Tote Pferde und hübsche Frauen

Commissario Montalbano wird in Andrea Camilleris Krimi „Die Spur des Fuches“ rabiater

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Serienheld ist ja irgendwann so etwas wie ein Familienmitglied. Man lebt mit ihm, freut sich mit ihm, leidet mit ihm. Ärgert sich, wenn er Dummheiten macht. Wundert sich über Ansichten, die er früher nie geäußert hätte. Denn wie jeder Onkel verändert sich auch eine literarische Figur über die Jahre.

So wie Commissario Montalbano. Am Anfang der Serie war er noch ein gemütlicher Sizilianer, der uns in seine Welt entführte, uns das süße Leben direkt am Meer vorlebte, das wunderbare Essen vorkostete, die fast familiäre Verbindungen zwischen den Menschen zeigte, die doch alle irgendwie zusammengehörten, auch wenn die einen Verbrecher, die anderen Polizisten waren. Immer politischer wurde Montalbano, immer rabiater auch.

In seinem neuesten Abenteuer nun versteigt er sich zu der Meinung, dass es doch eigentlich egal sei, ob ein Krimineller wegen seiner wirklichen Verbrechen bestraft wird oder für andere, die er gar nicht begangen hat. Damit hat sich Montalbano aus dem Kreis der Demokraten, der „guten Cops“, verabschiedet, ist heimlich ein Hardliner geworden, und einen halben Schritt zur Selbstjustiz ist er auch schon gegangen, denn als einer der Polizisten einen Verbrecher anschießt (zugegeben, in Selbstverteidigung), versucht er das zu vertuschen.

Der Fall ist allerdings auch dazu angetan. Denn am Strand vor seinem Haus findet Montalbano eines Morgens ein Pferd, das brutal totgeschlagen worden war: „Das Tier war blutüberströmt, man hatte ihm den Schädel mit einer Eisenstange zertrümmert, der ganze Körper war von einer Reihe brutaler Schläge gezeichnet. An mehreren Stellen klafften tiefe offene Wunden, aus denen Fleischstücke heraushingen.“ Als seine Kollegen kommen und er sich mit ihnen berät, ist es dann plötzlich verschwunden. Nur ein Hufeisen ist noch übrig, das sich Montalbano ohne nachzudenken eingesteckt hat. Die Spur führt zu dem reichen und mächtigen Rennstallbesitzer Saverio Lo Duca, und das kann schwierig werden: „Er hatte mächtige Freunde, und daher war es immer ziemlich anstrengend, wenn man mit ihm zu tun hatte, weil man ständig Gefahr lief, ein Wort zu viel zu sagen und sich in die Nesseln zu setzen.“ Die Spur führt aber auch zu Rachele Estermann, einer erfolgreichen und sehr hübschen Rennreiterin, die ihr Pferd bei ihm untergestellt hatte: Es ist verschwunden, aus dem Stall gestohlen. Und mit ihm ein zweites, das ihm sehr ähnlich sah.

Der Fall ist, wie so oft, kompliziert. Es wimmelt von falschen Spuren, es hängt wahrscheinlich die Mafia mit drin, die illegale Rennen organisiert und kurz vor einem Prozess steht, in dem es auch auf Montalbano Aussage ankommt. Und auf ein Alibi, das nicht so sicher ist, wie es scheint. Zudem wird in Montalbanos Haus mehrmals eingebrochen, eine Uhr wird gestohlen, dann wieder zurückgebracht. Er selbst wird am Telefon bedroht, sein Haus wird beinah angezündet, und ein Polizist schießt auf einen der Einbrecher. Komplizierter wird der Fall auch noch durch die verschiedenen Zuständigkeiten innerhalb der Polizei. Und durch die grandiosen sexuellen Erlebnisse, die Montalbano mit der geheimnisvollen Rachele erlebt, pure animalische Lust. Da spielt seine Dauerverlobte im fernen Norditalien eigentlich so gar keine Rolle mehr, außer in seinem schlechten Gewissen. Montalbano ist und bleibt verwirrt, bis sich das Dunkel am Schluss lichtet und alles wieder seinen gewohnten Gang geht.

Camilleris neuester Krimi zeichnet sich wie immer durch eine deutliche Personenführung aus, durch den Wortwitz und die atmosphärischen Schilderungen eines erfundenen, aber doch sehr glaubhaften Sizilien. Allerdings liegt sehr viel mehr Melancholie über diesem Roman als über den vorhergehenden. Auch Montalbano wird älter, und vielleicht beginnt er ja auch wirklich zu resignieren.

Titelbild

Andrea Camilleri: Die Spur des Fuchses. Commissario Montalbano lässt den Blick in die Ferne schweifen. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Moshe Kahn.
Bastei Lübbe, Köln 2010.
272 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783785723951

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