Aalglatt, oberflächlich und ein wenig teuflisch

Philipp Tinglers Gesellschaftsroman „Doktor Phil“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine auf Oberflächlichkeit, Wohlleben und Zerstreuung fixierte Gesellschaft ist die Folie für Philipp Tinglers Roman „Doktor Phil“. In dieser lebt und leidet der promovierte Philosoph Oskar Canow als „Gesellschaftsjournalist“ und Kolumnist. Er ist mit der attraktiven und wortgewandten Lauren verheiratet, verdient gut, hat eine Haushaltsangestellte und wird von einer leichten Unzufriedenheit mit seinem Dasein geplagt. Dem „Leiden auf hohem Niveau“ wird zwar keine Abhilfe geschaffen, aber Tingler greift zu einem Trick, zaubert einen Deus ex machina aus dem Hut – der in diesem Fall allerdings kein Deus ist, sondern dessen Gegenspieler, der Teufel. In die Langeweile und den gesellschaftlichen Überdruss hinein wird Oskar Canow von ebendiesem Teufel ein Angebot unterbreitet: Er erhält ein sorgenfreies, schmerz- und krankenfreies Leben und als Zugabe, da sich Oskar nicht auf das „Geschäft“ einlassen möchte, noch einmal fünf Jahre zusätzliche Lebenszeit. Der Preis für diese Gaben des Teufels scheint gering zu sein: Oskar würde lediglich über den Termin seines Lebensendes informiert werden.

Die Diskussion über den Verlust der Hoffnung auf Unsterblichkeit wird nur vereinzelt und marginal zwischen Oskar und seiner Frau ausgetragen. Während der Lektüre fragt man sich, was eigentlich das Thema des Buches ist. Die Hauptperson trägt keine Konflikte aus, ist nicht hin- und her gerissen ob der Anwesenheit des Teufels. Oskar bleibt wie er ist – trotz eines einschneidenden Erlebnisses wie der Begegnung mit dem Teufel. Lediglich die Beschreibung der gesellschaftlichen Veranstaltungen, der Partys und des zerstreuenden Geplauders vermittelt Authentizität. Die Personen werden nicht zu Charakteren und die Lektüre bleibt ebenso unverbindlich wie das Verhalten der Romanfiguren. Nur die gut aussehende, pointiert argumentierende Lauren hinterlässt beim Leser einen bleibenden Eindruck.

Der gut geschriebene Roman verschenkt die Möglichkeit einer ernsthaften Diskussion und verfällt in den gleichen Ton wie die vermeintlich kritisierte gesellschaftliche Oberflächlichkeit – ohne auf der Metaebene die Möglichkeit der Reflexion zu erlauben. Mit den kleinen treffenden Gesellschaftsminiaturen gelingt es nicht, den Spannungsbogen zu halten, obwohl der Autor den Leser immer wieder zu viel versprechenden Brücken führt, die von brillanten Formulierungen getragen und sprachlich auf höchstem Niveau leider ins Leere führen: „Alles neu. Zwischen gestern und heute lag ein Golf, breiter als der Zürichsee, Oskar schien sich selbst ein Fremder – oder eher ein Doppelter, als wäre das Ich, das er kannte, unversehens seinem hässlichen Zwilling begegnet, an den er sich nur festgekettet fand. Alles in der Vergangenheit schien einfach, licht und leicht; und jetzt, heute…“ Vergeblich wartet man – an dieser und schon manch vorhergehender Stelle – auf die Entwicklung der Hauptfigur, auf Ergebnisse einer solcherart avisierten Zerrissenheit. Und dann wird die Lektüre im letzten Drittel auch noch ein wenig langweilig. Muss man nicht lesen – wirklich nicht!

Titelbild

Philipp Tingler: Doktor Phil. Roman.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2010.
351 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783036955575

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