Hohe Standards

Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld legen das erste deutschsprachige Lexikon zu Musik und Gender vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Metzler Verlag hat sich über die langen Jahre seines Bestehens hinweg in vielerlei Hinsicht einen Namen gemacht. Etwa mit der bekannten Reihe „Sammlung Metzler“ oder als Ort, an dem konzise Literaturgeschichten publiziert werden – und nicht zuletzt durch seine diversen Lexika, in den etwa Begriffe und Termini aus der Kultur- und Literaturtheorie oder aus den Gender Studies erläutert werden. Nun hat er als Gemeinschaftsprojekt mit dem Bärenreiter Verlag das „erste deutschsprachige Lexikon zum Thema Musik und Gender“ auf den Weg gebracht, das sich zum Ziel gesetzt hat, „sowohl die Historie des Geschlechterdiskurses als auch der Musikgeschichte und Musikwissenschaft unter dem Aspekt Gender lexikalisch zusammenzuführen“ und zudem „Einsichten in Musikgeschichte und Kulturkontexte [zu] etablieren“, mit deren Hilfe sich gängige „historiographische Begradigungen“ korrigieren lassen. Herausgegeben wurde der voluminöse Band von Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld, die mehr als 170 AutorInnen zur Mitarbeit gewinnen konnten.

Wie das Herausgeberinnen-Duo zurecht betont, ist es „keine Petitesse“, dass Werke von Komponistinnen sowohl im Konzert- wie auch im Lehrbetrieb noch immer nicht angemessen präsent und sie selbst in Jurys und sonstigen Auswahlgremien zumeist absent sind. Solche „immer noch eklatanten Leerstellen“ nicht nur aufzuzeigen, sondern zugleich die Ausschlusskriterien zu analysieren, „vor allem aber die Gründe hierfür im kulturellen Gewebe selbst zu suchen“ und all dem entgegenzuwirken, ist vorderstes Anliegen des Bandes. Dies führte unter anderem dazu, dass ausschließlich Frauen, nicht aber Männer Eingang in die Personeneinträge des systematisch-lexikalischen Teils des Bandes gefunden haben. Eine Entscheidung, die umso schwerer wiegt, wenn man im Blick hat, dass es sich bei de ganz überwiegenden Mehrzahl der Lemmata um Personeneinträge handelt. Dennoch ist sie angesichts des herrschenden genderbias ganz zweifellos gerechtfertigt.

Noch überzeugender fällt die Konzeption der Sacheinträge aus, die oft zu „Themenclustern“ zusammengefügt sind, so dass man sämtliche relevanteren Begriffe in einem breiteren Kontext präsentiert und erläutert bekommt. Und dafür, dass man dennoch immer findet, was man sucht, sorgen zahlreiche Querverweise. Zudem ist dem eigentlichen Lexikon ein über hundert Seiten umfassender und somit außerordentlich informativer historischer Teil vorangestellt, der „neun Jahrhunderte europäischer Musikgeschichte“ vorstellt.

Schon jetzt lässt sich sagen, dass mit dem Lexikon ein Band vorliegt, der als Standardwerk gelten darf. Nicht nur weil er zur Standardausrüstung jeder einschlägigen Bibliothek gehören sollte, sondern auch weil er als erster seiner Art Standards setzt – und zwar höchste.

Eines aber bleibt abschließend doch noch zu monieren: der überaus kleine Schrifttyp. Sicher dürfte er dem verständlichen Wunsch anzulasten sein, möglichst viel Text und somit möglichst viele Informationen unterzubringen, ohne dass der Band bis zur gänzlichen Unhandlichkeit anschwillt. So nachvollziehbar dieses Anliegen auch ist, bei der Lektüre längerer Texte beginnen mit der Zeit doch die Augen zu schmerzen und man wird das Buch zur Seite legen müssen. Das ist bedauerlich, auch wenn es sicherlich nur vorübergehend sein wird. Und schließlich lässt sich die so entstandene Lektürepause ja auch sehr gut dazu nutzen, einmal eine Weile die Augen zu schließen und den musikalischen Künsten der Komponistinnen, Sängerinnen und Virtuosinnen diverser Instrumente zu lauschen.

Titelbild

Melanie Unseld / Annette Kreutziger-Herr (Hg.): Lexikon Musik und Gender.
Bärenreiter Verlag, Kassel 2010.
610 Seiten, 89,00 EUR.
ISBN-13: 9783476023254

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