Das Bildnis eines bleichen Mädchens
Erich Wolfgang Skwaras Roman „Im freien Fall“ ist ein Kunstwerk im eigentlichsten Sinne
Von Saskia Schulte
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWorum geht es eigentlich im Leben, wenn nicht um die Liebe und um das Sterben? Denn obwohl Erstere ersehnt wird und Letzteres verdrängt, sind doch nur sie das Spannungsfeld, in dem der scheinbar banale Alltag sich entfaltet. So ergeht es dem Protagonisten in Erich Wolfgang Skwaras achtem Roman, der bezeichnenderweise Spielmann heißt, obwohl er keines der Spiele beherrscht, die im Arbeitsleben gespielt werden – und auch Spiele der Liebe bleiben ihm, obgleich er ein Liebender ist, ein Geheimnis. Spielmann ist ein recht hilfloser Mensch, und ein Mensch der Kunst, der Schönheit. Sie zu schauen, ist für ihn Segen und Fluch zugleich. Als er, der seit vielen Jahren verheiratet ist, sich in eine junge Frau verliebt und mit ihr aus den USA nach Europa flüchtet, findet er keinen Frieden in der Erfüllung dessen, was er immer ersehnt hatte.
Denn anbetungswürdig ist sie, die Geliebte, und ihre Schönheit macht ihn, den unwürdigen Liebenden, für den er sich hält, staunen, ja sie treibt ihn geradezu in die Obsession: „Er saß am Fuß des Bettes, die Geliebte lag vor ihm, ihr kupferblondes Haar bedeckte ihre Schultern, erreichte ihre Brüste, bedeckte sie, ihre weißen Brüste, und sie lag unbewegt auf dem Rücken, schaute zur Decke hoch, schenkte ihm keinen Blick. Er liebte ihre als kleine Wellen angedeuteten Rippen, er zählte sie, vergaß die Zahl gleich wieder, alle Knochen Wegweiser. Er liebte das Tiefland ihrer Bauchdecke mit den fast unsichtbaren Härchen, die aufglänzten nur im rechten Licht, die weite Ebene, die sich mit jedem Atemzug hob und senkte. Alles lebte in diesem Liegen und blieb doch weißer Marmor, Totenhaut. Keine Vergleiche erreichten ihre weiße Haut, unvorstellbar jede Berührung vor so viel Unberührbarkeit.“
Erich Wolfgang Skwara zeigt sich hier als ein Autor, der diese Bezeichnung verdient: ein Künstler, der sich nicht an Ratgebern über Kreatives Schreiben entlanghangelt, um nur ja dem Leser zu gefallen, oder am aktuellen Diskurs, um von der Kritik gelobhudelt zu werden. Er schreibt über das, was sonst niemand mit der gleichen Intensität, mit der gleichen Sprachmächtigkeit, mit der gleichen Ehrlichkeit über sich auszusprechen wagt: Wie ist es eigentlich, seine Ehefrau jahrzehntelang tief zu lieben und dann auch leidenschaftlich eine andere, die „für das Empfangsgerät, das er war, die einzig richtige Frequenz“ aussandte? Wie ist es, als gebürtiger Europäer in der Neuen Welt zu leben, ihre Neuerungen zu schätzen und dennoch sich einzig und allein dem kulturellen Erbe Europas verbunden und verpflichtet zu fühlen? Wie lebt – und liebt – man, wenn man ein solch zerrissener Mensch ist? Und letztlich: Wie hilflos ist eigentlich der, der liebt, weil er nicht anders kann?
„Eine Liebe konnte die andere Liebe nicht schmälern. Die Liebe war kein gefülltes Glas, das geleert wurde durch eine andere Liebe, die Liebe blieb ohne Unterlaß bis an den Rand gefüllt, weil wir liebten.“ Skwara wagt es, die Enge und Sprachlosigkeit einer Ehe zu schildern, die Monotonie, die eine Art von Geborgenheit zu sein scheint. Er wagt es, diese Atmosphäre dem Leser zuzumuten, sie so drastisch auszugestalten, dass sie beim Lesen quält – der schönen Sprache zum Trotz. Und sie ist es auch, die Sprache, die Skwaras Werk zu einem Kunstwerk macht. Seine gemeißelten, prächtigen, manchmal störrisch sich verweigernden Sätze, die Bilder, die er mit ihnen erzeugt, der Sog, der von dem gesamten Text ausgeht, und der schon fast ein erotischer ist. Die Geschichte um die bleiche Geliebte entzieht sich dem Leser immer wieder, wie ruhelose Schemen lagern sich andere Bilder darüber, doch ist sie immer präsent, als Bild hinter den Bildern, nicht erschließbar, niemals wirklich zu erobern, wie auch die Liebe letztlich nicht zu erstürmen, nicht zu halten ist.
Am Ende bleiben Spielmann, dem Liebenden, nur Bilder – Fotografien, die er in Bankschließfächern versteckt, damit sie seine Frau, die er vor seiner anderen Wahrheit verschonen will, niemals findet, damit er die Geliebte – auf irgendeine Weise – doch besitzen kann, obwohl er weiß, dass ihm das niemals gelungen ist oder gelingen wird. Liebe ist für Spielmann ein chronisches Scheitern – doch er, der dies weiß, ist dennoch nicht gefeit vor der Illusion, dass Liebe vielleicht doch, irgendwie, irgendwo und trotz allem möglich ist.
Erich Wolfgang Skwara ist als Autor ein Phänomen, sein Werk ist ungewöhnlich, dunkel, und nicht nur in den Schilderungen von Intimität auch provokativ. In Österreich geboren und aufgewachsen, lebt er in Paris, Italien und den USA, wo er Kultur- und Literaturwissenschaft lehrt. In seinen Romanen thematisiert er häufig die Unterschiede zwischen der Neuen und der Alten Welt, ihren jeweiligen Umgang mit Kultur, das Menschenbild, die Schönheiten und Möglichkeiten beider, aber auch die Gehaltlosigkeit der Neuen und den Zerfall der Alten Welt. Und immer geht es um die Liebe, um den tiefen Ozean zwischen den Menschen, der unüberquerbar zu sein scheint, ganz im Gegensatz zu dem zwischen den Kontinenten.
Die Kritiken über ihn sind gespalten, es gibt großes Lob und strikte Ablehnung, der Autor polarisiert immer wieder. Im Jahr 2002 erhielt er den Hermann-Lenz-Preis und im Jahr 2003 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident den Professorentitel. Doch nach dem Lesen seiner Bücher taucht die Frage auf, ob ihm, Skwara, derlei überhaupt wichtig ist, ob für ihn nicht Sprache und Geschriebenes für sich bestehen, als Höchstes überhaupt, und ob seine Hingabe, ganz obsessiv, nicht eigentlich ihnen gilt.
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