Böse sein – Missbrauch als Freizeitspaß

Über die Verstrickungen von Polizei, BND, Verfassungsschutz und organisierter Kriminalität – „Eisige Nähe“ von Andreas Franz

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Andreas Franz konfrontiert den Leser mit einem komplexen, verwirrenden und gleichzeitig spannenden Szenario. Er führt ihn zusammen mit seinen beiden Ermittlern Sören Henning und Lisa Santos in eine schlechtwettrige, ungemütliche norddeutsche Stadt namens Kiel. Dort nennt ein seit Jahrzehnten professionell agierender Auftragsmörder im Kieler Nobelviertel Düsternbrook eines der Domizile sein eigen. Die Erzählperspektive wechselt zwischen dem Ermittlerduo und Hans Schmidt, dem unscheinbaren und wandelbaren Mörder. Franz macht es dem Leser nicht leicht und die durchaus sympathischen Züge, die der anfangs vermeintlich „böse“ Mörder trägt, ergeben erst im Laufe der Handlung einen umfassenderen Sinn, erhöhen aber anfangs den Reiz des offensichtlich ungewöhnlichen weiteren Handlungsverlaufs.

Neben einer detaillierten Story, deren Hintergrund die organisierte Kriminalität im Bereich Menschen- beziehungsweise Kinderhandel bildet, hat auch die enge Anbindung an die norddeutsche Umgebung einen merklichen Anteil am Gelingen des Romans. Die eingängigen und authentischen Handlungsorte unterstützen die Geschichte und ihre Protagonisten. Letztendlich erscheinen einem Santos und Henning wie gute Kollegen von Jan Fedder aka Dirk Matthies aus dem Hamburger „Großstadtrevier“ und alle drei zusammen könnten mit dem Auftragskiller Hans Schmidt in einer kleinen Kieler Hafenkneipe als gute Kumpel ein Bier trinken. Bei allem Lokalkolorit und sympathischen Charakterzügen der Protagonisten ist es sehr subtil und differenziert, wie Franz seine Figuren aufbaut und den vermeintlichen Serienmörder zum Ende des Romans zu einer positiven Identifikationsfigur werden lässt. Schon allein diese Verwandlung ist es wert, den Roman zu lesen. Aber im Zentrum der Geschichte steht der Mord an einem in der medialen Öffentlichkeit bekannten Musikproduzenten und dessen Verstrickungen in Kindesmissbrauch, Menschenhandel und Prostitution. Schrittweise wird das Netz der Informationen und Verbindungen langsam zusammengeführt, wenn der Leser aus dem Blick der Ermittler sich immer wieder einem Täter nähert, der offensichtlich die „Bösen“ ermordet.

Die Rätsel lassen sich nicht leicht lösen und man hat fast Mitleid, wenn sich die beiden Kieler Ermittler durch das schweigende Netz von Korruption und Bestechung innerhalb der eigenen Behörde kämpfen. Natürlich finden sie auch Kollegen, die nicht in das Netz der Korruption verstrickt sind, aber am hilfreichsten sind die Hinweise des „Täters“, die dieser direkt an Lisa Santos übermittelt. Henning bleibt dabei die meiste Zeit das Sprachrohr der Ermittlungsarbeit: „Das mit der Denkmaschine ist so eine Sache. Wenn ich nur endlich den gordischen Knoten zerschlagen könnte. Lisa, wir haben es mit einem Riesengeflecht aus Lügen zu tun. Erst das mit der DNA, dann der Auftragskiller, die Morde an Bruhns, Steinbauer, Klein, dazu noch Albertz, Rüter Friedmann und Müller. Wie verbinden das miteinander?“

Besonders nahe stehen sich die Figuren gerade in diesen philosophischen Momenten. Denn auch der Mörder sinniert über die Vergänglichkeit des Seins und einen vielleicht sogar verdienten Ruhestand: „Er ging gemächlichen Schrittes die Straße entlang, ein dunkelroter BMW bog um die Kurve. Er erkannte nach kurzem Hinsehen Henning und Santos und fragte sich, was sie hier machten. Egal, sachte er, ganz egal. Nur noch eine Sache, danach würde er sich zur Ruhe setzen. Er hatte genug von diesem rastlosen Leben, ein Leben, das mit so viel Tod verbunden war. Er wollte nur noch Ruhe, Ruhe, Ruhe.“

Die spannende Kombination von genau recherchierter, realistischer Story, charakterstarken Protagonisten und authentischem Lokalkolorit lässt auf fast sechshundert Seiten keine Langeweile aufkommen.

Titelbild

Andreas Franz: Eisige Nähe. Kriminalroman.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2010.
582 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783426663004

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