Der „Djihad“ als Pathos-Losung des postmodernen Blockbuster-Kinos?

Statt eines Editorials: Von David Lynchs „Dune“ (1984) bis zu James Camerons „Avatar“ (2009) – Selbstmordattentäter-Erzählungen und völkische Ideologien scheinen für die Kriegs- und Fantasy-Filme der letzten Jahrzehnte ein Erfolgsgarant gewesen zu sein

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

„Wahnsinn? – Das ist Sparta!“ Mit diesen Worten spricht König Leonidas seine Kriegserklärung gegen die unbesiegbare Übermacht des Perser-Königs Xerxes aus und stößt dessen fassungslosen Boten in ein tiefes Brunnenloch. Vielleicht kennen Sie diese irritierende Szene aus Zack Snyders Frank-Miller-Comic- und Antike-Mythos-Verfilmung „300“ (2007): In Leonidas’ spartanischem Reich zählt nur eins – die Kamikaze-Schlacht bis zum letzten Mann, zur Not auch gerne im Himmelfahrtskommando-Modus „David gegen Goliath“.

Leben darf innerhalb dieses Stammes nur jener harte, starke und unbeugsame Kämpfer, der nichts Ersehnenswerteres kennt, als für die bellizistische Idee beziehungsweise das völkische Label „Sparta“ zu sterben – während zum Beispiel die benachbarten Athener von Leonidas und seinen Kriegern lediglich als verweichlichte „Knabenliebhaber“ verhöhnt werden. Dem entindividualisierten Rekruten dieses Reiches erscheint sein Staat paradoxerweise als Synomyn für die absolute „Freiheit“, obwohl er doch schon als kleines Kind rücksichtslos von seiner liebenden Mutter getrennt wurde und fortan nichts anderes mehr als Drill, Entbehrungen und Schmerzen für dieses angebliche Ideal erleben durfte. Am Ende, nach Erfüllung seiner Pflichten, ist er dann in Zack Snyders Film mit seiner „Freiheit“ genauso mausetot wie alle anderen. Wie heißt es doch so treffend in Bertolt Brechts epischem Drama „Leben des Galilei“ (1939): „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Doch da das Orakel und der hohe Rat von Sparta einen Krieg gegen Xerxes verbieten, weil sie auf diplomatische Verhandlungen drängen, zieht Leonidas kurzerhand mit einer Elite-Todesschwadron von 300 Partisanenkämpfern los, um mit diesem kopflos in den Untergang geführten Selbstmord-Attentäter-Kommando auf eigene Faust gegen die anrückenden Perser vorzugehen. Ein Schelm, wer hier vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des war on terror den dämonischen Xerxes aus „300“ mit Despoten wie Saddam Hussein oder Mahmud Ahmadinedschad vergleicht – wobei frappiert, dass in der Dramaturgie von Snyders Film die ‚gute und freie westliche Welt‘, nämlich Leonidas’ Sparta, gegen die ‚böse islamische Übermacht‘ ausgerechnet so kämpft wie Osama bin Ladens Al Qaida: nämlich als terroristisches Todeskommando und in einem militärisch vollkommen aussichtslosen, ‚asymmetrischen Krieg‘.

Nicht ‚der Westen‘ ist in dieser pathetischen Kino-Erzählung ‚dekadent‘ und lockt mit wilden Orgien, sondern frappierenderweise das islamische Vielvölkerimperium des Xerxes, während Leonidas und seine Krieger von Kindesbeinen an so asketisch leben wie heutzutage höchstens noch die Taliban. Irgendetwas muss an dieser komplett verkehrten Story wohl besonders bewegend und publikumswirksam sein, dass man ohne Weiteres 65 Millionen Dollar in die Produktion ihrer Verfilmung stecken und danach spielend 445 Millionen an den Kinokassen wieder einnehmen konnte.

Die antike Legende von Elite-Völkern wie den Spartanern, die ihre behindert geborenen Kinder gleich ‚aussonderten‘ und töteten, um nur die ‚gesunden‘ weiterleben zu lassen und bereits ab dem siebten Lebensjahr im Nahkampf zu trainieren, begeisterte bekanntlich auch schon die Nationalsozialisten. Die Vorstellung eines auf nichts als Kampf und Sieg setzenden, ‘rassisch reinen’ Militärstaats war auch die ihre, und diese Ideologie wiederum fußte auf einer Tradition, die in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in der Weimarer Republik viele Anhänger behalten hatte. In einer großen Zahl soldatischer Romane der Zwischenkriegszeit wurde schon lange vor 1933 im Sinne einer ‘Konservativen Revolution’ die Vorstellung eines aus den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs geborenen und ‚gestählten‘ neuen Menschen beschworen.

Und dafür war nicht etwa nur Ernst Jünger zuständig. Selbst der zunächst als Expressionist bekannt gewordene Arnolt Bronnen lässt 1929 einen Freikorps-Kämpfer in seinem offen faschistischen Roman „O.S.“ den historischen deutschen Partisanenkrieg in Polen, der nach Kriegsende 1918 im Industriegebiet Oberschlesiens aufflammte und auffälligerweise genau wie in Snyders Film vom eigenen, demokratischen Staat der Kämpfer keineswegs legitimiert, sondern im Sinne des Versailler Vertrags verboten wurde, mit den martialischen Sätzen begründen: „Wir glauben noch. Wir glauben an eine Idee über uns. Wir beten an ein Licht über den achtzig Millionen Deutschen. Wir lieben eine geistige Form, die von uns zu füllen, von uns zu beleben ist. Wenn diese Form unseren Tod will, so müssen wir folgen. Auch die Karthager folgten ihr und gingen nicht unter, obwohl sie starben bis zum letzten Mann. Andere Völker, feigere, blieben leben. Wir haben ihre Namen nie gehört.“

Zack Snyders Film ist kein Einzelfall. Er gehört in seiner eigentümlichen Identifikation mit einem Feindbild, das nach 1990 auch Samuel Huntingtons fragwürdige These eines „The Clash of Civilisations“ (1997) zu festigen half, gleichzeitig mit früheren Werken wie David Lynchs „Dune“ (1984), Larry und Andy Wachowskis „The Matrix“ (1999) und neuerdings auch James Camerons „Avatar“ (2009) zu denjenigen erfolgreichen Science-Fiction-, Fantasy- und Kriegsfilmen, die einem begeisterten Massenpublikum einen regelrechten „Djihad“ zur Identifikation anbieten. Sowohl in „Dune“ als auch in „The Matrix“ gibt es einen „Auserwählten“, eine messianische und zugleich athletische Führerfigur, und in Lynchs „Dune“, einer nach Ansicht der Fans gescheiterten, ästhetisch aber gleichwohl hochinteressanten Verfilmung von Frank Herberts gleichnamigem Science-Fiction-Romanzyklus mit ‚Kult-Status‘, wird vom Freiheitskampf des wilden Wüstenvolks der Fremen sogar ganz explizit als „Djihad“ gesprochen.

Verstörenderweise wird in diesen Filmen im Sinne der uralten Faszination des Partisanenkampfs, der etwa auch schon einen Schriftsteller wie Heinrich von Kleist begeisterte, letztlich nichts weiter als die heutige, todesverherrlichende Strategie von Terrororganisationen wie der Hamas und der Hizbollah aufgegriffen: Für den schwammigen Begriff der „Freiheit“ und ihrer mythisch überhöhten Substitute wird besonders in Snyders „300“ ein Gesellschaftsbild propagiert, das die Zuschauer eigentlich das Fürchten lehren müsste.

Offenbar erzeugt jedoch das Angebot einer Identifikation mit wenigen, tapferen Selbstmordattentätern auch beim westlichen Publikum immer noch geradezu zwangsläufig Blockbuster-Erfolge. Man könnte also ohne Weiteres die erschreckend anmutende Regel aufstellen: neofaschistische Todeskulte und Imaginationen von völkischen Selbstopfer-Kämpfen für die ‚Freiheit‘, die ‚Natur‘ und den ‚Geist‘ einer kleinen, selbstlosen und vor allem asketisch lebenden, also letztlich antimodernen Elite sind im Kino nach wie vor auf breiter Basis konsensfähig und sorgen offensichtlich für jene Affekte, die einen Film beim Massenpublikum mit großer Wahrscheinlichkeit zum Kassenschlager machen.

Übrigens scheinen diese problematischen ‚Pathosformeln‘ auch im Iran gewirkt zu haben: Wie man bei Wikipedia nachlesen kann, beschwerte sich Ahmadinedschads iranische Regierung sogar bei den Vereinten Nationen über Zack Snyders „300“ – anstatt sich darüber zu freuen, dass hier die von George W. Bush begonnenen Kriege als irrationaler Kampf eines kleinen Haufens irrer Waffennarren dargestellt werden, zeigte auch die Diktatur in Teheran einmal mehr, dass sie selbstverständlich ebenso in solchen fundamentalistischen Kategorien von kriegerischer „Ehre“ denkt. Und zwar, indem sich unter anderem Ahmadinedschads kulturpolitischer Berater Javad Schamgari beschwerte, der Film „erniedrige“ sein Land: Damit wollte er wohl sagen, dass er es besser gefunden hätte, wenn in dem Film anstatt der Spartaner das persische Imperium als homophober Kasernenstaat ausgeflippter Selbstmordattentäter dargestellt worden wäre, die auch dann noch begeistert in den aussichtslosen Kampf ziehen, wenn sie damit obendrein einen totalen Krieg gegen die eigene Zivilbevölkerung heraufbeschwören. Und wieder darf man hier ergänzen: ein Schelm, wer dabei an Ahmadinedschads notorische Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel denkt.

Merkwürdig ist das allemal: Offenbar ist die pompöse Verherrlichung eines esoterischen Glaubens an sinnlose Konstrukte wie religiös überhöhte „Völker“ mit messianisch dargestellten Führerfiguren auch beim ‚westlichen‘ Publikum nie aus der Mode gekommen, sondern bleibt selbst in Europa ein Garant für große Gefühle und heiße Tränen im Kinosessel. Wie kann das sein? Klaus Theweleit formulierte sein analytisches Unbehagen gegenüber der überwältigenden 3-D-Ästhetik von James Camerons „Avatar“ vor einiger Zeit im „Spiegel“ wie folgt: Es wachse beim Zuschauen deshalb, „weil ‚Avatar‘ seine technologisch-elektronischen Spektakel im Gewand diverser esoterischer Akte präsentiert. Gelockt wird die ‚gläubige‘ Menschheit im Rahmen einer Erzählung, in der das Technische das Böse ist und das naiv-urweltlich-religiös Tierisch-Menschliche das Gute. Und dies Gut-Gemisch siegt über das Technologische mit Hilfe von Pfeil und Bogen.“

Für Zack Snyders „300“ wie auch für den noch vor der Jahrtausendwende für Aufsehen sorgenden Film „The Matrix“ von den Wachowski-Brüdern gilt letztlich ganz genauso, was Theweleit angesichts von „Avatar“ schlicht „pervers“ findet: Der Krieg der asketischen Freiheitskämpfer gegen die technische Übermacht wird im Kino nicht zuletzt mit genau jenen modernsten medialen Computer-Technologien so eindrucksvoll in Szene gesetzt, die die fortschrittlichste Kriegsführung, wie wir sie derzeit im Irak und in Afghanistan als bloß noch virtuell vermittelte Kampfszenarien präsentiert bekommen, erst möglich gemacht hat.

Mit diesen frappierenden Beobachtungen ist allerdings noch nichts Genaues über die jeweilige Ästhetik der Filme gesagt, ihre besondere Form der Mise-en-scène beziehungsweise der Mise-en-image, wie sie erst durch bestimmte Kameramanöver sowie die hier eingesetzte Trick- und Computertechnik konkret entsteht. Hinzu käme die Rolle des jeweiligen Soundtracks und, besonders beispielsweise auch bei Lynch, des Tons und seiner ausgefeilten Geräuschkulissenerzeugung. Die visuellen und virtuellen Möglichkeiten, die hier eine zunehmend dominierende Rolle im Kino zu spielen beginnen, könnte man von Lynchs Film bis hin zu Camerons neuestem Werk in ihrer immer schnelleren Entwicklung auf erhellende Weise analysieren. Dass das Zusammenspiel der Entwicklungen in der Kriegstechnologie mit denen in den Medien schon immer gekoppelt gewesen sei, hat zwar Paul Virilio bereits in seiner Studie „Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung“ (1984) behauptet, aber Medienwissenschaftler wie Rainer Leschke stellen diese Totalverdammung des Kinos mittlerweile auch mit Recht in Frage.

Tatsache ist und bleibt aber, dass die kulturwissenschaftliche Untersuchung solcher Zusammenhänge heutzutage wichtiger denn je erscheint. Kaum ein Thema bestimmt mittlerweile die TV-Nachrichten mehr, als die Diskussion um die Berechtigung der „Neuen Kriege“, wie sie Herfried Münkler genannt hat – ein globales Problem, das auch den deutschen Bundeswehreinsatz in Afghanistan zusehends ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken beginnt. Bisher schien man hierzulande ja eher anzunehmen, die deutschen Rekruten würden am Hindukusch zum Schutz der deutschen „Sicherheit“ lediglich Brunnen bauen, versonnen Mohnblumen pflücken und damit afghanischen Straßenkindern freundlich zuwinken – doch nun stellt man verblüfft fest, dass auch in Deutschland längst ein Medienkrieg im Gange beziehungsweise die vielfältige Vertuschung von Kriegsverbrechen bereits an der Tagesordnung zu sein scheint.

Gewissermaßen auch als Einstimmung auf eine internationale Tagung zum Thema „Krieg – Literatur, Medien, Emotionen“, die vom 2. bis 4. September 2010 an der Universität Aarhus stattfinden wird, widmet sich die August-Ausgabe von literaturkritik.de einmal mehr dem Schwerpunkt „Krieg“, um aktuelle Publikationen vorzustellen, die dazu lesenswert sein könnten – oder auch nicht.

Dem Thema hat sich unsere Zeitschrift immer wieder gestellt und wird dies sicher auch in Zukunft noch häufiger wiederholen. Sind wir doch der festen Überzeugung, dass auch eine literatur- und kulturwissenschaftliche Zeitschrift in dieser Sache nicht mit ihren kritischen Perspektiven hinter dem Berg halten sollte. Im Übrigen interessiert uns hier auch Ihre Meinung: Die Redaktion lädt Sie herzlich dazu ein, sich mittels der Leserbrief-Funktion unter unseren Artikel zu äußern und so in die Diskussion mit einzusteigen. Auch eine konstruktive „Kritik der Kritik“ ist uns jederzeit willkommen.

Mit den besten Grüßen,

Jan Süselbeck