Christliches Denken im Mittelalter
Kurt Flasch stellt ausführlich und kompetent den Philosophen Meister Eckhart vor
Von Josef Bordat
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseRechtzeitig zum Eckhart-Jahr 2010 (vor 750 Jahren wurde der Meister geboren) legt Kurt Flasch, zuletzt Professor für Philosophie in Bochum, Autor mediävistischer Standardwerke („Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli“, 1986) und Herausgeber mittelalterlicher Autoren im Rahmen der Reihe „Corpus Philosophorum Theutonicorum Medii Aevi“, die umfangreiche Bilanz seiner Jahrzehnte währenden Arbeit zu Leben und Werk des bedeutenden Dominikaners vor: „Meister Eckhart. Philosoph des Christentums“. Das Buch basiert insbesondere auf der „Forschungsskizze“ „Meister Eckhart. Die Geburt der „Deutschen Mystik“ aus dem Geist der arabischen Philosophie“ (2006 erschienen, ebenfalls bei C. H. Beck, München). Flasch möchte in der vorliegenden Eckhart-Summe insbesondere das „Neue und Originelle herausarbeiten“, unter Verzicht auf weitverzweigte philologische Feinarbeit.
Neu und originell ist vor allem, dass Flasch Meister Eckhart nicht als „Mystiker“, schon gar nicht als Vertreter einer „Deutschen Mystik“ versteht, sondern als Philosophen, der in der Tradition der von Albert dem Großen und Dietrich von Freiberg vermittelten aristotelisch-arabischen Intellekttheorie steht. Dabei stellte Eckhart mit seinen bildhaften Näherungen an philosophische und theologische Schlüsselbegriffe (Geist, Seele) im Anschluss an Aristoteles, Averroes und Dietrich dem christlichen Denken Interpretationen zur Verfügung, die durchaus als „modern“ gelten können. Mit seinem substantiellen Gotteskonzept (Gottheit) gelingt ihm für das Christentum eine wichtige Abgrenzung des Numinosen von anthropogen-akzidentiellen Projektionen („Gott“), die als Schutz vor Missverständnissen in Theologie und Glaubenspraxis dienen kann. Zudem kommt der Einheitsgedanke bei Eckhart deutlich heraus, und seine Annahme einer Unzeitlichkeit des Schöpfungsaktes wirkt verlockenden Versuchen, Gott als anfänglichen Teil einer innerweltlichen Kausalkette zu verstehen und damit fassbar und dienstbar zu machen, argumentativ entgegen.
Flasch betrachtet von den beiden Polen „Reflexion“ und „Devotion“, die das Bild von Meister Eckhart auszeichnen, insbesondere den rationalen Zugang des Denkers Eckhart zu entscheidenden Bibeltexten. Die Exegese Meister Eckharts ist weniger spekulativ und eigenwillig als vielmehr stark an die zeitgenössischen Theorien von Geist und Seele, Vernunft und Erkenntnis, Substanz und Akzidens angelehnt, an Überlegungen, wie sie nicht nur in seinem Orden (Albert, Dietrich), sondern auch in der jüdisch-arabischen Kultur des Hochmittelalters (Avicenna, Averroes) angestellt worden waren. Folgerichtig werden auch die Umstände dieses Eckhart´schen Denkens, also der biografische und zeitgeschichtliche Hintergrund, in der vorliegenden Arbeit kenntnisreich beleuchtet. Flasch räumt dabei ganz nebenbei mit manchem Vorurteil gegenüber „dem“ Mittelalter auf, das „vielseitiger, bunter und regionaler“ war, als früher angenommen. In der Hauptsache aber zeigt Flasch anhand ausgewählter Texte und ihres genannten Entstehungskontexts, warum Eckhart auch heute noch aktuell und wertvoll ist, vielleicht wertvoller als je zuvor: die Radikalität seines „ungespielten Christentums“ und die Kraft seiner ausdrucksvollen Sprache machen ihn anziehend.
Doch Flasch reflektiert nicht nur gewohnt sachlich über Eckhart und gewohnt kritisch über die sonstige Eckhart-Rezeption, der diese Sachlichkeit oft abgeht, sondern auch über den eigenen Ansatz, was eher ungewöhnlich, aber sehr erhellend ist. Mitten im Buch stolpert man über ein „Intermezzo“, in dem der Autor Aspekte seiner Intention und Methodik erklärt und dabei einige Fallstricke beim Schreiben über Eckhart markiert, die besonders die Terminologie betreffen („Was heißt ,Vernunft‘ im Unterschied zu ,Vernünftigkeit‘?“). Schließlich gibt er auch noch Hinweise zum richtigen Lesen von Eckhart-Texten. Die meisten, so Flasch, lesen Eckhart falsch. Wer Eckhart als Christ lese, auf der Suche nach intellektueller Horizonterweiterung, die aber grundsätzlich im Rahmen seiner Konfession verbleibt, übersehe die Differenzen zur kirchlichen Lehre (das gilt für Katholiken wie Protestanten). Wer Eckhart als „großstadtmüder Ruhe- und Gottsucher“ liest, als typischer „Mystikkunde“ also, der gehe ihn „unter falschen Voraussetzungen an“, zu oberflächlich, nicht nachhaltig. Dadurch wird er, der Leser, zum leichten Opfer der „Mystikindustrie“, die ihn mit dem angeblich „Okkulten, Esoterischen, Geheimnisvollen und Erhabenklingenden“ vom echten Eckhart ablenken will, um ihr Geschäft zu machen. Flasch weist damit auf eine gewisse Paradoxie hin: Das Interesse an Eckhart ist sehr groß, das Wissen über Eckhart indes sehr gering.
Mit dem vorliegenden Buch kann dem abgeholfen werden. Es trägt die philosophischen Gedanken der wichtigsten Texte Eckharts zusammen, rekonstruiert sie, ordnet sie ein und macht sie für den Leser des 21. Jahrhunderts – nicht zuletzt auch durch eine ansprechende Sprachgebung – fassbar, gerade weil Flasch sich der gut sieben Jahrhunderte Distanz zwischen Sender und Empfänger bewusst ist und weil er diese Distanz nicht vorschnell zuschüttet, um Eckhart um jeden Preis vermarktbar zu halten. Auch wenn man der Deutung Flaschs nicht immer folgen mag, sei es, weil man sich doch den Mystiker Eckhart erhalten will, sei es, weil man als Christ die öffnende Weite der Gedanken Eckharts schätzt und meint, sie auch mit wesentlichen Elementen der kirchlichen Dogmatik in Einklang bringen zu können – Flasch bietet mit seiner Analyse in der Tat eine neue und originelle Interpretation, an der die Eckhart-Freunde der Gegenwart nicht vorbeikommen. Auch formal erfüllt das Buch alle Ansprüche: Es verfügt über einen umfangreichen Anhang mit Endnoten, Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister. Kurt Flasch hat mit „Meister Eckhart. Philosoph des Christentums“ mit Sicherheit nicht das letzte Wort in der Eckhart-Forschung gesprochen, aber ein überaus gewichtiges.
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