Ikonen der Pop-Moderne

Über die erste Mel-Ramos-Retrospektive in Europa und einen Katalog zum Gesamtwerk

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein Werk gehört zum Kernbereich der Pop-Art Ende der 1960er-Jahre, kein Zweifel. Aber wie in vielen anderen Fällen hat auch der im Jahr 1935 in Kalifornien geborene Maler Mel Ramos eine Vor- und eine lange Nachgeschichte. Das ändert aber nichts daran, dass es ein Motiv gibt, das seinen Ruhm begründet hat und sein Werk über alle Perioden hinweg geprägt hat: Die schöne, vollbusige Nackte, die sich an einem Tier oder einem Konsumgegenstand, sei es eine Zigarre, eine Colaflasche oder eine Schmierkäseverpackung, räkelt. Ein Männerphantasma, wie es im feministischen Buche steht, wenngleich man über feuchte Träume mit einem geeigneten Gesprächspartner reden sollte, wenn sie mit einem Schmierkäse verbunden sind. Aber das nur nebenbei.

Die Popkultur lebt nicht zuletzt davon, dass sie das Gegenprogramm zur E-Kultur und ihre Paradigmen, Themen und Motiven demonstrativ behauptete, sogar noch dann, als sie selbst zum E-Programm eingemeindet worden war. Es ist also nichts gegen die Motive Mel Ramos zu sagen, wenngleich ihnen subversives Potenzial kaum zugeschrieben werden kann. Es sei denn, man ließe das unverhohlene Interesse am weiblichen Körper und seiner Zurschaustellung gegen die allzu wohlfeile Wohlanständigkeit und politische Korrektheit antreten, die das politische Klima der letzten Jahrzehnte bestimmt. Das funktioniert natürlich immer, denn wohlanständig und korrekt sind Ramos’ Bilder nie. Und das im doppelten Sinne, was wiederum nicht nur mit den provokanten Akten zu tun hat, sondern auch mit Schmierkäse und Limonaden. Wer weibliche Akte mit fast beliebigen Konsumartikeln kombiniert, nimmt mindestens die Konsumkultur auf die Schippe und treibt dabei das ironische Spiel mit der Konsumkultur, die Produkte mit nackten weiblichen Körpern bewirbt, auf die Spitze. Ein Motiv wie „Lola Cola“ (undatiert), das der Band auch als zum Poster brauchbaren Schutzumschlag einsetzt, wartet dabei auch noch mit einiger Melancholie auf, so der wenig verheißende Blick der Brünetten, die ihren unbekleideten Körper kaum hinter der Cola-Flasche zu verbergen weiß.

Die Freiheit, die die 1960er-Jahre verhießen, sei sie sexuell, politisch oder auch nur habituell, ist eben mit einer weiteren Runde in Sachen Unfreiheit verbunden, die Ramos unter der Hand zum Thema macht. Denn auch wenn er in der Tat eine Reihe von fast schon normalen Akten gemalt, auch wenn er die Körperformen in Zeichnungen und Montagen aufgelöst und einigen Reminiszenzen an die Kunstgeschichte nachgegeben hat – sein Werk ist an einer Linie entlang entworfen, die die ironische Brechung der Konsumkultur zum Hauptthema macht. Eine einigermaßen komplizierte Volte, das intellektuelle Dilemma in der Erfüllung und Verweigerung anzuzeigen.

Dabei mögen Werbebilder und Pinups seine Vorlagen gewesen sein, dennoch wendet er sich offen gegen sie, indem er sie so direkt wiedergibt. Er geht dabei einen anderen Weg als seine Pop-Art-Kollegen, etwa Andy Warhol oder Roy Lichtenstein, indem er nämlich seine Figuren auf dem Weg in die Pop-Art immer künstlicher, imperfekter, immer genauer macht. Die ersten einschlägigen Bilder aus den frühen 1960er-Jahren zeichnen sich noch durch einen groben Pinselstrich aus, der ihnen eine raue, rohe, fast gewalttätige Prägnanz gibt.

Erst seine Werke aus den späteren 1960er-Jahren erhalten den Oberflächenglanz, der sie berühmt gemacht hat und mit dem er direkt ins Zentrum der Konsumkultur zielt. Ihre Unnahbarkeit kontrastiert das Versprechen, das die Nacktheit der Figuren immer wieder aufs Neue und völlig ungezielt gibt. Dass er zudem seinen Figuretten bekannte Gesichter gibt – „Peek-a-Boo-Scarlett“ weist etwa Ähnlichkeiten mit der Schauspielerin Scarlett Johannson auf –, gibt dem Ganzen noch eine weitere Dimension: Konsumkultur, Medienindustrie und Nacktheit werden als systemische Einheit präsentiert.

Identifikatorisch sind Ramos´ Bilder aber nicht. Das Lächeln Scarletts ist kaum als einladend zu verstehen. Ihre Nacktheit nicht entblößend, sondern einfach nur eine mediale Inszenierung. Mediale Inszenierungen jedoch haben einen eklatanten Nachteil: Sie sind dezidiert unecht. Ihr Versprechen ist hohl, ihre Protagonisten sind Schausteller – dahinter aber ist nichts, nicht einmal etwas, was an das Versprechen erinnern würde, das hinter der massenmedialen Inszenierung der Nacktheit steht, ein Begehren, das immer wiederkehrend ist und auf Erfüllung zwar nicht hoffen kann, aber darauf setzen muss.

Trotz alledem ist die Beständigkeit, mit der Ramos immer wieder auf sein Aktthema zurückkommt, merkwürdig, und provoziert die Frage, wieso es ihm mit seinem Lieblingsmotiv nicht auf Dauer zu langweilig geworden ist. Aber solche Fragen sind an abstrakte Maler ebenso zu stellen wie an farborientierte Künstler wie Mark Rothko. Und am Ende kann man nur hoffen, dass es ihnen wenigstens ein bisschen Spaß gemacht hat – denn wir wissen ja, „Fun ist ein Stahlbad“.

Die Mel-Ramos-Retrospektive ist bis 25. April in der Kunsthalle Tübingen zu sehen, danach im Museum Villa Stuck in München, und anschließend in der Albertina in Wien. Wer die Reise scheut, hat wenigstens die Gelegenheit, sich Mel Ramos im üppig aufgemachten Katalog anzuschaun.

Titelbild

Otto Letze (Hg.): Mel Ramos. 50 Jahre Pop Art.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010.
278 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783775725309

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