Des Wahnsinns fette Beute

Uta Maria Heims „Totenkuss“ erzählt von Mord und Totschlag zwischen Stuttgart und Schramberg

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Uta Maria Heim gehört seit Jahren zum Besten, was die deutsche Krimilandschaft zu bieten hat. Zahlreiche Preise dokumentieren eindrucksvoll ihren Werdegang: 1992 und 1994 der Deutsche Krimi-Preis, 1994 der Förderpreis Literatur des Kunstpreises Berlin und 2000 der Friedrich-Glauser-Preis für den besten Kriminalroman. Die Ehrungen ließen sich noch weiter fortführen.

Wer Heims Werk von Beginn an verfolgt hat, der fragt sich in der Tat, wie sich Heims fulminante Kriminalromane der frühen 1990er-Jahre noch steigern ließen. „Das Rattenprinzip“ und andere Werke hatten in einer bis dato kaum gekannten Radikalität an den sozialen Grundfesten der bieder-bürgerlichen schwäbischen Grundordnung gerüttelt. Heim ermöglichte den Blick hinter die Kulissen und hielt damit der bürgerlichen Gesellschaft einen Spiegel vor.

Totenkuss bildet das Ende einiger Kriminalromane, vor allem des „Rattenprinzips“ und des „Wespennests“. Dabei tauchen zahlreiche Charaktere der früheren Kriminalromane wieder auf, wie der Rote Karle und Claudi Winterhalter.

War die Welt der Nachwende im schwäbischen Stuttgart bereits aus den Fugen geraten, so ist die dies am Ende des ersten Jahrzehnts im 3. Jahrtausend nach Christi Geburt erst recht. Die globale Wirtschafskrise stellt nicht nur die Existenz des Einzelnen in Gefahr, sondern bedroht die Welt des freien Unternehmertums als solche.

Alle Charaktere in „Totenkuss“ haben düstere Geheimnisse und leben in geheimen Parallelwelten: Welche Verbindungen besitzen Kriminalhauptkommissar Fehrle und der Serienmörder Olaf Hahnke? Waren sie gemeinsam in einen Mord verwickelt? Kann der Rote Karle trotz seines Schlaganfalls immer noch die Fäden der linken Revolution zusammenführen? Geriert der Grundschullehrer Ludger Sachs trotz seiner Neigung zur Päderastie zum Helden? Und: Was passierte tatsächlich in jener Nacht im Hochsicherheitstrakt von Stammheim, als Andreas Baader und Gudrun Ensslin den Tod fanden?

Verschwörungstheoretiker und Liebhaber des Abgründigen kommen bei Heim einmal mehr auf ihre Kosten. Das Bestechende ist dabei, dass man bei der Lektüre das Gefühl hat, dass alles genauso und nicht anders gewesen sein muss.

Dabei überrascht dann immer wieder der Perspektivwechsel. Ein und dasselbe Ereignis kann aus einer anderen Perspektive anders beurteilt werden – und jede Sichtweise ist für sich plausibel und besitzt ihre Berechtigung. Damit bezieht Heim auch einen erkenntnistheoretischen Standpunkt, wenngleich auch rein immanent.

Nach wie vor gilt: Heim ist nicht nur für schwäbische Krimikenner und -liebhaber ein Muss. Sie versteht es wie kaum jemand ihren Romanplot und ihre Charaktere kunstvoll und komplex zu komponieren und dem Spiel des Möglichen Raum zu geben. Bleibt zu hoffen, dass Heim uns noch viele weiter Kriminalromane bescheren wird.

Titelbild

Uta M. Heim: Totenkuss. Kriminalroman.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2010.
279 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783839210598

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch