Neue Optik
Ein anregender Sammelband zu Ingeborg Bachmanns Medien
Von Markus Joch
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFür den ausgetretenen Pfad der Bachmann-Forschung, das moralisierende Abgleichen von Literatur und Wirklichkeit, interessieren sich die AutorInnen dieses Bandes erfreulich wenig. Stattdessen lenken sie die Aufmerksamkeit auf bislang kaum beachtete Aspekte. Abgesehen davon, dass Bachmanns Literatur seit je von Medien handelte, von Post und Telefon, Radio und Buch, zeigt sie, dass Medien Inhalte nicht nur ,vermitteln‘, sondern gestalten, in die Textverfahren hineinspielen. Zudem bilden sie die Umwelt von Literatur. Wie hieß es noch in „Malina“? „Freud, Adler und Jung gelesen bei 360 Watt in einer einsamen Berliner Straße, zu den leisen Umdrehungen der Chopin-Etüden.“ Der Ansatz erweist sich als ergiebig, was hier nur an drei besonders gelungenen Beiträgen veranschaulicht sei.
Einleuchtend kritische Töne zum Umgang der Lyrikerin mit der Werbung schlägt Georg Stanitzek an, der am Schulbuch-Klassiker „Reklame“ (1956) ein Moment allzu didaktischer Montage ausmacht. Die der ,menschlichen‘ Stimme – „wohin aber gehen wir“ – entgegengesetzte Stimme der Werbung – „ohne sorge sei ohne sorge“– bezieht sich zunächst noch auf zeitgenössischen Sprachgebrauch: zum einen auf die Existentialontologie, zum ganz anderen, dies die erste interessante Entdeckung des Exegeten, auf den Slogan eines Werbefilms der Firma Aral. Vom empirischen Weg kommt die Autorin jedoch ab, wenn sie sinnsuchende Menschen von sinistrer Werbung „in die Traumwäscherei“ locken lässt. Traumwäscherei? So spricht Reklame nicht, ihr wird vielmehr ein kulturkritisches Raisonnement (,Traumfabrik‘,,Gehirnwäsche“) in „denunziativer Katachrese“ unterschoben. Dazu passt, dass die von der menschlichen Stimme schließlich aufgerufene „Totenstille“ die Werbestimme zum Verstummen bringt – eine problematische Größenphantasie der Heidegger-Adeptin Bachmann vom Sieg des Eigentlichen über das Geschwätz des massenmedialen Man.
Und doch erbringt die Wechselrede von Stimme eins und zwei eine denkwürdige Leistung. Die Ästhetik ständiger Unterbrechung antwortet auf eine Konfrontation von Poesie und Werbung im ,alten Medium‘ selbst, das heißt auf die viele Leser seinerzeit verstörende Neuerung der rororo-Taschenbücher, Texte mitten im Buch von ihrerseits (trivial-)poetischer Reklame unterbrechen zu lassen. Zum Beispiel von einer Aral-Anzeige: „Fahre ohne Sorge“. Durch dieses zweite, noch bessere Fundstück Stanitzeks fällt auf die wohlbekannte Formenwahl der Lyrikerin tatsächlich ein neues Licht. „Die Nähe“ von Poesie und Werbung „wird als Konkurrenz verstanden, inszeniert und ausgetragen auf dem aktuellen Terrain der Montage“.
In „Der gute Gott von Manhattan“ (1958) erkennt Oliver Simons ein Hörspiel, das, über den geläufigen Liebesdiskurs hinaus, auf mehreren Ebenen vom Hören handelt. Es reflektiert das Sprechen der Figuren als aufgeführte Rede und macht die Wahrnehmung der Sprechakte zum Thema; installiert mit den zwei Eichhörnchen buchstäbliche Medien, sprich Überträgerinnen von Botschaften; bietet mit dem Gespräch zwischen Jan und Jennifer, der Rede der Eichhörnchen, der Gerichtsverhandlung und schließlich mit den anonymen Summen aus dem Radio gleich vier Tonspuren. Auf die Spitze aber treibt es die Radiophantasie, wenn Jan der Stimme Jennifers „hörig“ werden will und das Ohr an sie legt wie eben an ein Radio. Die Geste verdankt sich jener Sehnsucht nach unmittelbarem Austausch, beteiligtem Hören, von dem schon die Radiotheorie der 1930er-Jahre träumte, links (Bertolt Brecht) wie rechts (Richard Kolb).
Elisabeth Wagner beleuchtet die komplementäre Beziehung zweier Erzählungen aus „Simultan“ (1972). Der in „Drei Wege zum See“ artikulierten Abneigung gegen Statik, Starre und falsche Suggestivkraft von Fotografie entspricht die Aufwertung unscharfen Sehens in „Ihr glücklichen Augen“. Die Protagonistin Miranda empfindet „ihre kranken optischen Systeme“, die (mit Bachmann geteilte) Kurz- und Zerrsichtigkeit, durchaus als Vorteil. Wer auf die Korrektur durch Brille oder Kontaktlinse verzichtet, entwickelt einen bildschöpfenden Blick, kann die wenigen visuellen Informationen malerisch ausgestalten, sich etwa einen Geliebten schön- und interessantsehen. Nur hat die verweigerte Klarsicht zum Preis, dass man schon mal wildfremden Männern um den Hals fällt oder im Konzertgestühl Nachbar- und Stuhlbein verwechselt. An Bachmanns situationskomische Fähigkeiten zu erinnern, war einfach an der Zeit.
Die thematische Bandbreite der 14 Aufsätze dürfte Sie verblüffen, es sei denn, Sie wissen schon, wie der Verschreiber „Todesraten“ mit einer Revolution auf dem Schreibmaschinen-Sektor zusammenhing, oder wie Hans Werner Henze die Erinnerungs- und Verlustmotive der „Zikaden“ (1954/55) musikalisch umsetzte. Zweiter Vorzug des reich illustrierten Bandes: eine avancierte, dabei angenehm nüchterne Terminologie. Nicht nur in puncto Medieninteresse, auch beim Metapherntilgen hält es das Herausgeber-Duo mit dem Lehrer im Hintergrund. Klaus Scherpe und den Seinen graut es vor überflüssigen Bildern wie einst einer Lyrikerin vorm Dichtungsschwulst der 1950er-Jahre: „Soll ich / eine Metapher ausstaffieren / mit einer Mandelblüte?“
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