Lächeln, auch wenn das Herz zerbricht

Zum ersten Todestag von Michael Jackson

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Michael Jackson hat es immer versucht: zu lächeln, auch wenn Ängste und Schmerzen das Lächeln erschweren. Michael Jackson liebte es, auf der Bühne zu stehen, obgleich er es hasste, auf Tour zu sein. Ein Leben in Hotels, sich verstecken müssen – hinter abgedunkelten Scheiben der Limousinen, warten in Parkhäusern auf die Anfahrt zum nächsten Stadion, dem nächsten Konzert, die nächste hysterische Menschenmenge – das Grau des Betons in den Städten sei ihm zuwider, schrieb Jackson selbst einst in „Moonwalker“. Er liebte die Natur, die Bäume, frische Luft. Und so schuf er sich ein wenig Freiheit und Natur auf der Neverland-Ranch. Freiheit? Michael Jackson sang und tanzte meistens allein in den weitläufigen Zimmern seines Anwesens. Er schrieb Gedichte, malte und komponierte in Einsamkeit.

Man kann nur erahnen, wie gerne Jackson häufiger aus dem Kokon der Neverland-Märchenwelt ausgebrochen wäre. Doch kreischende, unberechenbare Fans belagerten ihn überall. Schon als Kind musste Michael erfahren, wie es ist, wenn die Liebe zum Idol so groß wird, dass die greifenden Hände der Fans Schmerzen zufügen. Sie erschreckten ihn, ließen den schüchternen Künstler ängstlich die Distanz zu ihnen immer weiter vergrößern.

Vor allem nach der History-Tour wuchs diese Distanz zu seiner Umgebung enorm an, und er zeigte dieses bewusst. Er verwandelte sich äußerlich in ein Kunstwesen, ein feenartiges Geschöpf. Sein Gesicht sollte so aussehen, wie er es wollte, die Ähnlichkeit zum verhassten Vater legte er ab und schuf eine neue Peter-Pan-Identität, eine exzentrische Schatulle, die ihm Sicherheit geben sollte. Die Medienhatz und die Vorwürfe des Kindesmissbrauchs ließen die innerliche Schutzmauer zerfallen. Weinend rief Michael Jackson einen Reporter an, der ihn als Freak bezeichnete und fragte ihn, warum er ihm das antue. Zuletzt vertraute Michael Jackson fast niemand mehr, zog heimatlos um die Welt.

Das Leid, das Michael Jackson zugefügt wurde, ist nur wenig beachtet worden. Und doch lächelte er, warf den Fans Kusshände zu und trainierte im vergangenen Jahr hart dafür, wieder auf die Bühne zu kommen. Er gab nicht auf. Immer zu lächeln und den Lebensmut nicht zu verlieren, lernte Michael Jackson von seinem Vorbild Charlie Chaplin.

Chaplins Film „Modern Times“ beschreibt 1936 ähnlich wie Jahre zuvor schon Fritz Langs „Metropolis“ die Folgen der automatisierten Welt. Menschen arbeiten an Maschinen, im Grau der Städte. Die Menschen werden von Pflichten niedergedrückt, nur der jugendliche Geist des Tramps, Charlie Chaplin, und seiner Freundin schaffen es, als lebende Geister aus einer Welt der Automaten auszubrechen. In „Moonwalker“ schrieb Jackson von der Last, dass er wie ein Zahnrad in einer Maschine funktionieren muss. Schließlich könne er sich keine Fehler erlauben, er war sich seiner Verantwortung für viele Arbeitsplätze bewusst.

Das Ende von „Modern Times“ ist mit der Melodie des Lieblingsliedes von Jackson unterlegt: „Smile“. Lächelnd geht Chaplin zu „Smile“ mit seiner Liebe Hand in Hand dem Morgen entgegen. Nat King Cole erklomm mit dem Song 1954 die Charts. Jackson nahm ihn 1995 für sein HIStory-Album auf. Und Michaels Bruder Jermaine sang „Smile“ bei der Trauerfeier in Los Angeles im vergangenen Jahr. „Du wirst sehen, dass das Leben noch lebenswert ist, wenn du nur lächelst“, heißt es in dem Text des Liedes. Jackson hat versucht, alle Probleme mit einem Lächeln zu überspielen. Am 25. Juni 2009 starb er an einer Überdosis Propofol, seine „Milch“, wie er sagte, mit der er seine Ängste unter Kontrolle halten musste und die ihm so etwas Ähnliches wie Schlaf ermöglichte. Die Welt verlor ein musikalisches Genie, das geliebt und gejagt wurde – und das bis zum Schluss lächelte.