Die revolutionäre Vortragskunst des Barrikaden-Taubers

Jochen Voit beschreibt, wie der Schauspieler und Sänger Ernst Busch „den Schlaf der Welt“ anrührte

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Während der Trauerzug sich ,gemessenen Schritts‘ zur Urnenstätte bewegte, intonierte ein Musikzug den Trauermarsch ,Unsterbliche Opfer‘. Repräsentanten gesellschaftlicher Organisationen legten Kränze nieder. ,Die Urnenstätte mit dem Postament war von der Staatsflagge der DDR und der roten Fahne der internationalen Arbeiterklasse flankiert.‘ Zum Abschluss der Trauerzeremonie spielte der Musikzug die ,Internationale‘. Und wer hat gesungen bei der Beerdigung? Er selber natürlich. Die Tobandspulen drehen sich: ,Wenn das Eisen mich mäht, / Wenn mein Atem vergeht, / Sollt stumm unterm Rasen mich breiten.‘ Mein Gott.“

Mit dieser Passage, mit der er die Urnenbeisetzung von Ernst Busch beschreibt, die am 23. Juni 1980 auf dem Friedhof Berlin-Pankow III stattfand, beendet Jochen Voit sein Buch über den revolutionären Schauspieler und Sänger. Sie lässt Rückschlüsse zu: Der Ablauf der Beerdigung auf den Verstorbenen, der ungenierte Stoßseufzer am Ende der Beschreibung auf den Verfasser. Vielleicht hätte dieser noch ein paar Zeilen mehr zitieren sollen, mit denen das Lied „Wenn das Eisen mich mäht“ Buschs Lebenseinstellung passend beschreibt: „Lasst das Wortegespiel, / es war kein Held, der da fiel, / es war einer der nie / nach Völkermord schrie, / es war ein Bürger kommender Zeiten!“ Busch war ein bedeutender Agitator, der von sich und seiner Sache so überzeugt war, dass dieses Selbstbewusstsein seinem Biografen öfters Schwierigkeiten bereitet. Er schildert die Vorgänge, die Busch als egozentrischen Künstler zeigen, und er geht dann zumeist mit ironischen Anmerkungen auf Distanz.

„Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt / Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“: Was Friedrich Schiller über seinen Wallenstein geschrieben hat, gilt für eine exponierte Persönlichkeit wie Busch in besonderem Maße. Während Karl Siebig in seiner im Jahr 1980 bei Rowohlt erschienenen Dokumentation über Busch „Ich geh’ mit dem Jahrhundert mit“ aus seiner Bewunderung für den Künstler keinen Hehl macht, unternimmt Voit den Versuch, ein kritisches Lebensbild zu entwerfen. Dieses ist allerdings insgesamt gesehen öfters zu kritisch ausgefallen. Zwar skizziert der Biograf stets den historischen Kontext, in dem sich Buschs Leben abspielt, aber seine Handlungen in schwierigen Situationen werden durchgängig beanstandet. Dass Siebig mit seinem Protagonisten verständnisvoller umgeht, sieht man schon daran, dass er seiner Dokumentation einige Zeilen aus einem Gedicht von Johannes R. Becher vorangestellt hat: „Du kannst die Zeit / Dir nicht aussuchen, / In der du / Geboren wirst. / Das 20. Jahrhundert / Hat dich ausgesucht, / Die Zahl 19. / Begleitet deine Jahre. / Du bist geboren / In der Zeit der Völkerwanderung: / Die Völker wandern / Von unten nach oben.“

Als Kommunist wurde Busch in die Auseinandersetzung der politischen Weltanschauungen im „Jahrhundert der Extreme“ hineingezogen und musste „öfters als die Schuhe die Länder wechseln“, wie Bertolt Brecht es in einem Gedicht einmal formuliert hat. Viele Jahre seines Lebens musste er im Exil beziehungsweise nach seiner Verhaftung im Anschluss an seine Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg und seiner Auslieferung an die Gestapo im Moabiter Gefängnis und später im Zuchthaus Brandenburg in Haft verbringen und so lernte er die Schattenseite des Dritten Reichs kennen. Seine Frau Eva Busch, die ebenfalls viele Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück interniert war und Erniedrigungen erdulden musste, äußerte Jahrzehnte nach ihrer Entlassung, die ihre Mutter im Herbst 1944 erreicht hatte: „Wer nicht im KZ war, kennt die Deutschen nicht.“

Vor allem durch seine mitreißend vorgetragenen Lieder wurde Busch zum „Barrikaden-Tauber“ in Anspielung auf den berühmten Tenor Richard Tauber (1861-1948) und zum Idol seiner Zeit. Seine Auftritte werden für zahlreiche Zuhörer zu einem „Schlüsselerlebnis“: „Busch Konzerte wurden […] mitunter als Initiationsriten erlebt, als Gemeinschaftserlebnisse mit großer Prägekraft.“ Zuhörer berichten sogar, dass sie durch Buschs Liedvortrag Marxisten geworden seien. Die meisten Zeitzeugen bewundern seine Geradlinigkeit. Sein Schauspiel-Kollege Hans Söhnker hat es einmal so ausgedrückt: „Ich bin alles andere als ein Kommunistenfreund, aber ich habe eine Hochachtung vor seiner Gesinnung und Respekt vor seiner Haltung, die er immer gehabt hat und der er treu geblieben ist.“

Voit beschreibt öfters und recht eingehend auch seine negativen Seiten, wobei er sich nicht scheut, dafür die Berichte von Parteispitzeln heranzuziehen: „Er kann ein netter Kerl sein, aber er kommt so selten dazu. Busch ist eitel und empfindlich, hochmütig und scheu, ist Platzhirsch und Nachtigall, Macho und Mimose. ,Starallüren‘ sind dem Schauspieler schon in der Weimarer Republik von der Kritik bescheinigt worden, ,masslose Ueberheblichkeiten‘ hat dem Sänger ein Parteispitzel in Spanien attestiert. Ja, er ist ungehobelt, manchmal auch grob und verletzend in seinen Äußerungen, wenn er sich aufregt. Und er regt sich schnell auf. Busch ist ein Prolet. Das Wort hat noch nicht jene hauptsächlich negative Bedeutung, die es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts annehmen wird. Es steht, zumindest innerhalb der Linken, für den sich seiner Herkunft bewussten, stolzen Arbeiter, den ,klassenbewussten‘ Proletarier, der sich womöglich autodidaktisch weitergebildet hat und für die Verbesserung der Lebensumstände von Unterprivilegierten eintritt.“

Dies alles trifft auf den in Kiel geborenen gelernten Maschinenschlosser und Werftarbeiter Busch zu. Dieses Charakterbild ist insgesamt nicht zu erschüttern, schon gar nicht durch den kleinlichen Hinweis darauf, dass Busch in seiner Berliner Zeit Anfang der 30er-Jahre teure Maßanzüge getragen hat. Da wirft es weitaus mehr ein schlechtes Licht auf Buschs Charakter, wie schäbig er offenbar seine zeitweilige Lebenspartnerin Margarete („Tete“) Körting behandelte, an deren Beisetzung nach ihrem Tod 1963 er nicht teilgenommen hat. Hämisch hört es sich an, wenn Voit von Buschs grandiosen Erfolgen in diesen Jahren berichtet, als er zusammen mit dem „Sprechdichter“ und Kabarettisten Erich Weinert auf Großveranstaltungen zehntausende Zuschauer in „revolutionäre Partystimmung“ versetzte. Nachvollziehbar ist sicherlich die Bewunderung, die in der Äußerung von Hanns Eisler über seinen Freund Busch zum Ausdruck kommt: „Er hat alle Eigenschaften nicht nur des großen Künstlers, sondern auch des Volkstribunen.“

Verehrer haben ihn später als „Arbeitersänger“ tituliert. Dass Voit ihm diesen Titel in Abrede stellt, kann nicht überzeugen. Unter Verweis auf eine Aussage von Gustav Regler berichtet er auch darüber, dass die Nazis sich bemüht hätten, Ernst Busch „unter schönen Versprechungen für sich zu gewinnen.“ Seine Spekulation, dass „der blonde, blauäugige ,Märchenwanderbursch‘“ den Busch in dem Spielfilm „Kuhle Wampe“ verkörperte, „auch den Nationalsozialisten viel Freude gemacht“ hätte, ist maliziös.

Wie alle politisch Verfolgten, so hat auch Busch in seinen Emigrantenjahren ums nackte Überleben kämpfen müssen. Voit deutet diese Problematik an, die für Schriftsteller und Schauspieler natürlich noch viel größer war als für die anderen Künstler, da sie ja mit der deutschen Sprache arbeiten. In seiner Zeit als Exilant in den Niederlanden und in Belgien musste Busch dies schmerzlich erfahren. Ausführlich schildert Voit Buschs Jahre im Moskauer Exil. Von 1935 bis 1937 verbringt der Schauspieler 16 Monate dort und wird, ebenso wie die anderen deutschen Exilanten, nach einem Dossier des Trotzkismus von den Tschekisten des Volkskommissariats für Inneres überwacht und der Spionage verdächtigt. Dass die deutsche Emigrantengemeinde „in Grüppchen, Cliquen und Seilschaften“ zerfiel, „die einander nicht über den Weg trauten, sich gegenseitig bespitzelten und übereinander herzogen“, ist hinlänglich bekannt. Über Buschs Rolle kann Voit keine allzu konkreten Angaben machen; er verweist darauf, dass „der Sänger […] sich in Sicherheit zu wiegen“ schien: „Wer sonst war denn, als Nicht-Genosse, so gut vernetzt und so beliebt wie er?“ Widersprüchlich dazu verhält sich eine andere Aussage von Voit: „Es ist Spekulation, ob Busch tatsächlich umgebracht worden wäre, wenn er den Rat seiner Freunde, nach Spanien zu gehen, nicht angenommen hätte und stattdessen 1937 in Moskau geblieben wäre.“

In Spanien fängt er an, eigene Liedtexte zu schreiben – beispielsweise über den ehemaligen kommunistischen Reichstagsabgeordneten Hans Beimler, der im Spanischen Bürgerkrieg fiel. Busch hat den Text auf die Melodie des Soldatenlieds „Ich hatt einen Kameraden“ geschrieben. Später hat er ihn als Sprechgesang vorgetragen und mit der „Internationale“ unterlegt. Diese Aufnahme ist an ergreifendem Pathos kaum zu überbieten, veranlasst Voit aber lediglich zu der Anmerkung: „Ein Lyrikwettbewerb ist damit schwerlich zu gewinnen.“ Ausführlich lässt er Gustav Szinda, einen „der eifrigsten Zuträger der Komintern“ zu Wort kommen, der Busch vermutlich im Jahr 1939 überaus negativ charakterisierte: Er sei „sehr unkameradschaftlich, arrogant und überheblich“ gewesen und „immer bestrebt auf Grund seiner Arroganz sich in Vordergrund zu stellen und sich feiern zu lassen.“ Süffisant fasst Voit zusammen: „Der ehemalige Kinoheld war kein Kriegsheld.“ Er habe Spanien nicht begriffen und habe es doch verstanden, „es in seinen Liedern zum schönsten Platz der Welt zu erklären, für dessen Freiheit sich zu sterben lohnt“. Auf jeden Fall zählen Buschs „Lieder des Spanischen Bürgerkriegs“, vor allem das Lied „Spaniens Himmel“, zu seinen größten Erfolgen, die ihn unsterblich machen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Busch eine Zeit lang für die kulturpolitischen Wortführer in der DDR, die er zu seinem Heimatland machte, eine „Autorität auf der Bühne und Respektsperson im Leben“. Mag es bei ihm auch Zeiten der inneren Zerrissenheit gegeben haben, so ließ er sie nicht nach außen dringen. Sie hätten auch nicht in in das Bild gepasst, das man von ihm hatte: „Der Künstler als Fels inmitten stürmischer Brandung, seine Stimme als Orientierung bietendes Leuchtfeuer beim Navigieren durch die von Diktatur und Krieg aufgewühlte deutsche See.“

Kulturpolitiker und Kulturschaffende hatten dieses Bild geprägt: „Aus dem rebellischen Künstler mit der anarchistischen Aura wurde ein Staatskünstler, aus dem ,Volkssänger‘ der ,Sänger des Volkes‘, aus dem Propagandisten eine Propagandafigur. […] Busch war die multiple Personifizierung dessen, was im sozialistischen Teil Deutschlands 40 Jahre lang als heilig gelten würde: Arbeiter, Revolutionär, Antifaschist, Repräsentant der deutsch-sowjetischen Freundschaft, Spanienkämpfer – mehr ging nicht.“ In den 1960er und 1970er-Jahren wurde Ernst Busch mit Fanpost vor allem aus der Sowjetunion überschüttet, in der er zum „guten Deutschen“ schlechthin stilisiert worden war.

Ein unglückliches Ende nahm die von Busch gegründete Schallplattenfirma „Lied der Zeit“. Voit schildert, wie der Sänger als Direktor dieser Firma die Schallplattenproduktion in der DDR aufbaute, dann aber auf Betreiben der Staatlichen Kunstkommission als Direktor abgesetzt wurde. Sein Betrieb firmiert ab 1954 unter „VEB Deutsche Schallplatten“. Voit berichtet auch, wie Busch das Lied „Die Partei“ von Louis Fürnberg singt und berühmt macht, und bezeichnet es als „das mit Abstand blödeste Lied seines Lebens“. Er habe sich mit diesem Lied „deutlicher als je zuvor zum antidemokratischen Prinzip des Staatssozialismus“ bekannt – eine fragwürdige Behauptung, die auch in Widerspruch zu einer weiteren These steht, der zu Folge „zu Beginn der 50er-Jahre […] im Bereich der Kunst“ eine „Ideologisierung nach Plan“ vollzogen wurde, „was zwangsläufig zu Konflikten mit selbstbewussten Künstlern führen muss.“ Besser nachvollziehbar sind Voits Ausführungen, mit denen er Buschs Intention erläutert, den politischen Schlager zu kreieren und im DDR-Kulturbetrieb zu etablieren. Der Biograf verweist immerhin auch darauf, dass Buschs eigene Platten für viele „Lehr- und Rauschmittel“ waren: „Manche behaupten, durch das Hören von Busch-Platten überhaupt erst für sozialistische Ideen empfänglich geworden zu sein.“

„Falls Ernst Busch je ein Arbeiterphänomen gewesen sein sollte – nach 1945 war er keines mehr“, behauptet Voit. „Die Subkultur, die er früher repräsentiert hatte, ließ sich nicht wiederbeleben, schon gar nicht in der DDR“. Das kann man sicherlich auch anders sehen. Bedenkt man, welchen Verleumdungen, Einschränkungen und massiven Behinderungen der Künstler zeitweise ausgesetzt war, dann kommt man sicherlich nicht umhin, seine beachtlichen Erfolge noch höher einzuschätzen und zu bewundern. Voit merkt abfällig an: „Echte Popularität beim jungen Publikum zu erlangen – dafür reichte es für Busch am Ende nicht. Was die ostdeutsche Öffentlichkeit über ihn erfuhr, weckte mehr Ehrfurcht als Begeisterung.“

Der Autor, der sonst nicht mit Belegen geizt, hat für diese Behauptung keine nachzuweisen. Er fügt lediglich die merkwürdige Bemerkung an, dass Buschs „sieben LdZ-Jahre […] dennoch Spuren in der DDR“ hinterließen, und er verweist darauf, dass bei dem Konzert, das Busch anlässlich seines sechzigsten Geburtstags gab, „vor der Türe Jugendliche, die unbedingt noch hineinwollen“, sich drängen: „Sie haben sogar einen Drohbrief verfasst, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen“. Drinnen im Saal wird der „Star des Abends mit stehenden Ovationen“ begrüßt. Vorgänge also, die Voits Einschätzung offensichtlich widerlegen. Er selbst verweist ja auch auf die großen Erfolge, die Busch „auf den Theaterbühnen Europas“ gehabt hat, nicht nur mit seiner Paraderolle des Galilei in Bertolt Brechts Stück „Leben des Galilei“. Nicht zu vergessen ist, dass Buschs Lieder in der DDR und der Sowjetunion als „emotionale Beiträge zum Staatsbürgerunterricht“ eingesetzt wurden.

Um Buschs Person ranken sich auch viele wahre und erfundene Vorfälle, von denen manche zu Legenden verklärt wurden: Die Geschichte mit dem angeblichen auf den FdJ-Zentralrat bezogenen Götz-Zitat, sein ominöser Parteiaustritt beziehungsweise Ausschluss, das Gerücht, dass er Erich Honnecker geohrfeigt habe. Voit behauptet, Busch habe im Alter ein „zunehmend misanthropisches Wesen“ offenbart und beruft sich auf Gerhard Rietdorff, der in den 1950er-Jahren als Bühnentechniker am BE tätig war. In einem im Jahr 2004 geführten Interview beschwert sich der Beleuchter über Busch, der „ewig unleidig“ und „menschlich ein Miststück“ gewesen sei. Der Leser fragt sich, weshalb Voit solche diskreditierenden Beschimpfungen in sein Buch überhaupt aufnimmt.

Seine letzten Jahre verbrachte Busch in der Bezirksnervenklinik Bernburg, wo er am 8. Juni1980 verstarb. Zuletzt plagten ihn Durchblutungsstörungen im Gehirn, Zwangsvorstellungen und Verfolgungswahn. Vielleicht waren es die Vorboten seiner Krankheit, die den Eklat bei der VII. Kunstausstellung der DDR im Dresdner Albertinum auslösten: Das Porträt, das der Maler Ronald Paris von ihm angefertigt hat, bringt Busch so sehr in Rage, dass er auf dessen Entfernung drängt. Er empfindet das Bild, das sich der Leser im Foto-Teil der Biografie anschauen kann, scheußlich und diffamierend. Der Maler hat ihn in der Tat nicht vorteilhaft dargestellt, aber eine Persönlichkeit mit Souveränität sollte das aushalten können.

Faktenreich und gut nachvollziehbar wird dem Leser Buschs Wirkungsgeschichte in Ost und West vorgestellt. In Westdeutschland wurde der politische Sänger vor allem im Zusammenhang mit der Studenten- und Friedensbewegung rezipiert. Voit verweist darauf, dass Busch mit seinen Platten, die in hoher Anzahl verkauft werden konnten, quasi den Dortmunder Pläne-Verlag sanierte. Auf der Rückseite der Plattenhülle „Ernst Busch 1. Lieder der Arbeiterklasse 1917-1933“ konnte man lesen: „Ernst Busch und seine Lieder sind integrierte Bestandteile des bundesrepublikanischen Klassenkampfes und seiner vielfältigen außerparlamentarischen Aktionen.“ Weiter verweist der Verfasser Herbert Lederer darauf, dass Buschs Lied „Moorsoldaten“ bei den Ostermärschen aus Gründen der „aktiven Solidarität“ gesungen wird. Busch wird als „Mobilisator“ von Demonstrationen und politischen Einsätzen „gegen die Notstandskoalition in Bonn“ und für die Demokratie gefeiert: „So sind seine Lieder alles andere als Konsumgüter für kulturlinke Schöngeister. […] So sind Revolutionär und Künstler nicht zu trennen. In beidem unvergleichbar – gilt es, ihn je nach Fähigkeiten nachzuahmen.“

Busch war Film- und Theaterschauspieler, Kabarettist und Sänger. Vor allem durch seine Lieder, die uns durch die zahlreichen Schallplattenaufnahmen erhalten geblieben sind, wird er uns in Erinnerung bleiben. Denn seine mitreißend vorgetragenen Arbeiterlieder, vor allem aber seine Lieder zum Spanischen Bürgerkrieg, schlagen auch heutige Hörer in den Bann. Oder auch nicht, denn Buschs Pathos polarisiert. Normalerweise ist einem Biografen zu empfehlen, sein Buch objektiv und mit kritischer Distanz zu seinem Protagonisten zu schreiben; Voit wäre allerdings zu wünschen gewesen, dass er für Busch und sein Handeln größeres Verständnis und tiefere Sympathie hätte entwickeln können. Sie hätte nicht ganz so heftig ausfallen müssen wie die von Konstantin Simonow, der Busch in seinem Gedicht „Der Deutsche“ so beschrieb: „Der Sänger schien nicht nur zu singen, / er sang und kämpfte stark und kühn, / und seiner trock’nen Lippen Schwingen / war wie des heißen Schlachtwinds Glühn.“

Lenin war für Busch das „größte Genie unseres Jahrhunderts“, weshalb er ihm ein mitreißendes Lied widmete. Voit hat eine Zeile aus diesem Lied herausgegriffen, auf Busch bezogen und seinem Buch als Titel gegeben: „Er rührte an den Schlaf der Welt.“ Er erläutert seine Vorgehensweise nicht, aber jedem, der sich mit Ernst Busch beschäftigt, wird schnell klar, dass er ein Künstler war, der die Massen wach rütteln und bewegen konnte. Seine auf Schallplatten gepressten Lieder werden auch künftigen Generationen die politischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts anschaulich zu Gehör bringen. Sie beweisen zudem, dass Busch das Pathos meisterhaft beherrschte und dadurch seine Zuschauer in ihrem Innersten anrühren und ergreifen konnte. Bei denen, die für revolutionäres Pathos empfänglich sind, funktioniert dies heute noch.

Voit überzeugt durch Gründlichkeit. Er hat alle Stationen von Buschs Leben akkurat recherchiert und spannend nacherzählt. Dies stellen unter anderem die umfangreichen Anmerkungen und Quellen-Nachweise unter Beweis, die dem Leser auch die Möglichkeit eröffnen, selbst den Spuren nachzugehen. Erstaunlich ist, wie viel der Biograf auch über Buschs Jugendzeit in Kiel und seine ersten Engagements an der dortigen Bühne sowie anschließend am Theater der Stadt Frankfurt an der Oder herausfinden konnte. Auf jeden Fall hat Voit mit seinem Buch dazu beigetragen, die Erinnerung an den bedeutenden Schauspieler und Sänger wach zu halten. Bedauerlich ist, dass er es versäumt hat, auf den Freundeskreis Buschs (Vorsitzender: Jürgen Elsner) zu verweisen, der dazu seit Jahren mit Publikationen, Veranstaltungen, Kolloquien und Ausstellungen essentielle Beiträge leistet. Es wäre wünschenswert, dass bei passenden Anlässen die Rundfunksender Lieder von Busch abspielen würden. An das Personenregister, das den Abschluss des Buchs bildet, sind Seiten mit Werbeanzeigen angeschlossen. Gleich die erste Werbung verkündet: „Ab sofort im Handel: Die CD zur Busch-Biographie. Sein legendäres Comeback-Konzert nach Jahren des Schweigens. Zum 50-jährigen Jubiläum gibt es die Rarität erstmals auf Tonträger, ausführlich kommentiert und in hervorragender Klangqualität.“ Na dann: Besorgen und auflegen! Busch lebt weiter.

Titelbild

Jochen Voit: Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch. Die Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2010.
515 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783351027162

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