Wenn die Zunge zum Schwert wird
Sybille Krämer und Elke Koch präsentieren Deutungen eines Alltagsphänomens: Verletzendes Sprechen
Von Josef Bordat
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Gewaltbegriff ist nicht unumstritten. Zwar gibt es einen breiten Konsens dahingehend, dass Gewalt zu vermeiden und – wo geschehen – zu sühnen ist, doch welche Zustände und Vorgänge gewaltsam sind, darüber streiten sich Philosophen, Juristen und andere Gelehrte. Der Friedensforscher Johann Galtung unterscheidet aus soziologischer Sicht drei Erscheinungsformen der Gewalt: die direkte, die sich als physische unschwer identifizieren lässt, die strukturelle, die auf bestehenden Machtverhältnissen basiert, und die kulturelle, welche die direkte und strukturelle erst ermöglicht und stützt.
Gewalt in der Sprache, Thema des vorliegenden Sammelbandes, ist als symbolische Gewalt sicherlich teils der Struktur, teils der Kultur zuzuweisen, obgleich sie auch direkt wirkt. Sie muss jedoch in Abgrenzung von körperlicher Gewalt gedeutet werden, mit der sie, die Gewalt in der Sprache, jedoch oft eine unheilvolle Allianz eingeht, wie die Germanistin Elke Koch gleich zu Beginn mit einem sehr eindringlichen Beispiel andeutet: Ein Mann wird misshandelt und zugleich unter Bezugnahme auf die Misshandlung verhöhnt. Es ist der von den Tempelwachen geschlagene und gedemütigte Jesus des Karfreitag, von dem das Beispiel handelt. Es zeigt, in welch grundlegender Weise Gewalterfahrungen – sowohl körperliche als auch sprachliche – als Teil unserer kulturellen Tradition zu gelten haben.
Gewalt in der Sprache – der Forschungsfragen gibt es viele. Unter welchen Bedingungen kann man bei „Sprechakten“ von „Gewalttaten“ sprechen? Welche Voraussetzungen gibt es, damit Sprache als symbolische Gewalt gelten kann? Inwieweit lassen sich diese objektivieren? Welche Rolle spielt die subjektive Zuschreibung, ja, die „Mitwirkung“ des Opfers? Worin unterscheidet sich sprachliche Gewalt von körperlicher Gewalt? Diese und andere Fragen werden aus linguistischer, philosophischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive in dem Sammelband „Gewalt in der Sprache. Rhetoriken verletzenden Sprechen“ adressiert, der die Erträge der Jahrestagung „Gewalt durch Sprache“ des SFB „Kulturen des Performativen“, die im November 2006 an der Freien Universität Berlin stattfand, zusammenfasst.
Die Philosophin Sybille Krämer macht in einem grundlegenden Aufsatz mehrere für den Diskurs im Kontext von Sprache und Gewalt entscheidende Dinge deutlich: 1. Im Begriff „Gewalt“ ist sowohl der Aspekt der Kompetenz zur rechtmäßigen, ordnungsstiftenden „potestas“ als auch der Aspekt der Handlung in Form unrechtmäßiger, zerstörerischer „violentia“ enthalten. 2. Der Gewaltbegriff erfuhr im Laufe der Ideengeschichte zum einen eine Negativierung in Richtung einer stärkeren Konnotation des „violentia“-Aspekts, zum anderen eine zunehmende Entgrenzung: Immer mehr Handlungsweisen können als „gewalttätig“ gelten. Eine solche Ausweitung, so Krämer, wie sie paradigmatisch von Galtung vorgenommen wurde, erfasst einerseits relevante Dauerzustände von Gewalt in gesellschaftlichen Strukturen und Systemen, führt jedoch andererseits zu einer Aufweichung des Konzepts. Gewalt droht zur rhetorischen Figur der Skandalisierung zu werden. 3. Im Zusammenhang mit dem Thema des Bandes entwickelt Krämer zwei Perspektiven: Zum einen richtig sie das Augenmerk auf Sprache als gewaltsame Ordnungsform, zum anderen auf das Sprechen als gewaltsamen Vorgang, was nicht allein die „explizit beleidigende oder aggressive Rede“ meint, sondern auch den ganz normalen Sprachgebrauch, in dem sich Verletzendes unvermeidlich einstelle. 4. Nicht immer handelt es sich dabei um Gewalt, denn das potentiell Verletzende muss erst als solches aufgefasst werden. Sprachliche oder symbolische Gewalt ist insoweit von körperlicher zu unterschieden, da erstere deutungsabhängig ist, letztere hingegen (zumeist) nicht. Symbolische Gewalt ist zudem gefühlsabhängig. Das Opfer muss – so Krämer in Anlehnung an Gertrud Nunner-Winkler – „mitspielen“, der Täter ist, wie auch bei anderen Formen psychischer Gewalt, „für den Erfolg seiner Handlung unhintergehbar auf die Mitwirkung des Opfers angewiesen“. Das gibt dem Opfer eine gewisse Macht in der Ohnmacht, „insofern der unerlässliche Interpretationsakt seitens des Opfers das Gelingen einer verbalen Aggression nie eindeutig und vorhersagbar sein lässt“. Ähnliches gilt für den Gefühlsakt: Wer sich nicht betroffen fühlt, dem kann durch Sprache keine Gewalt angetan werden. Ob und inwieweit „sich nicht betroffen fühlen“ erlernbar ist, wie Krämer beiläufig behauptet, ist sicherlich eine gesondert zu behandelnde Frage. Sybille Krämer fasst die Besonderheit der „humanen Dimension“ symbolischer Gewalt zusammen: „Anders als in der körperlichen Gewalt, welcher immer ein Zug zur Entmenschlichung des Opfers, zu seiner ,Dingwerdung‘ eigen ist, spricht die symbolische Gewalt den Menschen notweniger Weise in seiner Eigenschaft an, nicht nur ein sprechendes und verstehendes, sondern ein interpretierendes und fühlendes Wesen zu sein.“
Doch nicht nur die Mitwirkung des Opfers, sondern auch die Rahmenbedingungen sind für sprachliche Gewalt konstitutiv: Wenn man „vor versammelter Mannschaft“ beschimpft wird, dann ist das etwas anderes als wenn die gleichen bösen Worte „hinter verschlossener Tür“ fallen. Die Mitwirkung Unbeteiligter heben Ekkehard König und Katarina Stathi in ihrer Analyse hervor, in der sie nach einer systematischen Bestandsaufnahme der Bedingungen und Begriffe sprachlicher Aggression linguistische Kategorien diskutieren, aus denen sich eine Typologie verbaler Verletzungen entwickeln lässt, in welcher neben dem genannten Umstand, ob das verletzende Sprechen öffentlich oder nicht-öffentlich geschieht, noch weitere Parameter kommunikativer Gewaltakte angesprochen werden beispielsweise die Machtverhältnisse, der Wahrheitsgehalt, die Häufigkeit.
Gewaltsames Sprechen verfolgt einerseits das Ziel, die personale Integrität des Opfers in Frage zu stellen (so Pascal Delhom), dessen „Selbst“ zu verletzen, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass es nicht verletzt werden will (so Burkhard Liebsch), andererseits beabsichtigt der Täter die soziale Exklusion des Opfers. Dass insoweit auch gezieltes Nicht-Sprechen verletzend sein kann, machen die Beiträge von Steffen K. Herrmann, Hannes Kuch und Mireille Schnyder deutlich, in denen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln das Schweigen als ausschließender Akt und damit als Form symbolischer Gewalt thematisiert wird.
Weitere partikulare Aspekte in den anderen Aufsätzen bestätigen aus den unterschiedlichen Disziplinperspektiven exemplarisch die konzeptionellen Analysen der Philosophie und Linguistik, etwa hinsichtlich der Bedeutung von Interpretation und Emotion (Helga Kotthoff zeigt, dass auch die verletzende Wirkung von Humor in Gestalt von Satire und Spott zum Teil von der Reaktion der Beteiligten abhängt). Historische (Johannes Schwitalla über ziemlich deftige Flugblätter aus der Reformationszeit) und literaturwissenschaftliche Vertiefungen (Monika Otter über ein hochmittelalterliches Rhetoriklehrbuch, Claudia Richter über die Bedeutung von Flüchen in Shakespeare-Dramen) runden die Tagungsdokumentation ab.
Sybille Krämer und Elke Koch präsentieren mit dieser sehr breit gefächerten Auswahl an Beiträgen einen vielschichtigen Zugang zu einem sehr aktuellen Thema. In einer Zeit, in der Verletzungen durch symbolische Gewalt oft mit physischer Gewalt beantwortet werden (man denke an die „Mohammed-Karikaturen“) ist eine differenzierte Klärung des Gewaltbegriffs nötig, die die Rechtfertigungsrhetorik, die sich in missbräuchlicher Weise des weiten Gewaltkonzepts von Galtung et al. bedient, argumentativ in die Schranken weist. Zugleich muss die normative Achtung vor dem Selbst des Anderen um das Bewusstsein dafür ergänzt werden, dass man diesem auch symbolisch Gewalt antun kann. Es muss ein Klima der Achtsamkeit entstehen, das für die verletzende Form von Sprache und Sprechen sensibel bleibt, gerade in Kontexten, in denen der Deutungs- und Gefühlseinfluss bestimmend ist. Dafür braucht es eine solide theoretische Fundierung. Für beide Stoßrichtungen lassen sich in dem Sammelband „Gewalt in der Sprache. Rhetoriken verletzenden Sprechens“ wertvolle Ansätze finden.
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