Angstlust für die Westentasche

Thilo Wydra schreibt über das Phänomen Hitchcock

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die „Suhrkamp Basisbiographien“ haben sich als ebenbürtige Alternative zu den altehrwürdigen, jedem vertrauten „Rororo Monographien“ etabliert. Nun wurde, zum dreißigsten Todestag des Regisseurs, „Alfred Hitchcock. Leben Werk Wirkung“ herausgebracht. Um es vorwegzunehmen: Thilo Wydra hat hervorragende Arbeit geleistet. Eine gehaltvollere Darstellung wäre auf 140 Seiten kaum möglich. Die Vorgaben der Reihe erweisen sich dabei als segensreich: Klare Gliederung in Leben, Werk und Wirkung – die gleichwohl sinnvoll unterlaufen wird –, sparsamer Einsatz von Farbe, elegante Typografie und großzügig bemessene Schriftgrade sekundieren erfolgreich Wydras Bemühen um sprachliche Klarheit.

Das erste Wort lautet „Angst“. Es kennzeichnet Hitchcocks filmisches Schaffen, die Reaktionen des Publikums, darüber hinaus aber die Leistung des Autors: Wydra gelingt es, den Blick auf das Wesentliche des Werks und des Menschen zu richten, das Phänomen Hitchcock mit wenigen Worten, an erster Stelle „Angst“, „Suspense“ und „MacGuffin“, geschickt zu umreißen – just wie es von einer „Basisbiographie“ erwartet wird.

Wydras Geschick bei der Auswahl des Bildmaterials ist besonders zu würdigen. Fotografien werden unaufdringlich, aber suggestiv platziert. (Ein Teil des Verdiensts gehört dem Meister: Hitchcocks Kunst, sich geistreich ins Bild zu setzen, ist von wenigen übertroffen worden.) Auch Wydras stilistische Fähigkeiten sind hochrespektabel: Diese Prosa ist für Laien verständlich, wissenschaftliche Terminologie wird sparsam eingesetzt. Dennoch entsteht nie der Eindruck mangelnder Professionalität. Was die inhaltliche Seite angeht, wird auch Hitchcocks zuweilen schnöde missachtetes Wirken im Fernsehen gewürdigt („Alfred Hitchcock presents“, „The Alfred Hitchcock Hour“) – in seiner künstlerischen Prägnanz und Wirkung auf die öffentliche Person.

Kritik am Detail grenzt an Beckmesserei. Gleichwohl sei der Hinweis gestattet, dass einige wenige Formulierungen unglücklich scheinen. Dies betrifft die Unterscheidung zwischen „formal-stilistischen“ und „inhaltlich-strukturellen“ Gesichtspunkten der Filmanalyse. Sie wird sich unbefangenen Lesern nicht leicht erschließen.

Als eine Hauptquelle firmieren – wie für jedes Buch über Hitchcock – die unvergänglichen Gespräche mit François Truffaut, die gleichwohl nicht unkritisch eingesetzt werden, denn Wydra ist sich Hitchcocks Hang zur ironisch überzeichneten Selbstinszenierung wohl bewusst: „Hitchcock befindet sich in den Filmstudios Saint-Maurice in Joinville nahe Paris […], als François Truffaut und Claude Chabrol ihn interviewen wollen. Es ist dies die erste Begegnung der beiden […] mit ihrem bewunderten Vorbild. Aber der Termin fällt im wahrsten Sinne des Wortes ins Wassers, denn beide stürzen unmittelbar vor der Begegnung im Halbdunkel in einen Pool, um sodann völlig durchnässt vor dem Meister zu stehen […].“ Wydra weiß Chabrol mit einer bemerkenswerten Korrektur am Detail zu zitieren: „,Die Wahrheit ist […], dass Truffaut […] ein wenig gelogen hat. Denn er erzählte, dass er mir geholfen habe, aus dem Bassin zu kommen. Doch die traurige Wahrheit ist, dass es genau umgekehrt war […]. Und ich habe den Beweis dafür: Truffaut konnte nicht schwimmen, während ich universitärer Champion im Schmetterlingsschwimmen war.‘ (Claude Chabrol; Gespräch mit dem Autor, Februar 2009.)“

Man sieht: Für Unterhaltung ist gesorgt. Auch dies ein bedeutender Vorzug des Bandes – umso mehr, als bei Hitchcock Humor und Entsetzen von jeher eng verbunden waren:

„Es ist der Morgen des 29. April 1980. Gegen halb zehn Uhr morgens stirbt Alfred Hitchcock […]. Als die Trauerfeierlichkeit […] stattfindet, da ist die Verwunderung ob des fehlenden Sarges groß. Ein letzter Scherz des Meisters. […] Eine katholische Feier mit jesuitischem Pater, formell und korrekt – und der Sarg fehlt. Hitch hatte zuvor seine Einäscherung bestimmt. Seine Asche, so hatte er es angeordnet, soll irgendwo am Pazifik verstreut werden […].“

Titelbild

Thilo Wydra: Alfred Hitchcock. Leben Werk Wirkung.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
158 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-13: 9783518182437

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