Blutspur durch ein Jahrhundert

Stephen Kinzers Buch „Putsch!“ handelt von Amerikas Tradition verdeckter Operationen von Hawaii bis nach Afghanistan

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie war es möglich, dass eine ehemalige Kolonie und zugleich die selbsternannte Zuflucht der Freiheit kaum einhundert Jahre nach ihrer Unabhängigkeit selbst zur imperialistischen Macht mutierte, um mit beispielloser krimineller Energie ihr nicht genehme unabhängige Regierungen zu stürzen? Der US-Amerikaner Stephen Kinzer präsentiert in seinem Buch unter dem Titel „Putsch!“ 14 dramatische Fallstudien und beschreibt, wie es den Vereinigten Staaten unter den verschiedensten Präsidenten innerhalb von 110 Jahren gelang, weltweit von der Karibik bis zum Mittleren Osten und von Südostasien bis nach Südamerika unterschiedlichste Regierungen aus den immer gleichen Beweggründen zu stürzen.

Dabei waren ihre Opfer oft nach denselben demokratischen Verfahren ins Amt gelangt, welche doch die Vereinigten Staaten offiziell als die einzige Legitimation politischer Macht ansahen. Das kaum fassbare Panorama der selbstherrlichen Eingriffe reicht von der Entmachtung der Regierung Hawaiis im Jahre 1893 bis zur jüngsten Invasion des Irak, es gehört dazu auch der Sturz des südvietnamesischen Staatschef Ngo Dinh Diem, den die Vereinigten Staaten selbst an die Macht gebracht hatten, ebenso wie die vorläufige Vertreibung der radikalislamischen Taliban aus Kabul im Jahre 2001, vormals eine gemeinsame Schöpfung von CIA und pakistanischem Geheimdienst.

Der renommierte Pulitzer-Preisträger Kinzer unterscheidet in seiner Studie drei Hauptphasen der amerikanischen Interventionspolitik: Die frühe imperialistische Epoche endete mit dem Ersten Weltkrieg, nach einer Phase des Isolationismus ohne Interventionen brachte das Zeitalter des Kalten Krieges jedoch die intensivste Folge von Umstürzen hervor, dem schließlich ab 1990 die amerikanische Illusion des Unilateralismus mit den immer noch aktuellen Kriegen im Irak und in Afghanistan folgte. Der Verfasser schildert hierbei nicht nur die Abläufe und Hintergründe, die etwa zum Sturz der Regierungen in Nicaragua, Panama oder Guatemala führten, sondern auch die oft verheerenden Auswirkungen, die Washingtons Strategie des gewaltsamen Regimewechsels im Iran, in Vietnam oder in Chile langfristig hatte.

Wer sich bei Kinzers Charakterisierung von US-Präsident William McKinley (1897-1901) an moderne amerikanische Politiker erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Glaubte doch der 23. Präsident der Vereinigten Staaten, den „wilden Filipinos“ nach ihrer „Befreiung“ Zivilisation und Christentum bringen zu müssen, nachdem er, nach eigener Überzeugung ein frommer Christ, seinen allmächtigen Gott nächtelang um Erleuchtung und Anleitung angefleht habe. Die verheerenden Folgen seiner Eingebung musste er indes nicht mehr selber verantworten, da er bereits am 6. September 1901 in Buffalo der Kugel eines anarchistischen Attentäters zum Opfer fiel. So hatten seine Nachfolger einen jahrelangen erbitterten Kolonialkrieg in der ehemaligen spanischen Kolonie auszubaden, in dem amerikanische Truppen, ganz im Geiste des zeitgenössischen Rassismus, bis an die Grenze des Genozids gingen.

Dass bei allen amerikanischen Interventionen seit 1893 die politische Bilanz für die aufstrebende Weltmacht mehr als ernüchternd ausfiel, kann niemanden überraschen, der weiß, mit wie wenig Weltkenntnis, aber um so mehr religiösem Fanatismus Politiker wie etwa George W. Bush oder Dick Cheney ihre Strategie des Regimewechsels im Mittleren Osten betrieben haben. Doch selbst zwei ausgewiesene Kenner des Weltgefüges wie Richard Nixon und Henry Kissinger brachten mit einem bemerkenswerten realpolitischen Paradigmenwechsel zwar den Ausgleich mit dem kommunistischen China zustande, ließen sich aber in ihrer paranoiden Furcht vor einer eingebildeten kommunistischen Gefahr in Chile dazu verleiten, einen Staat mit besonders ausgeprägten demokratischen Traditionen – wie Kinzer mehrfach betont – in das jahrzehntelange Chaos einer blutigen Diktatur zu stürzen. Bis heute hat sich das südamerikanische Land nicht wieder von dem Desaster der Pinochet-Diktatur erholt. Die fränkische Stadt Fürth hinderte dies jedoch nicht daran, noch im Jahre 1998 mit Kissinger einen der Hauptverantwortlichen für die kaltblütige Ermordung eines demokratisch gewählten Staatsoberhauptes zu ihrem Ehrenbürger zu ernennen.

Rassistischer Dünkel, paranoide Kommunistenfurcht und religiöser Eifer lieferten die explosiven Ingredienzen für eine fragwürdige Politik, in der sich die Vereinigten Staaten mit bestürzender Leichtfertigkeit in eine Kette von Abenteuern gestürzt haben, an deren Folgen Washington zum Teil bis heute laboriert. Folgt man der Argumentation Kinzers, so ist auch der beispiellose Aufstieg des politischen Islam und seiner weltweit operierenden Terroristen allein das Werk der Vereinigten Staaten. Die Anfänge dieser die Welt in Atem haltenden Entwicklung reichen bis in das Jahr 1953 zurück, als US-Außenminister John Foster Dulles, ebenfalls ein gottesfürchtiger Antikommunist und zugleich ein gewiefter anwaltlicher Vertreter der Interessen von Großkonzernen, in enger Kooperation mit Großbritannien den säkularen und nationalistischen Präsidenten des Iran, Mohammed Mossadegh, stürzte und damit mittelbar genau ein Vierteljahrhundert später dem islamistischen Mullahregime den Weg zur Macht ebnete. Die Intervention der Sowjetunion 1979 in Afghanistan, übrigens nach langem Zögern, wie die inzwischen veröffentlichten Protokolle des Politbüros belegen, war ebenso eine Reaktion auf den Machtwechsel in Teheran wie der gemeinsame Wunsch der Jimmy Carter – und Ronald Reagan-Administrationen, dem weltpolitischen Rivalen seinerseits um jeden Preis ein neues „Vietnam“ zu bereiten. Zwar ging dieser Plan, so Kinzer, über alle Erwartungen auf, doch übersahen die Amerikaner dabei, dass sie sich mit den fundalmentalreligiösen Gotteskriegern selbst einen neuen Feind geschaffen hatten, gegen den man wahrscheinlich nicht siegen wird – es sei denn, Washington wäre zum nuklearen Genozid im Mittleren Osten bereit.

Kinzer hat mit seinen 14 Studien eine uralte Linie der amerikanischen Politik erstmals offen gelegt und damit eindrucksvoll gezeigt, dass auch der amerikanische „War on Terrorism“ keine Neuheit im politischen Repertoire der moralisierenden Weltmacht ist. Der Schwerpunkt liegt dabei eindeutig auf der Schilderung der Abläufe, zum generellen Kontext der US-Amerikanischen Politik in den betrachteten Phasen findet der Leser jedoch nur weniges. Immerhin bietet der Verfasser am Ende eines jeden Hauptteils einen ausführlichen Ausblick auf die Folgen der amerikanischen Eingriffe, verbunden mit einer kritischen Bewertung.

Auch behandelt Kinzer ausschließlich die „gelungenen“ Umsturzversuche, Fehlschläge wie das Schweinebuchtdesaster hat er nicht in seinen Kanon aufgenommen. Der handliche Band aus der Anderen Bibliothek des Eichborn-Verlages ist, auch wenn Anmerkungen im Text fehlen, mit einem wissenschaftlichen Apparat ausgestattet. Man vermisst allerdings Karten und auch einige Abbildungen sowie eine Zeittafel hätten den Wert der lesenswerten Publikation gewiss erhöht.

Titelbild

Stephen Kinzer: Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
561 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783821845876

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch