Tanzen vorm Tresor
Anne Dorn durchquert in ihrem neuen Roman „Spiegelungen“ ein Frauenleben und zugleich ein ganzes Jahrhundert
Von Carola Ebeling
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMinza, Lena, Hanna, Judith, Clara – es sind fünf weibliche Figuren verschiedenen Alters, mit denen die 1925 geborene Schriftstellerin Anne Dorn in ihrem neuen Roman das vergangene Jahrhundert zu durchschreiten scheint. Oder erzählt sie von einer Frau, aus einem Leben – seinen Phasen, Einschnitten, seinen Facetten und Widersprüchen, die sich alle in einer Biografie vereinen? Je weiter man liest, desto mehr spricht für die zweite Deutung, doch so entscheidend ist das nicht. Was dieses Buch so besonders macht, ist die Erfahrungsfülle Anne Dorns, eine so große Empfindungs- und Wahrnehmungsbegabung, die selten ist – die Lektüre ist ein Vergnügen an pointierten Worten, am mehrfachen Lesen vieler schöner und tiefer Sätze.
Nehmen wir also an, „Spiegelungen“ wäre der Roman eines Frauenlebens, so ist es einer, dem keine wirkliche Handlung zu Grunde liegt, keine Geschichte im Sinne eines Plots: So wenig wie sich das Leben als in sich schlüssige Geschichte erzählen ließe. Anne Dorn geht also einen anderen Weg: Sie erzählt in Lebensphasen, aus denen sie jeweils verschiedene Situationen und Schwerpunkte auswählt – und sie aus der Sicht der Frau erzählt.
Die großen Kapitel tragen einen der oben erwähnten Frauennamen und sind dann wiederum in verschiedene kleinere Abschnitte unterteilt. Mit der etwa achtjährigen Minza setzt der Roman einige Zeit vor Beginn des Zweiten Weltkriegs ein. Lene ist die sehr junge Frau, die versucht, sich in der Nachkriegszeit zu orientieren. Hanna, die in den 1950er-Jahren mit Stefan eine Familie gründet und sich nach großen Konflikten doch trennen wird, dann mit den Kindern alleine lebt, wohl in den 1970er-Jahren. Judith, die eigene Wege geht, nicht mehr in ständiger Rücksicht auf die Kinder lebt; Clara, um die Mitte 50, vielleicht auch 60 Jahre, die in einer schwierigen Beziehung lebt und die am Ende des Kapitels 70 Jahre alt ist. So durchschreitet Anne Dorn die (Lebens-)Zeit, gibt Hinweise zur Orientierung, etwa wenn Hanna ihre Eltern in der DDR besucht, macht aber kaum genaue Angaben.
Was an dieser fiktiven Biografie in Momentaufnahmen besticht, ist die Genauigkeit der Autorin. Ihre Beobachtungen sind sehr fein, ob sie nun ins Innere ihrer Figur schlüpft, Szenen einer Ehe oder die forsche Zwangsheiterkeit familiärer Feste beschreibt. Immer findet sie die entsprechende Sprache, schafft eine dichte Atmosphäre, so dass aus einem scheinbar knappen Geschehen kleine Erzählperlen werden. Wenn etwa während eines Familiensommerausflugs ein Konflikt sich Bahn bricht und daran die ganze Paardynamik zu Tage tritt. Stefan will mit Hanna ins Kino, sie hat schon nein gesagt, er besteht während der Rückfahrt darauf: „Stefans in zwei Anläufen in Worte gepacktes Drängen, Hanna dahin zu bugsieren, wo er sie gerne hätte, Kino – Kino, radiert am Schweigen aller, er muss es gar nicht wiederholen – seine Art, starr geradeaus zu stürmen, den Blick nach vorn, um der zu sein, der den Weg bestimmt, spricht es unentwegt aus.“
Am Ende sitzt sie neben ihm im Kino. Dieser eine Tag, der Ausflug und die Zuspitzung des Konflikts sind zu einer in sich geschlossenen Erzählung geworden – so funktionieren auch andere Episoden, die nie direkt miteinander verknüpft und dennoch verbunden sind.
Zum Beispiel die von der Beziehung Claras zu Anselm, einem Alkoholiker. So viel Kluges ist hier über den Versuch eines Dennoch-Liebens zu lesen, so viel Zartheit und Schmerz gehen hier zusammen. „Clara hat nicht geahnt, dass Anselm in einem Tresor steckt. Schloss und Riegel sitzen innen, auf der Innenseite der Tresortür. […]…weißt Du eigentlich, dass ich die ganzen Jahre vor Deinem Tresor getanzt habe, damit Du herauskommst?“ […] „Wenn Du weißt, dass ich mich vor mir verstecke, warum tanzt du dann noch?“
Anne Dorn erzählt von den sich wandelnden Vorstellungen, die die Frau mit den vielen Namen von sich selbst hat – Wandlungen, die so in einem anderen als dem vergangenen Jahrhundert für eine Frau nicht denkbar sind; das letzte Kapitel trägt einen Fantasienamen, der alle vorigen in sich vereint. Um Paare geht es, Liebesversuche und deren Scheitern. Um das Alleinesein, sich-wieder-binden. Um das Älter- und Altwerden, die Endlichkeit. Mit der Form der brüchigen Verbundenheit der einzelnen Episoden nähert sich die Autorin der Erzählbarkeit von Leben. Es gibt kein Ziel, aber ein ständiges Geschehen. Anne Dorns Erzählkunst macht daraus eine große Fülle.
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