Der Ariadne-Faden der Kontinuität

Sigrid Schmid-Bortenschlager fasst in „Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000“ die Ergebnisse ihrer dreißigjährigen Forschungstätigkeit zusammen

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die literaturwissenschaftliche Frauen- und gender-Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen, dass die Geschichte der Frauenliteratur im deutschsprachigen Raum wegen des traditionellen Ausschlusses der Frauen aus der Öffentlichkeit von Brüchen und Neuanfängen gekennzeichnet ist, doch das Fehlen von Autorinnen in den Literaturgeschichten (bis auf wenige Ausnahmen) ist das Ergebnis einer seit zwei Jahrhunderten mit großem Aufwand betriebenen Verdrängung.

Geschuldet ist sie der Dichotomisierung der Geschlechterrollen einer erstarkenden bürgerlichen Gesellschaft, die für die weibliche Literaturproduktion fatale Folgen hatte: Die konstruierte Unvereinbarkeit von ,weiblich‘ und ,gelehrt‘ bewirkte, dass Frauen entweder die (passive) Rolle der Empfängerin – sei es als Leserin, Gastgeberin oder Mutter – zugewiesen bekamen oder als Autorinnen mit bestimmten Gattungen (Brief, Tagebuch und ähnliches) vorlieb nehmen mussten. Die Vorstellungen einer autonomen kreativen Autorschaft waren an die Person des (genialen) männlichen Autors gebunden. Ebenso die kritische Urteilsfähigkeit, sodass grobe Verstöße gegen eine der geschriebenen oder ungeschriebenen Konventionen weiblichen Schreibens – wie etwa die (demonstrative) Bescheidenheit im Bereich Bildung oder das Primat der Sittlichkeit – auch bei bekannten Schriftstellerinnen mit der Ignoranz ihrer Person geahndet wurden. Besonders resistent erwies sich dabei das Stigma der literarischen Minderwertigkeit jeglicher Frauenliteratur, das bis in das 20. Jahrhundert wirksam blieb.

Bei dieser Marginalisierung setzt auch Schmid-Bortenschlager in ihrer Monografie „Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000. Eine Literaturgeschichte“ an und nennt als hauptsächlichen Grund für die Ausgrenzung von Frauen aus der deutschsprachigen Literatur einerseits das Genie-Konzept, andererseits die starke Politisierung der Literatur mit dem Ziel, Einheit zu stiften und die Staatsgründung auch auf diesem Wege herbeizuführen. Für die deutschsprachige Literatur der Habsburgermonarchie stellte sich zudem die Frage nach einer mit der „deutschen“ Literatur konkurrierenden „österreichischen Nationalliteratur“, ohne allerdings bei der Entscheidung für eine eigene Traditionslinie die sprachlich-kulturelle Heterogenität des Landes zu berücksichtigen. Hier verweist Schmid-Bortenschlager auf aktuelle Lesarten, wie etwa den Versuch, den „Habsburgischen Mythos“ im Sinne des postkolonialen Paradigmas einer kritischen Revision zu unterziehen (siehe hierzu die Forschungsplattform Kakanien). Für die Autorinnen galt demnach: „Durch die Wahl der deutschen Sprache schreiben sie sich in die herrschende Kultur ein, auch wenn sie selber in dieser Kultur noch marginalisiert sind“.

Im eigentlichen literaturgeschichtlichen Teil der Arbeit wird in acht Kapiteln ein informativer und unterhaltsamer Überblick über die österreichische Literatur von Frauen geboten. Historische und gesellschaftspolitische Zäsuren – 1800, 1900, der Erste und der Zweite Weltkrieg, 1968 und die 1980er- und 1990er-Jahre – helfen dabei, das umfangreiche Material, erfasst in biografischen Skizzen, Gattungsdarstellungen und Werkanalysen, sinnvoll zu ordnen. Zwar hat die Forderung nach einer Integration der Literatur von Frauen in eine Gesamtdarstellung der deutschsprachigen Literatur für Schmid-Bortenschlager ihre Berechtigung, doch sie hat sich für eine der „Kompensationstheorie verpflichtete Variante der zusammenhängenden Darstellung“ entschieden. Auf diese Weise kann nicht nur der Anteil der Frauen an der Literatur sichtbar gemacht, sondern auch die besonderen Lebens- und Schreibbedingungen berücksichtigt werden. Ihrer (institutionalisierten) „Netzwerkbildung“ ist übrigens ein ganzes Kapitel gewidmet: In einem Exkurs werden unter anderem die besonderen Verdienste des Wiener Vereins der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen (gegründet 1885) auf dem Gebiet der Förderung und sozialen Absicherung ihrer Mitglieder diskutiert.

Selbstredend standen die Autorinnen – zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichem Maße – auch mit ihren männlichen Kollegen im Kontakt oder nahmen am gesellschaftlichen Leben teil, wie die zahlreichen Querverweise belegen. Schmid-Bortenschlager korrigiert zum Beispiel die Annahme über die isolierte Position bestimmter Autorinnen wie Betty Paoli oder die kanonische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach, die auch den Buchumschlag ziert. Schriftstellerinnen betätigten sich schon früh auch in literarischen Bereichen, in denen man sie normalerweise nicht vermuten würde: Die heute vergessene Auguste Groner (1850-1929) gehört mit ihrem Wiener Detektiv Joseph Müller zu den Begründerinnen des Kriminalromans, dessen Traditionen in der Zwischenkriegszeit von Edith Heralth, in den 1970er-Jahren durch die Frauenkrimis des Milena-Verlags, weitergeführt wurden. Wenig Beachtung geschenkt wird bis ins 20. Jahrhundert den Leistungen der Frauen in den „Kleinen Gattungen“ – ein Begriff, den Schmidt-Bortenschlager in Anlehnung an Gilles Deleuze und Felix Guattari verwendet –, etwa ihren journalistischen und essayistischen Texten, sowie ihren Publikationen im Bereich der Reise- und Kinderliteratur: „Nach wie vor gelten diese Bereiche, trotz aller Bemühungen, als weniger wichtig, weniger prestigeträchtig als die wirkliche ‚hohe‘ Literatur – nicht zuletzt deshalb, weil sie häufig von Frauen praktiziert werden.“ Weder die im Zuge der ‘68er-Bewegung erreichte Akzeptanz der Frau noch die aktuelle, aus dem Nebeneinander mehrerer Generationen resultierende Fülle von Namen, kann laut Verfasserin darüber hinwegtäuschen, dass weibliche Autoren ein minoritärer Bestandteil der literarischen Szene sind.

Trotz bekannter Vorbehalte gegenüber Literaturgeschichten, die auch in der Studie selbst thematisiert werden, ist der Autorin eine gute Orientierungshilfe gelungen. Ihr kritischer Blick auf etablierte und weniger bekannte Schriftstellerinnen lässt eine differenzierte Darstellung zu, die im Spiegel aktueller Forschungsansätze und Einzeldarstellungen Altbewährtes durch neue Perspektiven und Verbindungen ergänzt beziehungsweise Bereichen, die bisher der Erschließung harren, durch das Aufzeigen ihrer Besonderheiten zu höherer Wertschätzung zu verhelfen versucht. Damit ist diese Studie nicht einfach eine abermalige Wiederholung der bekannten Namen und Texte, sondern auch die Weiterführung einer spannenden literarischen Spurensuche, die die Aufmerksamkeit kundiger Leser verdient.

Titelbild

Sigrid Schmid-Bortenschlager: Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000. Eine Literaturgeschichte.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2009.
240 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783534227273

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