Die politische Theologie des Zionismus

Yotam Hotams gnostischer Blick auf die Kulturkrise um 1900

Von Gabriele GuerraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Guerra

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Schriftenreihe des Simon-Dubnow-Instituts ist ein Buch des Israelischen Wissenschaftlers Yotam Hotam erschienen, das sich mit dem geistes- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang um 1900 zwischen zionistischem Denken und der deutschsprachigen Lebensphilosophie beschäftigt und nach ihrer Verbindung fragt. Damit begibt sich der Autor in einen Kontext, den er durch eine gnostische Stimmung dominiert sieht. Dass Hotam drei anscheinend sehr weit voneinander entfernte geistesgeschichtliche Phänomene in einem einzigen Atemzug nennt, stellt die Faszination dieses Buches dar; zugleich aber auch die Gefahr, eine allgemeingültige Erklärung für allzu verschiedene Phänomene zu suchen – und zu finden.

Schon Ioan Culianu, der früh verstorbene Religionswissenschaftler rumänischer Herkunft und Schüler Mircea Eliades, hatte einmal ironisch davor gewarnt, dass der religionsgeschichtlich in der Spätantike situierte Gnostizismus sich in ein facettenreiches Phänomen verwandelt habe, das nun auf alle historischen Epochen beziehbar schien: „Not only Gnosis was gnostic, but the catholic authors were gnostic, Nazism was gnostic, liberalism, existentialism and psychoanalysis were gnostic too“. Die Ironie von Culianu schließt natürlich nicht aus, dass in der Moderne durchaus eine gnostische Stimmung herrschen kann, die jedoch keine bestimmbaren religionsgeschichtlichen Züge trägt, sondern nur von einer vagen heilstheologische Erlösungsfärbung begleitet wird.

Dies ist der Fall, der in dem vorliegenden Buch dokumentiert ist, in dem die „Strukturen gnostischen Denkens“ innerhalb der Lebensphilosophie um die Jahrhundertwende berücksichtigt werden. Der Autor diagnostiziert somit eine Tendenz, in der eine Dichotomie zwischen Wahrheit und Fiktion, zwischen dem Primat des Lebendigen und der Stellung des Geistes angenommen wird und schließlich den theologischen – und politischen – Gehalt der Lebensphilosophie um 1900 bestimmt. Diesen Gehalt bezeichnet Hotam insofern als gnostisch, als es sich bei der Gnosis „um eine verborgene ahistorische Zeit, eine Entstellung von Raum und Zeit, ein schwarzes Loch, das jenseits der Grenzen unseres Begriffsvermögens liegt“, handele. Diese Bezeichnung Hotams scheint aber zu einer Überspannung des Gnosis-Begriffs zu tendieren: Wo die Gnosis zum ahistorischen, sogar meta-begrifflichen Phänomen wird, lässt sie sich als universeller Terminus anwenden, unter dem sich letztlich alle geschichtlichen und theoretischen Erscheinungen subsumieren lassen.

Das ist übrigens auch der Fall der heutzutage sehr aktuellen Diskussion über die Biopolitik und die biopolitischen Entwicklungen. Sie zeigen dasselbe Verhältnis von Opposition und Resignation und tendieren somit zum ,immerwährenden’ Erklärungsmuster.

Dennoch hat der Autor Recht, wenn er die theologisch-politische Bestimmung der Lebensphilosophie in den Jahren der Krise um 1900 wie folgt resümiert: „Die Lebensphilosophie erscheint als radikale Auflehnung gegen die politisch-soziale Ordnung, hervorgegangen aus (gnostischer) Leugnung der (religiösen) Fundamente, auf denen die Kultur beruht“. Hotam beschreibt hier eine politisch-theologische Strategie, die auch die politische Frage der Nation transzendiert, weil sie „als Ausdruck für die Rückkehr zur immanenten Natur, zum ursprünglichen nationalen Selbst“ verstanden wird.

Auf dieser theoretischen Grundlage entrollt Hotam also ein Interpretationsmodell, das Zionismus und Lebensphilosophie, Gnosis und Kulturkritik zusammenführt und unter einer homogenen Forschungsperspektive analysiert. So werden Ludwig Klages, Theodor Lessing und Jakob Klatzkin in drei miteinander verbundenen Fallstudien als Denker bezeichnet, die eben dieses Zusammenhalten exemplarisch repräsentieren. Sie werden als Beispiele jenes nietzscheanischen Denkstils vorgestellt, der von der Auseinandersetzung zwischen der Natürlichkeit des Lebens und der Künstlichkeit der Kultur lebt. Auf diese Weise thematisiert Hotam den Konflikt zwischen Leben und Zivilisation, sowie zwischen Leben und Religion, der einen oppositionellen Charakter zur Kulturkrise der Zeit mit sich bringt. Der (theologisch-)politische Inhalt des Zionismus entpuppt sich nach Hotam konsequent in der Dichotomie, die in dem modernen Judentum präsent ist, nämlich zwischen „dem einen Zustand (dem Exil), der das Unhistorische und damit A-Politische des Lebens unter dem Joch des jüdischen Religionsgesetzes verkörpert, und dem anderen Zustand, zu dem es zurückzukehren gilt, nämlich dem Leben im eigenen Land, ein Zustand, der sowohl historisch als auch politisch ist“.

Auf diese Weise gelingt dem Autor eine Darstellung des theologisch-politischen Kontextes der Kulturkrise um 1900, die von einer „gnostisierenden“ Färbung durchzogen ist und neue interessante – womöglich auch zu weit führende – Perspektiven in der Interpretation des Zionismus eröffnet.

 

 

Titelbild

Yotam Hotam: Moderne Gnosis und Zionismus. Kulturkrise, Lebensphilosophie und nationaljüdisches Denken.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009.
277 Seiten, 42,90 EUR.
ISBN-13: 9783525369890

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