Aus dem Saarland nach Deutschland

Joseph Roths „Briefe aus Deutschland“ in einer Neuausgabe

Von Jürgen RöhlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Röhling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Joseph Roth 1927 für die Frankfurter Zeitung ins Saarland reiste, war dies eine Reise ins Ausland. Das damalige Saargebiet war (mit geringfügig anderen Grenzen als das Saarland heute) seit 1920 als Folge des Versailler Vertrags vom Deutschen Reich abgetrenntes Sondergebiet unter Völkerbundmandat, de facto unter französischer Hoheit, und damit ein deutsch-französischer Zankapfel, wie das Elsass. Das Saargebiet hatte immense Kohlevorkommen, so dass handfeste wirtschaftliche Interessen die Politik bestimmten. Die „Heim-ins-Reich“-Kampagne der Nazis wurde vor allem zu einem rassistischen Progagandafeldzug, denn Frankreich hatte auch afrikanische Kolonialsoldaten im Saargebiet eingesetzt.

Von all dem liest man in Roths Reportagen, die er aus dem Saargebiet nach Frankfurt schickte, wenig. Er hört eine Rede gegen den italienischen Faschismus, aber ihn interessiert weniger der Inhalt, mehr die Reaktion des Publikums: „Sieht man sie erbeben, wenn ein Unrecht verflucht wird, so glaubt man an die Existenz absoluter Gerechtigkeit und absoluter Tugenden, für die sie zweifellos den Maßstab besitzen. Aber im nächsten Augenblick ruhen schon die Hände, müde vom Klatschen, aber auch von der Arbeit – müde, müde Hände.“

Schon der Auftakt der Saar-Reportagen ist ein Manifest des Humanismus, der Roth viel mehr als alle Ideologien und politischen Ideen nahestand: „Ich hasse die ,Grenze‘ zwischen zwei Ländern. […] Ein Pfahl, ein Drahtgitter, ein Zollwächter, ein Visum, ein Stempel, ein Aufenthalt. Es sollten Symbole sein und es sind Niederträchtigkeiten.“ Joseph Roth sieht mit anderen Augen als der Rest der Welt. Das fremde Geld in der Hosentasche „erinnert an die Briefe der verlorenen Geliebten: nicht wertlos aber ungültig.“ So wird alles Offizielle, Politische, Staatliche bei Roth menschlich. Es spricht. Der Gruß „Wieder im Land?“ erweckt in ihm eine Liebeserklärung an das Wort „Land“ – nicht Vaterland, patrie: „Dieses Wort kann es ertragen, allein zu stehen. Es enthält Wälder, Wind, Häuser, menschliche Beziehungen und nicht: einen Paß, einen Mahnzettel der Steuerbehörde, einen Einberufungsschein für Reservisten.“

Roth will Menschen sehen, und er sieht sie: im Lokal, auf der Straße, im Bergwerk. Dies macht seine Reportagen nicht unpolitisch, es macht sie zeitlos. Manche sind wie Miniaturen, Skizzen für nie geschriebene Erzählungen und Romane. Schon 1997 wurden die „Briefe aus Deutschland“ separat als Buch herausgegeben. Jetzt ist eine neue, (um was?) „ergänzte“ Auflage erschienen, die neben den Texten in Originalversion auch Tagebucheintragungen Roths und ein namentlich nicht gekennzeichnetes Nachwort (vermutlich vom Herausgeber) enthält. Eine prägnante Einleitung, die Entstehungszeit und -umstände erläutert, vermisst man dagegen, dies muss man sich aus dem langen, bisweilen umständlichen und etwas ungeordneten Nachwort heraussuchen. Da gehen Biografisches und Zeitgeschichtliches, beides gründlich recherchiert und erhellend, leider einher mit einer etwas verbittert klingenden Abrechnung mit den Herausgebern der Joseph-Roth-Werkausgaben und deren Ungenauigkeiten, vor allem was Roths Beistrich-Besonderheiten angeht – ohne Zweifel korrekt im Detail, aber doch besser im editorischen Nachwort (das der kleine Band auch enthält) unterzubringen.

Insgesamt aber liegt hier ein sehr schöner, auch handwerklich gut gemachter Band vor, der uns Roth wieder lesen lässt, was sich immer lohnt, denn er war einer der ganz großen Stilisten des 20. Jahrhunderts, mal sachlich, mal expressionistisch, mit Ausrufen und Kürzestsätzen, ja Einwortsätzen, doch nie manieriert; da liest man von Pech und Gestank der Lokomotiven, „beinahe ein Parfüm“, Ritzen in der Erde, ordnungwollenden Tafeln überall und hoch über allem eine Uhr, gelb und böse – es geht um den Bahnhof von Saarbrücken, „der traurigste aller Bahnhöfe“…

Im Entstehungsjahr 1927 reiste Joseph Roth als einer der bestbezahlten Journalisten (Zeilenhonorar eine Mark!) durch halb Europa und lieferte Artikelserien: aus Russland, Albanien und Jugoslawien, dem Saargebiet, kurz darauf aus Polen, dann Italien. Nur eine Auftragsreise durch den Harz auf Heines Spuren brach er ab – „zu spießig….“. Man soll diese Texte lesen, sie waren damals etwas besonderes (wer fuhr schon nach Albanien?) und sind es noch heute. Joseph Roths Sachlichkeit, sein Pathos und seine poetische Trauer soll man immer wieder entdecken.

Titelbild

Joseph Roth: Briefe aus Deutschland.
Gollenstein Verlag, Blieskastel 2007.
185 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783938823231

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