Angstmacher

Ake Edwardsons Versuch, das Urvertrauen in die Welt zur Disposition zu stellen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was fängt ein Polizist damit an, dass auf einer Brücke ein Auto steht, mit laufendem Motor, aber offenen Türen? Nein, er schaut sich nicht um und geht weiter, er beginnt eine Ermittlung. Was geschieht, wenn ein Autor, der sich zurückgezogen hat, um an seinem nächsten Buch zu schreiben – welches das sein wird, wird noch eine Rolle spielen – nachts vor die Tür geht? Es wird auf ihn geschossen.

Das ist natürlich schon etwas anderes als ein Auto mit laufendem Motor – aber auch hier wird lange erstmal nichts aus dem Fall, der am Anfang eines Kriminalromans oder wenigstens, sagen wir, in seinem Zentrum stehen sollte. Es gibt erst einmal keinen Fall, nur Kriminalermittler, die sich mit merkwürdigen Themen herumschlagen, ohne Grund Leute befragen und sich ansonsten mit sich selbst beschäftigen.

Edwardsons Ermittlerwelt ist düster und verhangen. Die Depressionen der Helden sind ins Unermessliche gewachsen. Kommissar Erik Winter, die Hauptfigur, leidet unter Brustschmerzen und unter der Verantwortung, die ihm als Dienststellenleiter aufgebürdet worden ist. Auch mit seiner Frau versteht er sich nicht mehr. Seine düstere Stimmung kratzt an ihm, Winter wird zickig und launig, und lässt das an seiner Familie aus, die es ihn deutlich genug merken lässt.

Seine Kollegen leiden nicht minder unter der Sinnlosigkeit dessen, was sie tun. Auch hier stellen sich die düsteren Gedanken und die schlechten Gefühle ein, die für miese Stimmung im Umfeld sorgen. Kommunikationsprobleme, unterdrückte Wünsche, Über- und Unterforderungen, Unzufriedenheit mit dem Rechtssystem wie dem Verfall der Sitten und sonstige Probleme. Eben all das, was man sich so in einem industrialisierten, einigermaßen kompliziert gewordenen Land an Problemen anlachen kann. Midlife- und Sinnkrise allenthalben, und die Ermittlung ist auch nur eine kaum taugliche Ablenkung von alldem, was die Helden sonst betrifft.

Als es dann endlich doch zu brutalen Morden kommt, haben die Ermittler wenigstens einen Fall, und so können sie dann zusammenfügen, was zusammengehört, sich also mit den hermeneutischen Klöppelarbeiten beschäftigen, die das Leben der fiktiven Kriminalhelden doch immer so aufwendig machen: Die Idee führt dorthin, jenes Faktum gehört hierhin, wer kennt wen und hat mit wem zu tun, und warum geschieht das eine, während das andere unterbleibt?

Das sind Fragen, die irgendwann vom Opfer über die Tat zum Täter führen sollen. Aber ob das wirklich möglich ist, ist ja durchaus eine intellektuelle Übung, vielleicht aber auch sophistische Übertreibung. Die Ermittler jedenfalls scheren sich nicht drum und machen das, was sie immer machen, sie fragen, reden und denken sich was, auf dass am Ende alles in Auflösung begriffen sei (als ob das etwas ändern würde: aber gerade darin liegt die Crux der fiktionalen Ermittler).

Das geheimnisvolle Auto, die nicht minder merkwürdige Schießerei, aber auch die folgenden Toten, die Überlebenden und Angehörigen werden im Laufe des Textes nun miteinander, man ist versucht zu sagen, kunstvoll verknüpft.

Am Ende ist es eine frühere Tat, die in der Gegenwart ihre Opfer fordert – und das ist für das, was hier an geheimnistuerischem Aufwand geboten wird, außergewöhnlich konventionell. Edwardson brilliert zweifelsohne in einzelnen Bildern, etwa in der Szene, in der Winter – ganz zum Schluss – seinen toten Kollegen in einem Tümpel treibend findet. Auch ist seine Technik, alles, was geschehen ist und geschieht im Vagen zu belassen, beachtlich.

Allerdings geht das alles ins Leere. All die Verzweiflung angesichts des Ungenügens auch der intimsten Beziehungen, der Sinnlosigkeit des Bemühens um Klärung, ja Aufklärung, der Kurzfristigkeit gerade dessen, was mit immensem Aufwand betrieben wird, wird im Finale aufgelöst, so wenig es am Geschehenen auch ändern mag.

Auch die Motivation des Geschehens, die als geheimer Motor alles antreibt und alles bewirkt, erscheint merkwürdig unausgewogen.

Ein Junge, dem durch das Verschwinden eines Mädchens so etwas wie eine Bestimmung genommen wird, rächt sich für die Tat nach all den Jahren. Wie er das versucht – nun denn, ob das als Handlung antreibende Struktur gelungen ist, daran mag man darüber hinaus zweifeln wie im Ganzen an Edwardsons Krimi um Erik Winter. Der Umstand, dass die Figur Winter, die so wunderbar angelegt war, zu einem weiteren Wallander-Verschnitt (womit nichts gegen Wallander gesagt sein soll) verkommt, spricht gleichfalls nicht für diesen Krimi.

Titelbild

Ake Edwardson: Toter Mann. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch.
Ullstein Verlag, Berlin 2009.
539 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783550087127

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