke der „Maske hinter dem Gesicht“ aus. Glücks erster Roman, der durch sein kaleidoskopisches Erzählen besticht, vollführt ein gekonntes Sprachspiel mit der Vorstellung von der „allmähligen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ wie beim Schreiben, dass es nicht nur der geneigten Leserin, sondern auch dem Leser wie auch der „verhuschten Ich-Figur“ den Boden unter den Füßen wegzieht, alles respektive schattenhaft klar wird: „Ich schreibe und betrachte dabei meine Schatten an der Wand. So weit ist es gekommen“. So weit muss man erst mal kommen, es ist nicht wenig.

Titelbild

Anselm Glück: Die Maske hinter dem Gesicht. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2007.
340 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783902497222

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