Wirkungslos in der trostlosen Heimat

Eine wichtige Dokumentation zur Rezeption des Georgeschen Frühwerks

Von Geret LuhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Geret Luhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die "Fleurs du mal", schreibt Walter Benjamin in seinem kanonischen Essay "Über einige Motive bei Baudelaire", seien das letzte lyrische Werk gewesen, das eine europäische Wirkung getan habe: "Kein späteres ist über einen mehr oder weniger beschränkten Sprachkreis hinausgedrungen." Wollte man diese Behauptung widerlegen, könnte man das lyrische Werk jenes Dichters anführen, dessen Wirkung gerade auf Benjamins Denken nicht zu unterschätzen ist: das Frühwerk Stefan Georges. Denn wie die von Jörg-Ulrich Fechner herausgegebene Dokumentation "'L'âpre gloire du silence'... Europäische Dokumente zur Rezeption der Frühwerke Stefan Georges und der Blätter für die Kunst 1890-1898" belegt, wirkten der frühe George und seiner "Blätter für die Kunst" in erster Linie auf europäischer, und nicht auf heimischer Bühne.

Auf seine Art bestätigt Georges Frühwerk gleichwohl die Behauptung Benjamins. Ohne die Übersetzung der "Fleurs du mal" nämlich, die George noch vor dem Druck seines ersten Gedichtbandes anfertigte, wäre sein dichterisches Werk nicht denkbar - erst die Übersetzung der "Fleurs du mal" lehrte George, seine Sprache derart artifiziell zu verdichten, daß sie die deutsche Lyrik revolutionieren und die literarische Moderne in Deutschland mitbegründen konnte. Die unzeitgemäße Fortschrittlichkeit des Georgeschen Kunstanspruchs verdammte seine Verse freilich zur Wirkungslosigkeit in einem Land, das erst nachträglich durch ihn, durch seine Texte und seine Übersetzungen einen Begriff von der Dichtung des Symbolismus erhalten sollte. Da George sich dessen von Beginn an bewußt war, suchte er mit seinen Gedichten gar nicht erst das breite Publikum der Heimat zu gewinnen sondern solche auserwählten Geister, von denen er hoffen durfte, daß seine resakralisierte Verskunst sich ihnen erschloß. Die aber fanden sich vornehmlich im französischsprachigen Ausland, zumal in Belgien, aber auch in den Niederlanden: in Gebieten demnach, in denen sich bereits seit Jahren die vielschichtige Ästhetik des Symbolismus verbreitet und durchgesetzt hatte.

Wie positiv die Resonanz im symbolistischen Ausland war, bezeugen allein bis 1894 mehr als fünfzig von Fechner zusammengesammelte Dokumente: Erwähnungen und Analysen Georges und seiner "Blätter" in französischen, belgischen und niederländischen Zeitschriften. George konnte diese Situation freilich nicht befriedigen, denn in Deutschland sorgte seine Dichtung allein wegen ihrer konsequenten Kleinschreibung für unliebsame Aufmerksamkeit. Noch 1896 schreibt er dementsprechend an Hofmannsthal: "Denn, sehen Sie! All die anerkennungen und würdigungen von fremder seite können über den ziemlich trostlosen stand in der heimat nicht weghelfen. gegenseitige aufmunterung ist vonnöten." Daß Fechner die verschlungenen Wege dieser Aufmunterung akribisch dokumentiert, ist nicht zuletzt deshalb höchst verdienstvoll, weil seine Materialien das Bild vom jungen George und seinen Wirkungsabsichten entschieden in ein neues Licht rücken.

Bislang galt George als ein geschickter Stratege im literarischen Feld, der seine Werke vom deutschen Markt nahezu ein Jahrzehnt zurückhielt und nur wenige Exemplare seiner Dichtungen in ausgewählten Kreisen kursieren ließ - um im Nachhinein einen umso größeren Erfolg mit seinem geheimnisumwobenen, auratisierten Werk zu erzielen. Für Fechner ist diese Auffassung die "Folge einer ausschließlich auf die deutsche Literaturgeschichte beschränkten Betrachtung". Georges Publikationspraktik sei "ein zwar für Deutschland untypisches, im Hinblick auf die französischen und belgisch-wallonischen Vorläufer und Parallelen jedoch durchaus plausibles Verhalten", bemerkt er: "Zu dessen Grundlagen gehört die Auffassung, daß ein gebildeter junger Mensch sich rezeptiv wie kreativ der Dichtung zu widmen hat und seine literarischen Produkte in selbstfinanzierten Drucken vorlegt, sie aber nicht als Ware anonym vertreiben läßt, sondern sie als Ausweis von Gesinnung wie Gesittung selbst weiterreicht an Freunde und auch an ihm nicht persönlich bekannte, wohl aber von ihm anerkannte Mitstrebende."

Mit dem Einsetzen der Rezeption in Deutschland werden die Dokumente dagegen differenzierter und geistesgeschichtlich aufregender. Die großen Texte von Hofmannsthal, von Georg Simmel und Karl Wolfskehl über George bezeichnen damit zugleich das Einsetzen der überaus fruchtbaren jüdischen George-Rezeption. Anderes ist kurios, wie der frühe Verriß Georges von Oskar Panizza aus dem Jahr 1895 - denkwürdig zumal, weil in ihm erstmals die literarische Camouflage des frühen George dokumentiert ist. So bemerkt Panizza, daß die Liebesgedichte Georges nicht an Frauen gerichtet seien; zugleich müsse er aber ebenso wahrheitsgetreu versichern, daß er "kein Gedicht getroffen habe, welches direct an einen Knaben gerichtet gewesen wäre." Die finden sich bei George, wenn man nicht sehr genau liest, tatsächlich erst nach 1895. Sehr genau gelesen bzw. zugehört hat demgegenüber Lou Andreas-Salomé, deren anläßlich einer George-Lesung in Berlin entstandene "psychologische Studie" über die "Grundformen der Kunst" den Band abschließt.

Um jedoch zur Herausbildung einer übernationalen Rezeptionsgeschichte, deren methodische Grundzüge Fechner eingangs erläutert, modellhaft beitragen zu können, müßten die Texte, wie Fechner selbst betont, "anhand ihrer vielschichtigen Komplexität differenziert gedeutet werden." Eine genauere Deutung zumal der französischsprachigen Zeugnisse hätte man sich dabei in den jeweiligen, knappen Einzelkommentaren von Fechner selbst gewünscht - offenbar doch einem genauen Kenner der Zustände in Belgien vor der Jahrhundertwende. Noch mehr wünschte man sich von Jörg-Ulrich Fechner allerdings eine Fortsetzung der Dokumentation bis zumindest in die Zeit hinein, in der auch Intellektuelle der Generation Walter Benjamins begannen, sich über George zu äußern. Denn eine solche Fortsetzung würde wohl ebenfalls mit einem Vorurteil aufräumen: indem sie zeigte, daß selbst der späte George, der zum Chefideologen seines ganz persönlichen Kultes geworden war, nicht nur als dämonischer Verführer, sondern nach wie vor und mit eben solchem Recht auch als Meister des ästhetischen Rituals rezipiert werden konnte. Und zwar von denjenigen Rezipienten, die genau zu lesen und zu hören verstanden.

"L'âpre gloire du silence"... Europäische Dokumente zur Rezeption der Frühwerke Stefan Georges und der Blätter für die Kunst 1890-1898.

Gesammelt, erläutert und mit einem einführenden Essay herausgegeben von Jörg-Ulrich Fechner (Germanisch-romanische Monatsschrift. Beiheft 11).

Titelbild

Jörg-Ulrich Fechner (Hg.): "L'âpre gloire du silence". Europäische Dokumente zur Rezeption der Frühwerke Stefan Georges und der Blätter für die Kunst (1890-1889).
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 1998.
407 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3825307492

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