Der Vampir-Mythos – ein Medienphänomen?

Erik Butler beleuchtet kulturelle Wurzeln und Ausprägungen in Literatur und Film

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sowohl der mediale Hype um die amerikanische Fernsehserie „Buffy – Die Vampirjägerin“ als auch der Erfolg der „Twilight“-Serie von Stephenie Meyer belegen das wachsende Interesse einer breiten Öffentlichkeit am Vampir-Mythos. Dass dieses Phänomen eine lange Vorgeschichte hat, erklärt und belegt die vorliegende Studie von Erik Butler, Hochschullehrer für „German Studies“ an der „Emory University“ in Atlanta, Georgia. Seine kulturgeschichtliche Fragestellung setzt bei der Wandlungsfähigkeit des Mythos an: „The vampire has mutated and adepted to any number of new environments. Vampires’ powers of transformation make them seem timeless and ubiquitous when in fact they are not.“

Bereits dieses knappe Zitat führt zur historischen Perspektive der Studie Butlers hin, die vor allem für ein englischsprachiges Publikum und die US-amerikanische Hochschulgermanistik konzipiert wurde. Diesem Leserkreis die verschiedenen Darstellungsfacetten englischer, französischer und deutscher Autoren zur Kenntnis zu bringen und das Bild des Vampirs als „Parasit“ zu relativieren, ist das Hauptanliegen des überschaubar gegliederten Bandes. Dazu befragt der Autor diverse literarische Texte, klassische Vampirgeschichten und filmische Realisationen auf Kontinuität und Brüche, um Transformations- und Metamorphosekontexte zu identifizieren und zu beschreiben.

Nach einer konzisen kulturwissenschaftlichen Feldklärung, was überhaupt unter dem Begriff „Vampirismus“ zu subsumieren ist und welche medial-kulturellen Epiphänomene damit verbunden sind, geht die Studie klassisch vor. In einem ersten Kapitel wird die Literarisierung der im Volksglauben verankerten „Nachtgestalt“ im 17. und 18. Jahrhundert in Südosteuropa untersucht. Butlers These einer realen Koexistenz und Verdichtung des Vampir-Mythos mit ethnisch-religiösen Konfliktfeldern wie der Dauerfehde zwischen Osmanischem Reich und Habsburgmonarchie erscheint nachvollziehbar, denn „the vampire appeared at the frontier between Islam and Christianity […] in a strategically sensitive region“. Gerade kriegerische Auseinandersetzungen mit der korrespondierenden permanenten Lebensbedrohung der darin nolens volens involvierten Bevölkerung stärken seiner Überzeugung nach den Glauben an einen wiederbelebten menschlichen Leichnam, der von Blut lebe und übernatürliche Kräfte besitze: „Finally, vampirism presents itself in the context of unsettled and destabilized Christianity, parodying and perverting the religious idea of resurection.“ Insoweit stammen die Vorlagen für die bis dato populären Vorstellungen von Vampiren ursprünglich aus der slawischen Mythologie sowie dem Volksglauben des Balkan- und Karpatenraumes.

Im zweiten Teil dieses Kapitels behandelt Butler Vampire in „Aufkärung und Romantik“. Dabei wagt er die Verknüpfung von geschichtlicher Revolutionserfahrung mit Metamorphosebetrachtung des Vampirs. Besonders die Veränderungsprozesse, die durch die Industrielle Revolution hervorgerufen wurden, veränderten die Wertigkeit des Vampirismus. Butler erläutert dies interessanterweise am Beispiel von Karl Marx’ Schrift „Das Kapital“, worin auch vampireskes Verhalten eine Rolle spiele: „Marx’s vampires represent the relations of production that kill both body and soul.“

Neben dieser sozioökonomischen Dimension geht der amerikanische Forscher auch auf Schriftsteller wie Charles Forman, Sebastien Mercier, Oliver Goldsmith, Robert Burns, Thomas Moore und Johann Kaspar Lavater ein, die auf das Bild des Vampirs nachhaltig einwirkten. Nicht zuletzt romantische Dichter, allen voran Adelbert von Chamisso, identifizierten die mythische Gestalt mit Sehnsüchten und seelischen Irritationen. Butler analysiert in diesem Kontext unter anderem Novalis’ „Hymnen an die Nacht“ und Heinrich Heines „Helena“-Lyrik, die bereits bis heute verbreitete Attribute enthielten, wenn es etwa in einer typischen Strophe bei Heine heißt:

„Preß deinen Mund an meinen Mund,
Der Menschen Odem ist göttlich!
Ich trinke deine Seele aus,
Die Toten sind unersättlich.“

Für das 19. Jahrhundert fokussiert der Literaturwissenschaftler die Wandlungsprozesse des Vampirismus in England und Frankreich. Natürlich dürfen Mary Shelleys „Frankenstein“ ebenso wie der „erste“ Vampirroman „Dracula“ von Bram Stoker (1897) nicht fehlen, daneben tauchen aber auch Texte von Byron und Polidori auf, die die psychologische Dimension des Vampirismus repräsentieren.

Das letzte Kapitel der vorliegenden Studie trägt den schlichten Titel „Germany“. Dies sei darauf zurückzuführen, dass zur Jahrhundertwende Vampire sowohl sprachlich als auch geografisch mit Deutschland gleichgesetzt worden seien. Der Name „Dracula“ wurde kulturgeschichtlich zum Inkubator eines politischen Großdeutschlands und vice versa zum Inbegriff des Urvampirs. Illustriert wird die Affinität von großgermanischer Attitüde mit klinischer Symptomatik am Beispiel von Daniel Paul Schrebers „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“, einer autobiografischen Beschreibung des Vampirismus, die sich dem Genre des „psychologischen Vampirs“ annähert. Gleichsam pathologisch erscheinen auch die Werke „Don Juan von Kolomea“ von Leopold von Sacher-Masoch und Bonaventuras „Nachtwachen“, welche im Vampir eine Brücke zwischen realer und imaginärer Welt sehen.

Politische Umwälzungen führten auch zu einer Metamorphose des Vampirs. Dies zeigt Burke für die Zwischenkriegszeit. Sowohl Robert Wienes Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ als auch Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ deutet der Autor als mediale Antworten auf eine als übermächtig und erschreckend wahrgenommene Entwicklung, welche nach Schuldigen und Verantwortlichen sucht: „Nosferatu presents a nightmare vision of the social body in the age of bio-power, class struggle, social Darwinism, and the Faustian Zeitgeist.“

Medial ergänzt werden diese sozialen Schreckensszenarien durch Fritz Langs filmische Realisierungen von Norbert Jacques’ „Dr. Mabuse“-Romanen, worin es um einen Superverbrecher geht, der sich durch Beeinflussung und Suggestion die Menschen willfährig machen kann. Darin zeige sich eine neue Dimension des Vampirs, der nun auch in den Geist seiner Opfer vordringen und somit die letzten Reservate der Privatheit bedrohen kann.

Abgerundet wird der Band einerseits durch einen Ausblick, wie amerikanische Filmemacher und Schriftsteller der 1930er-Jahre auf die europäischen „Innovationen“ reagierten, andererseits durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis, eine Filmografie und ein Personen- und Sachregister.

Butlers Studie belegt stichhaltig, dass der Terminus Vampir ein Konstrukt darstellt, das im Laufe der Jahrzehnte zu erwartenden semantischen wie medialen Wandlungsprozessen ausgesetzt war, sie dadurch aber noch stärker kulturell spiegelt und verdichtet. Zugleich zeigt die Arbeit, dass Vampire als Exportschlager der Filmindustrie Hollywoods im 21. Jahrhundert vorrangig dorthin zurückkehren, wo sie im 18. Jahrhundert aufgebrochen sind, die Welt zu erobern: nach Europa.

Titelbild

Erik Butler: Metamorphoses of the Vampire in Literature and Film. Cultural Transformations in Europe 1732-1933.
Camden House, Suffolk 2010.
225 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-13: 9781571134325

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